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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 22
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Landsberger, Franz: Impressionismus und Erxpressionismus, [4], zur Kritik des Expressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0751

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Impreffionismus und Expreffionismus

IV. 3ur Kritik des Expreffionismus

Von FRANZ LANDSBERGER
Mit 2 Abbildungen

(Fortfe^ung und Schluß aus Fjeft 21.)

Die Anerkennung einer Kunftricfjtung fdjließt gewiß noch nicht die Anerkennung
jedes einzelnen Werkes diefer Richtung ein; fie befagt in allen Fällen nur, daß
hier fruchtbare Möglichkeiten ruhen, und es ift die Sache der großen Künftler,
diefe Möglichkeiten zu Wirklichkeiten reifen zu laffen. Vielleicht gab es keine Epoche,
die nicht folche Möglichkeiten in fich gefchloffen hätte, und der Verfall, den wir zweifel-
los in einigen Perioden der Kunftgefchichte wahrnehmen, läge dann nur im Ausbleiben
der großen Begabungen. (Im wieviel günftiger würden wir z. B. über die bildende
Kunft des Klaffizismus urteilen, wenn wir hier ein Werk wie Goethes Iphigenie be-
fäßen oder wenn das glühende Cemperament eines Winckelmann fich bildend be-
tätigt hätte.
Aber wie die Möglichkeiten, fo fchlummern wohl auch in jeder Kunftrichtung gewiffe
Gefahren, die nicht jeder Künftler vermeidet. Der typifierende Stil der antiken und
antikifierenden Kunftridjtungen läuft Gefahr, im Kanon die Frifche des individuellen
Lebens zu verlieren. Das Mittelalter, welches die Darftellung des chriftlichen Glaubens
erftrebte, umfehiffte nicht immer feine Klippe, ftatt des lebendigen religiöfen Gefühls
die dürre Allegorie Geftalt werden zu laffen, und jeder auf Nachahmung — fei es der
Kunft oder der Natur — gerichtete Stil droht das Schöpferifche im Künftler zu erfticken.
Nichts weiter als folche Gefahren will diefe Kritik des Expreffionismus aufweifen,
nachdem ßie im vorigen die Möglichkeiten entwickelt hatte, auch auf diefem Wege zu
bedeutenden Leitungen aufzufteigen.
Die ftärkften Gefahren fdjeinen mir in jener Malerei zu lauern, welche die Natur
ganz zurückläßt, weil fie allein auf den Ausdruckswert von Formen und Farben ver-
traut. Sie fiel)t in der Wiedergabe der Natur nur einen Umweg, aber in der Kunft
braucht der gerade Weg nicht immer der befte zu fein. Machen wir uns an der Gand
zweier Beifpiele einmal klar, welche Rolle die Einführung der Natur im Kunftwerke
fpielt. Das erfte ftellt in Silberftift gezeichnete Fjände von Leonardo da Vinci dar
(Abb. 22). Es find fchmale, langfingerige Frauenhände, die aus eng anliegendem Kleide
kommen, und fo fließt die Kurve des Ärmels weich in den Umriß der Fjände über.
Die zarte Schattierung und der milde Schmelz des Lichtes erhöhen noch die Anmut
diefer edlen Fjände.
Daneben in Pinfelzeichnung ein Paar Fjände von Albredjt Dürer (Abb. 23), Männer-
hände, nicht unedel, aber durchgearbeitet und reich geädert. Dazu betend zufammen-
gefchloffen und alfo fchon im Inhalt bedeutfamer, als die läffigen Bewegungen der
Leonardo-Fjände. Wie anders fteigen fie fchon aus den Ärmeln, die fich mit bewegter
Krempe umfchlagen: hier geht es heftiger in den Linien zu. Der Umriß ift knorriger,
die Binnenzeichnung verwurzelter. Das Licht glimmt nicht weich aus den Schatten
heraus, fondern durchzuckt lebendig die dunkleren Partien.
Nun ift es klar, daß Leonardo die weiche Kurve feines Linienfluffes, den zarten
Schimmer feines Lichtes auch ohne das Subftrat weiblicher Fjände ganz an fich hätte

1 Die Äuffä^e von Prof. Landsberger aus den Fjeften 19—22 erfebeinen unter dem Eitel:
Landsberger, „Impreffionismus und Expreffionismus. Eine Einführung in das Kiefen der neuen
Kunft“ in Buchform mit 24 Abbildungen im Verlag von Klinkbardt & Biermann, Leipzig. Das
Buch koftet in Pappband M. 5.—.

Der Cicerone, XI. Jahrg., Heft 22

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