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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 12
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Ausheilungen

Über die Herkunft des Blattes ipt nur bekannt,
daß es aus der Verweigerung Fjebicß in Berlin
1885 ftammt, wo es durch Frederick Locker er-
worben worden war. Fj.
Stuttgart
Das Mufeum vaterländifcber Altertümer
verfendet foeben einen Bericht über die Tätigkeit
in den Jahren 1914—18, der an Fjand ausgezeich-
neter Illuftrationen dartut, daß es der Leitung
diefes Mufeums gelungen ift, eine ganze An-
zahl ebenfo erftklaffiger wie für die Kunftge-
fchichte Schwabens bedeutfamer Neuerwerbungen
durchzuführen. Programmatifch wichtig erfcßeint
in diefem 3ufammenßang die Befchränkung auf
die Vergangenheit der engeren Fjeimat.
Ausheilungen
Max Beckmann 3ur Ausheilung feiner
neueften Arbeiten in Frankfurt a. M.
Max Beckmann hatte feit Jahren keine Bilder
mehr ausgeftellt. Der Krieg nahm ißn in Flan-
dern als Krankenträger in Anfpruch. Es erfchien
von dort ein Bändchen Briefe, Dokumente künft-
lerifcher Erfchütterungen von zurückgehaltener
Glut, mit einigen 3eicF>nungen; auch Radierungen
fah man, die auf tiefe Erregungen durch das
Erlebte hindeuteten und nach neuen Formen
Juchten. Seit 1916 konnte er wieder in der
Fjeimat fich feiner Arbeit hingeben und den ihn
bedrängenden Gefiepten Raum fchaffen. Von
dem, was er in diefen Jahren gemalt und radiert
hat, ift nun ein großer Beil von der „Vereinigung
für neue Kunft“ in Frankfurt ausgeftellt, und vor
allem das (Hicßtigfte: die lebten Refultate feines
Kampfes um eine neue Malerei.
Es ift keine Ausftellung, die einen Überblick
über die Art diefes merkwürdigen und großen
Künftlers zuläßt. Man fieht keine Übergänge. Die
Brücken von feinem früheren Schaffen her feßei-
nen abgebrochen, öder den Beckmann von 1913
kannte und bewunderte, mag beim erften An-
blick erfchreckt ftehen vor einem fo radikalen
(Handel des Stils. Es gibt wohl fcßwerlich ein
Beifpiel in der neueren deutfehen Kunft, daß
fich innerhalb weniger Jahre ein derartig gründ-
licher dmfehwung malerifcher Anfcßauung voll-
zogen hätte. Corinths (Handlung ift nichts als
ein taftender Kompromiß des Unzulänglichen.
Man muß an größere Beifpiele denken: an den
jähen Aufftieg van Goghs von den Erdäpfel-
effern zur Arlefierin; an das einzigartige Auf-
blühen von Picaffos Kubismus aus der Schwer-
mut feiner „blauen 3mt“ heraus. Ein (Hunder

vollzog fich in keinem von all diefen Fällen:
nur latent hatte das Hnerhörte in der alten Form
gefchlummert; es kam feine 3eü. und der ent-
faltete Sommervogel ftieg aus der Fjülle. So
konnte ein gefchärfter Blick feßon in den Ge-
mälden Beckmanns aus feiner impreffioniftifchen
3eit den Keim zu feinem heutigen herausfinden.
Selbft die erregende Farbigkeit, die aus dem
grauen Gefamtton bricht, ift in Bildern wie der
Ausgießung des heiligen Geiftes und Kleopatra
vorgeahnt; und daß Beckmann von Anfang an
jenfeits des rein Optifcßen, Schulmäßigen des
deutfeßen Impreffionismus ftand, daß er (Hege
zum Vifionären fueßte, hat auch Karl Scßeffler
längft vor dem Kriege anerkannt und mit be-
forglicßer Erwartung unterftrießen. Er hat feßon
damals nichts anderes gefueßt als einen Ausweg
aus dem Dilemma zwifeßen malerifcßem Selbft-
zweck und Intenfität des Ausdrucks. Expreffio-
niftifeße und kubiftifeße Experimente lehnte er,
wenn es fein mußte, mit Schroffheit ab; er
mußte feinen eignen (Heg finden. Der Krieg
ßat, man kann nicht fagen: feine Entwicklung
befcßleunigt: er ift ißm zu formfeßaffendem Er-
lebnis geworden. Nicht das Inhaltliche feiner
Radierungen aus Lazaretten und Leicßenßäufern
fteßt ßier in Frage. Selbftverftändlicß ift es, daß
erft jenfeits alles Stofflichen das Problem be-
ginnt. Die Übergänge zu 1918 liegen in Land-
feßaften und Bildniffen: dies beweift genug, daß
wir es ßier mit Fragen der Form und nicht des
Gegenftandes zu tun haben. Das letzte Geheimnis
einer fo grundftürzenden (Handlung wird freilich
fieß aber (Interjucßung, allem bloß Deßnierenden
entziehen. Es muß gefühlt werden. Aber es ift
da und weift mit ungeheurer Nachdrücklichkeit
auf einen inneren 3ufammenßang zwifeßen dem
Erlebnis unferer 3eit bei Beckmann und feinem
neuen Stil.
Beßerrfcßt wird der gefamte Eindruck von
der Erias der „Kreuzabnahme“, „Cßriftus und
die Sünderin“ und „Die Nacht“: dies ift der
neue Geift in feiner Kunft und ein mächtiges
3eicßen, wie eine erregte 3eit fiel) Symbole
ißres 3uftandes feßaffen kann.
(Häßrend die beiden religiöfen Bilder den alten
Motiven eine Innerlichkeit und Schmerzlichkeit
verleihen, die köftlicß ift wie auf gotifeßen Glas-
gemälden, verfueßt die „Nacht“ auf unbetretenen
Pfaden hinter die dunklen Geßeimniffe der Gegen-
wart zu kommen. Ein Gleichnis des Graufigen
und Verworrenen in unferen 3uftänden erhebt
fieß, und das Labyrintßifcße der Form entfprießt
genau dem (Infagbaren in dem Cßaos der Dar-
ftellung: Menfcßen, die fieß gegenfeitig um-
bringen, eine Exiftenz, deren Entfern zum


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