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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 22
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Behne, Adolf: Werkstattbesuche, 2, Jefim Golyscheff
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0756

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Werkftattbefud)e

II. Jefim Golyfrfjeff

Mit 4 Abbildungen

Von ADOLF BEHNE

Jefim Golyfcßeff ift die abfolute Refpektlofigkeit. Sein Leben hat vielleicht einiges
dazu beigetragen, in ißm einen großen Refpekt vor den Menfcßen nicht erft auf-
kommen zu laßen.
Jeßm Golyfcßeff ift 1897 in Charkow geboren. Er ift ein mufikalifcßes Wunderkind.
Äls Junge Geiger, Dirigent, lernt er ßalb Europa kennen ... in abfoluter Selbftändig-
keit. 1911—1913 Weltreife als Dirigent. „Ich habe miterlebt die Krönung in Delßi,
Cripoliskrieg und Cßinarevolution in Canton plus Berlin neunten November 1918!!“ —
Aufführung einer Symphonie Golyfcßeffs durch) das Pßilßarmonifcße Orcßefter Berlin
unter dem Dirigenten George Weller. Sie gibt den Mufikkritikern aller Schattierungen
willkommene Gelegenheit, die alten Wiße, die ißnen vor zehn Jahren die Kollegen
von der bildenden Kunft vorgemacßt haben, zu wiederholen. Damals waren es an Efel-
fcßwänze angebundene Pinfel mit Farbe, deren Niederfcßläge auf eingeraßmter Leinwand
die Kubiften entzückten. Diesmal werden die Notenblätter verwechselt, ohne daß der
Komponift etwas bemerkt. Ein Fjerr Storck erzählt, fcßmunzelnd über feine alten
Kalauer, im Lürmer: „Es foll nachträglich fiel) nun ßerausgeftellt haben, daß in der
Probe bei der Verteilung der Blätter ein Verfeßen unterlaufen war, fo daß die ver-
feßiedenen Gruppen des Orcßefters zur felben 3eit verfeßiedene Ceile des Werkes ge-
fpielt hatten. Das Scßönfte aber ift, daß weder der anwefende Komponift noch) der
Dirigent etwas von diefer Verwechslung gemerkt haben“ . . .
Golyfcßeff erfindet neue mufikalifcße Inftrumente. Er dichtet. Er macht Kinderfpiel-
zeuge und Plaftiken und kunftgewerblicße Arbeiten. Er malt und entwirft Architekturen
(Ausftellung unbekannter Architekten Berlin 1919) — Ausftellung feiner 3eicßnungen
in der Dadaiften-Ausftellung bei I. B. Neumann, April 1919 und in der Großen Berliner
Kunftausftellung (Novembergruppe). * *
*
Mancße Leute zerbrechen fieß den Kopf darüber, wo der junge expreffioniftifeße
Nachwuchs bleibe. Jefim Golyfcßeff ift 22 Jahre alt, alfo doch) offenbar eine neue
Generation nach) den Feininger, Marc, Scßmidt-Rottluff. Einige der älteren Expreffio-
niften „leßnen ißn ab“. Ift das nicht die befte Beftätigung, daß junger Nachwuchs da
ift und daß man fieß das Kopfzerbrechen feßenken darf — vielleicht aber auch), daß
der Nachwuchs nicht „expreffioniftifcß“ fein wird!?
Warum leßnen einige der Expreffioniften Jefim Golyfcßeff ab? Weil Golyfcßeff
dureß feine Arbeiten am Expreffionismus Kritik übt — und nicht oßne Berechtigung.
Die Kritik Golyfcßeffs trifft nicht die Leiftung der Expreffioniften, folange fie im Fluß
ift. Sie trifft die Leiftung der Expreffioniften erft von dem Moment an, wo die Expreffio-
niften — „Expreffioniften“ werden, wo fie ißre lebendige, unendliche Schaffensfreude aus
ißrem Werk ziehen, wo fie ßiftorifcß werden, typifcß, cßarakteriftifcß, endlich! Jede ge-
ringfte Neigung zur Erftarrung reizt Golyfcßeffs kluge und immer ßelle Refpektlofigkeit.
Offenbar ift doeß eineNeigung zur Erftarrung im Expreffionismus vorhanden. Nicht feiten
ift aueß bei den Beften der noch) Schaffenden ein leifes Gefüßl der Abwehr gegenüber
etwas Neuem, Jungem, das anders ift, fpürbar. Es wäre wirklich grotesk, wenn auch der
Expreffionismus eines feßönen Cages Akademie würde und „unreife Jungens“ refüfierte.
Denn das glaubt doeß woßl hoffentlich niemand, daß der Expreffionismus die leßte
rettende Lat der Kunftgefcßicßte ein für allemal fei.

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