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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 14
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Kunstpolitik
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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0486

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Ausheilungen

Gebiet der Kunft gilt das öüort aus dem Patica-
tantram: „Dinge, die ihre Sache nicht [ind, müffen
Verftändige meiden.“ Nur in Köln glaubt man,
Sachkenntnis fei das Allergefährlichfte. L.
Äusftellungen
Berliner Husfte 11 ungen
Kurt Sdjwitters im „Sturm“
Arbeiten von Schwitters fah man bereits auf
früheren Ausheilungen des Sturm. Kubiftifche
Äbftraktionen, die durch dunkle Färbung Ver-
wandtfchaft mitBurljuk zeigen. Schon in ihnen
fühlte man die Neigung zu roftigen und „ftau-
bigen“ Halbtönen. Die „Eifenbetonftimmung“
ift typifch als Stimmungsmotiv, Jeßt treten als
neues Moment die fogenannten Merzbilder hinzu
(die Ethymologie bleibt Geheimnis des Malers).
In der Kunft der Primitiven fpricht das Erlebnis
vom finnlichen Anreiz der Materie überhaupt
als bedeutender Faktor. Auch Picaffo fpielt ge-
legentlich mit ötlatteflaum und der COirkung von
gefprenkeltem Fjolz. Schwitters in feinen Arbeiten
führt diefe Gerümpelromantik erneut zur lebten
Konfequenz und erreicht durch Verwendung der
Gegenftände felbft das ungegenftändliche Bild-
ganze, eine Art expreffioniftifcher Genrekunft.
Im „Kindermärchen“ z. B. baftelt er auf gelb und
grüner Untermalung aus roftigen Spiralen, Rad-
teilen ein Relief. Ein Drahtnetz fpannt über
Holzplatten. Dazwifchen fpringt plötzlich Druck-
fchrift hervor. Die Dinghaftigkeit des Rahmens
wird natürlich mit verarbeitet, bietet willkom-
menften Anlaß zur Geftaltung. In den 3eich-
nungen findet man noch eine dritte Art: die
Aphorismen, kleinfte Bildwirkung auf größerer
Fläche. Von künftlerifchem tüollen in öüorten
einen anderen Begriff zu geben als das Erlebnis,
bleibt immer ein öUiderfinn; zufammenfaffend
als äfthetifche öüertung kann man fagen, daß
Schwitters ein Mittel fcßafft zwifchen Stucken-
berg, dem führenden Künftler des deutfchen
Kubismus und den Arbeiten der Dadaiften, vor
allem R. Hausmann. ÖCIalter Mehring.
Freie Sezeffion Berlin 1919
Das Vorwort des Ausftellungskatalogs be-
hauptet, daß der Krieg nur 3erfeßung und Auf-
löfung hinterlaffen habe und daß ein Aufbau
noch nicht denkbar wäre. Das klingt wie eine
captatio benevolentiae. Die Kunft von geftern
und heute werden fich immer vertragen, wenn es
nur gute Kunft ift, aber da liegt der Hafe im
Pfeffer, man fieht erftaunlich viel innere tln-
ficherheit, die fich unter dem Cachet von Stil-

mifchungen birgt, während die Künftler, denen
eine innere Notwendigkeit ihr Schaffen diktiert,
gezählt find. Alles was noch gemäßigt ift, was
malerifcße Kultur noch mit Exaktheit der 3eich~
nung verbindet, leitet fich von Paris her- lüie
wenig Maler von weltumfpannendem Einfluß
hat es doch gegeben. Ende des 14. Jahrhunderts
malt man von Spanien bis Rußland wie Giotto,
Ende des 16. Jahrhunderts von Italien bis Holland
wie Michelangelo, Anfang des 20. Jahrhunderts
von Moskau bis New York wie Cezanne. Der
fublime Farbgefchmack und die Vergeiftigung
der Malerei Cezannes bedeuten für die Sezef-
fioniften, die daran gelernt hüben, durchaus
keineVerfklavung, fondern einen inneren Gewinn,
denn fie haben alle etwas anderes daraus zu
machen gewußt. öQas GCIolf Röricßt (in Land-
fcßaften) und Rudolf Großmann (befonders in
der Crinkhalle) zu fagen haben, ift von herberer
und fefterer, verftandesmäßigerer Art als die
feine gefülltere Kunft der beiden Hamburger
Ahlers-Heftermann und Friedrichs. Ahlers-Hefter-
mann, bei Gurlitt zurzeit in einer Sammelaus-
ftellung zu genießen, ift Idylliker. In den gern
auf ein wundervolles hebes Blau geftimmten
Bildern ift die weiche Süßigkeit der Farben
einer verträumten Anmut der Stoffe adäquat.
Friß Friedrichs ift von gleicher Kultiviertheit des
Farbgefchmacks, aber dunkler, fonorer. Die
ftrenge Vertikalität feines Selbftbildniffes kann
nicht über die zarte feelifcße Grundftimmung tun-
wegtäufchen. Aus der anderen Quelle moderner
Kunft, aus van Goghs Flammenftil hat Gheo
von Brockhufen feine Kunft entwickelt. Man
gewinnt aus den zwei Dußend Bildern feines
Nacßlaffes den Eindruck, daß er nicht viel Neues
mehr zu fagen gehabt hätte. Im Jahre 1913 in
Italien hat er unter dem Einfluß der Kunft des
Landes auch das große religiöfe Hiftorienbild ge-
pflegt: riefige Leinwände von erfcßreckend leerer
Auffaffung. Seine Stärke lag im Landfcßaftsbild,
(Ueiträumigkeit wußte er mit zwingender Ge-
walt zu meiftern, und Bilder wie die Arnobrücke
1913 und Cölz 1917 werden fich in jeder Um-
gebung halten.
Die zukunftweifenden Faktoren diefer Aus-
heilung fpiegeln das Ringen um Entmateriali-
fierung in der Kunft und fpalten fich nur fcheinbar
in zwei Richtungen. Die einen, von orgiaftifcßer
ürfprünglichkeit im Farbgefchmack, fteigern Farbe
und Flächenrhythmik zu neuer Ausdrucksgewalt,
die andern erftreben Gegenftandslofigkeit in der
Kunft, indem fie die Gegenftände der Form ent-
kleiden und die prismatifchen Flächenbrech"
ungen mit Farben erfüllen, die aus einer geiftig-
künftlerifcben Einheit, nicht aus der Einheit der

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