Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

DOI Heft:
Heft 21
DOI Artikel:
Schmidt, Paul Ferdinand: Max Beckmann
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0703

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Max Beckmann MS Abbildungen / Von PAUL FERD. SCHMIDT
Man kann nießt daran zweifeln, daß die heutige Kunft notwendiger Äusdruck
unferer Seelenverfaffung ift. Die nationale Teilung tritt aueß ßier feßr deutlich)
in Erfcßeinung: die formale Löfung — Kubismus und „Neuklaffizismus“ der
Matiffefcßule — auf feiten der romanifcßen Völker; der Äbdruck des Seelifcßen als
nordifcßes Erbteil bei der Kunft der Germanen von Muncß bis Fjeckel und Meidner.
Ausnahmen wie Feininger können darüber nießt ßinwegtäufcßen. Und den ftrikteften
Beweis für die Unwiderfteßlicßkeit der Idee ßat die Entwicklung Max Beckmanns geliefert.
Aueß in feiner Früßzeit war Beckmann kein eigentlicher Impreffionift. Er fucßte nie,
wie der ißm fonft verwandte Rösler, das Objektive der Natur und des Licßtes; ißm
war die paftofe Malerei im Grunde nur ein Fjemmnis auf feinem (Hege. Kein Bild
von ißm, kaum nebenfäcßlicße Studien, galt der optifcßen Erfcßeinung, ißm verwandelte
ficß gleichermaßen Mythologie und Landfcßaft, Bildnis wie Alltagsgefcßeßnis in düftere
Kataftropßen. Es lag faft wie ein Verhängnis über ißm, daß er feine feßwermütigen
oder wilden Vifionen in die Uecßnik des Naturalismus einkleiden mußte, wobei Geßalt
und Form nießt aufeinander paßten und troß aller feßönen Malerei immer etwas Un-
befriedigendes blieb. Es war nießt feßwer, das einzufeßen und ßernaeß je naeß dem
eingenommenen Standpunkt gegen die Form oder gegen die Idee auszufpielen. Aber
es war feßr feßwer für den Künftler, ficß zu der tätigen Einficßt des Notwendigen
dureßzufinden, weil dergleichen (Handlungen nießt im Gebiet des (Hillens liegen, fon-
dern im Unbewußten der notwendigen Entwicklung vor ficß geßen. Desßalb wies
Beckmann aueß alle „expreffioniftifeßen“ Verfucße von ficß und beßarrte dabei, es ficß
feßwer zu maeßen. Die Frucßt folcßer Arbeit ift nun eine Sicßerßeit des Stiles, die
kaum ein anderer Maler befißt; aber aueß er ift ißm nießt über Nacßt gekommen, die
leßten Jaßre ßaben ißn langfam gereift.
(Hie das fureßtbare Ereignis des Krieges zu der inneren Stilwandlung fteßt, ift fo
feßwer zu erklären, wie es einfach feftzuftellen ift, daß jene in die Kriegsjaßre fällt,
als unmittelbare Folge feiner Anwefenßeit an der ßandrifeßen Front. Die unfreiwillige
Muße als Sanitätsfoldat, die ißm allerdings zu zeießnen, ßin und wieder aueß zu malen
erlaubte, ßat die Einkeßr in ißm vollzogen. Aber in welcßem Kaufalnexus fteßt fie zu
der Veränderung des Stils, die troß der allmäßlicßen Umbildung fo grundftürzend ift,
daß es für einen Unbefangenen feßwer fein mag, den alten in dem jetzigen Maler
Beckmann wiederzuerkennen? Solange wir überhaupt nießt in das geheimnisvolle
Räderwerk des Menfcßengeiftes ßineinfeßen können wie in eine Mafcßinerie, werden
wir dafür fcßwerlicß eine befriedigende Antwort finden. (Hir müffen uns begnügen
feftzuftellen: daß feit feiner Fjeimkeßr \q\§ Beckmanns Bilder eine veränderte Fjaltung
anneßmen; daß er die große barocke Unruße des Malerifcßen allmäßlicß aufgibt und
die Uiefenerftreckung, kurz alles Illufionäre und Natürlicß-Ricßtige abftreift und zu einer
feßr engen, feßr konzentrierten Raumanfcßauung und zur Verzerrung der organifeßen
Formen übergeßt.
(Hie aber alles in feiner Kunft mit Notwendigkeit gefeßießt, fo vollzieht ficß aueß
diefe Entwicklung mit einer organifeßen Folgerichtigkeit aus feiner naturaliftifeßen Art
ßeraus. Der Gegenftand fpielt dabei keine Rolle. Die Radierungen von der Front
und aus Lazaretten unterfeßeiden ficß nießt im geringften von Darftellungen aus dem
Großftadtleben, Bordellen, dem Irrenßaus; und es ift zu bemerken, daß gerade die
Radierung und die 3eicßnung, bei denen die Umbildung einfeßte, länger ein impreffio-

Der Cicerone, XI. Jaljrg., geft 21

51

675
 
Annotationen