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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 7
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Hoetger, Bernhard: Der Bildhauer und der Plastiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0187

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Der Bildhauer und der Plaftiker
Mit 5 ganzseitigen Abbildungen Von BERNHARD HOETGER
Die Plaftik ift dem Bildhauer notwendiges Element, ift fein Keim, [ein Leben. Sein
Leben ift Rhythmik. Er fühlt durch [ie, lebt durch) [ie und [tirbt durch) [ie. Im
Äufbau diefer Rhythmik liegt [ein Lebensziel. Jede Sichtbarmachung diefer
Rhythmik, bewegt durch die Setmfuch)t nach Formwerdung, ift ein äfthetifcher Äufbau,
ein Bekenntnis, ein notwendiges Gehorchen feinem inneren Drange nach neuer Befeelung,
nach Feuer, nach Leben: ift 3eugung. Der Schoß der Mutter trägt den Rhythmiker
der Plaftik, den Rhythmiker der Form und Farbe. Der Bildhauer aber und der Maler
ift nicht, fondern er wird. Das HIerk wird durch die Fjand, ift endlich begrenzt, ift
eine Einordnung in unfere faßbaren Gefet^e — in unfere Hielt. Kunft wird nicht durch
Einficßt oder Änfchauung, nicht durch Phnlofophie, nicht durch einen 3weck, der [ich
weltlich beftimmen ließe. Sie wäcßft ganz aus [ich, treibt aus ihrer Geiftigkeit zum
Licht, möchte ihren eignen Schatten erleben, möchte [ich als taftbares, denkbares, fühl-
bares oder hörbares Sein auswirken. Sie wird auf dem Ältar des erotifdßen Feuers
künftlerifchjen Seins geboren, durch die Fjand und die faßbare Begrenztheit (Form) der
Hielt übermittelt.
So ift Kunft Hielt und Geift zugleich- Diefer faßbar fichjere HIeg ift die Bindung.
So ift Kunftwerk weltgehörend, menfchlicl), körperlich umfchließbar mit menfchlichem
Geift. Kunft ift Schauung und wird gefchaut. HIeltanfchauungen fchjaffen keine Kunft,
fchaffen auch keine Plaftik. Plaftik ift auch keine Kunft, ebenfowenig ift Bildhauerei
Kunft. Bildhauerwerk ift Kunft, wenn die plaftifche Rhythmik den Schaffenden be-
herrfchte und fein Feuer notwendig wurde durch die geiftige Sehjnfucht nach Form-
werdung. Unter gleichen Gefeiten wird auch Plaftik Kunft. Das Bildhauerifche ift
höher als das Plaftifche. Ein Bildhauer muß Plaftiker fein, ein Plaftiker ift nicht
immer Bildhauer. Der Plaftiker hat den Rhythmus der Form, Maffe und Raum, der
Bildhauer hat noch dazu das Blockgefühl, die HIeltbegrenzung und die Einordnung.
Der Bildhauer hat diefe bindenden Gefet^e aufgefogen zu feinem notwendigen Gleich-
gewicht. Er braucht diefe fefte Umgrenzung, um innerhalb diefer frei zu fein, damit
man die menfct)liche Fjand erkenne und den HIeg zum Geiftigen ungehinderter findet,
damit die HIeite hinter den Dingen noch offener und weiter klinge, unendlich fei.
Der Künftler, der Bilder aushaut, der fchiöne Frauenleiber meißelt, der erregte Gefühle
in den Jünglingskörper ewigt, der wunderfame Linien auf dem Rücken ekftatifd)
ergriffener Mädchentorfen meißelt, der den Körper edler Schönen im Geifte der 3ßit
formt, in Erde knetet und gräbt oder felbft in Granit fchjlägt, der, welcher mit dem
göttlichen Gefühl der Rhythmik die gegenfäfelichften Formen auftürmt, fie [teil hinauf
richtet, fie in wagerechten, in kubifdßen Maßen untergehen läßt, fie hochhebt, zur
Lebensgefte führt — zeugt Kunft, haut Bilder, ift Plaftiker aber kein Bildhauer.
Ärchipenko, der uns erft durch die ftraffe Erkenntnis des um die Moderne höchjft
verdienten FJerwarth) HIalden bekannt wurde, ift wohl der begabtefte Plaftiker unferer
3eit, ein fabelhafter Künftler mit dem weiteften Geficht für plaftifche und rhythmifche Form.
Hlilliam Hlauer fchreibt in einer Befprechung über diefes D)ema: „Flächen leben im
Licht, Linien fchjwingen im Rhythmus.“ HIenn er Plaftik damit meint, fo müßte es wohl
Form ftatt Fläche heißen, denn Fläche, in diefem Falle angewandt, würde Architektur
bedeuten, und von diefem Gefet} aus orientiert, würde man höchstens bis zur Laub-
fägearbeit durchstoßen können.

Der Cicerone, XI. Jahrg., Heft 7.

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