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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 7
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Wolf, Paul: Die Kleinwohnung - eine Forderung künftiger deutscher Baukultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0198

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Die Kleinwohnung — eine Forderung künftiger deutfcßer Baukultur

neue Arbeiter aber „geßt“ zur Fabrik, der Privatbeamte ins Gefcßäft. Es vollzog
fiel) eine Trennung von Kloßn- und Arbeitsftätten. Da beide erft gefd)affen werden
mußten und für beide Arten, für die Maffenkleinwoßnung fowoßl wie für den In-
duftriebau, die Arbeitsftätte felbft, es an Vorbildern fehlte, die Entwicklung aber nicßt
vorbereitet war, fo mußten die Stadterweiterungen Formen anneßmen, wie wir fie
ßeute überall vor Augen ßaben. Die Arbeiter wurden in der Näße der Fabriken an-
gefiedelt, bei fortfeßreitender Entwicklung aber entftand dadurch im Laufe der 3^it
ein Cßaos von Induftriebauten und deren Erweiterungen und von Kloßnftätten, das
planlos Straße an Straße, Baublock an Baublock, Stadtviertel an Stadtviertel reißte, fo
daß eine Scßeidung zwifeßen Induftriebauten und Kloßnungsbauten aueß nicßt einmal
ftraßenweife vorgenommen wurde.
Mit der Jaßrßundertwende klärte fieß langfam das Formproblem der neuen Stadt
und füßrte zu einer planmäßigen Trennung von Kloßnquartieren und Induftriequartieren.
Kleitfcßauende Fabrikßerren begannen einzufeßen, daß es in ißrem eigenften Intereffe
lag, gefunde Arbeiter zu ßaben und gefunde Kloßnungen für fie zu feßaffen. Vor
allem aber begann dureß die gemeinnützige Tätigkeit von Baugenoffenfeßaften ein
ümfeßwung zum Befferen fieß zu vollziehen, und der Gartenftadtgedanke war vor
Ausbrucß des Krieges aueß in Deutfcßland ßeimifcß geworden, er füßrte vor allem zum
Bau von Gartenvorftädten in der Näße der induftriereießen großen Städte. Da braeß
der Krieg diefe Entwicklung jäß ab. Der vor dem Kriege feßon befteßende Mangel
an Kleinwohnungen ßat dureß die 41/2jäßrige Gnterbrecßung der Bautätigkeit zu einer
Kleinwoßnungsnot gefüßrt. Für meßr als vier Jaßrgänge feßlen die Beßaufungen,
naßezu eine Million Kloßnungen müffen in Deutfcßland neu gefeßaffen werden. Der
faft völlige Mangel an Bauftoffen, die Schwierigkeit der Geldbefcßaffung, vor allem
aber die ungeßeure Verteuerung der Baukoften — fie betragen zurzeit das 3—31/2facße
der Friedenspreife — dies alles ftellt uns vor ein Problem von außerordentlicher Grag-
weite und Verantwortung. Eine der erften Gaten der Nationalverfammlung war daßer
die Bewilligung von 300 Millionen Mark für Baukoftenzufcßüffe des Reicßes. Die
Überteuerungskoften für Kleinwoßnungsbauten müffen den Baugenoffenfcßaften und
Bauunternehmern erfet^t werden, fie werden zur Fjälfte getragen vom Reicß und zu je
einem Viertel vom Staat und von den Gemeinden.
Die Baukunft in Deutfcßland wird auf Jaßre ßinaus unter dem 3cicl)en des Klein-
woßnungsbaus fteßen. Ein foziales Kulturprogramm von ßöcßfter Bedeutung tut fieß
vor uns auf. Ganze, ausgedehnte Stadtteile werden neu erfteßen. Für fie den künft-
lerifcßen Ausdruck zu finden, wird die näcßfte Aufgabe der deutfeßen Baukunft bilden.
Die ideale Kloßnform wird immer das Einfamilienhaus mit Garten fein, aueß für die
Kleinwoßnung. (Abb. 1.) Klar es aber feßon vor dem Kriege in den Gagen wirtfcßaftlicßer
Macßtentfaltung Deutfcßlands, namentlich in den Großftädten, nur in befeßränktem
CImfange möglich, Kleinwohnungen als Einfamilienßäufer mit Gärten zu bauen, fo liegt
diefe Schwierigkeit ßeute in nicßt geringerem Maße vor.
Klir müffen daßer vorerft aueß mit der weiteren Verwendung des Mietsßaufes, d. ß.
des Stockwerksßaufes in gefcßloffener Bauweife reeßnen und diefe Fjausform [o ent-
wickeln, daß die Kloßnungen gefund und feßön fieß geftalten. Das Mietshaus ift ein
Produkt, das in der Maffe auf den Kloßnungsmarkt geworfen wird, es befriedigt nicßt
die individuellen Klünfcße eines einzelnen Bauherrn, fondern ftellt einen Gyp dar, der
für jeden Mieter paffen muß, in dem die Möbeltypen untergebraeßt werden müffen,

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