Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

DOI issue:
Heft 17
DOI article:
Uphoff, Carl Emil: Paula Modersohn
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0560

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Immer wieder ftammelte Paula Mo-
derfohn vor fiel) [elbft in Inbrunft: „IcI)
liebe das Leben. Ich) liebe die dielt.
Id) liebe die Farbe. Id) liebe di«
Kunft.“
Lieben aber l)eißt, fiel) an etwas
reftlos geben und etwas reftlos nehmen
können mit dem eigenen, ganzen, un-
geteilten dlefen. Und je mehr icl) dies
vermag: das Leben nehmen in feiner
Fülle und mid) il)m geben aus meiner
Fülle —, je mehr id) in il)m bin und
es in mir, defto ftärker wird das fein,
was das Leben aus mir und was icl)
aus il)m ßeraus erfeßaffe.
Das Kunftwerk ift die Frucßt aus der
liebenden Vereinigung des Künftlers
mit dem Leben. Es ift im Einblick
auf feinen dlert gleichgültig, wer von
beiden jeweils der befruchtende oder
der empfangende Feil ift, denn nur die
Form des Kunftwerkes, aber nicht die
Stärke, nicht die Lebensfülle wird
dadurch beeinflußt.
dlir verlegen heute viel zu fefir das
Schwergewicht auf die Frage, ob ein
Kunftwerk die Perfönlidjkeit feines Ur-
hebers, feines künftlerifd)en Stand-
punktes zum Leben oder feiner Kunft-
anfehauung offenbart, dlir find ge-
neigt, es als befondere Qualität des
dlerkes und als Beweis für die be-
fonders ftarke Veranlagung eines Künft-
lers zu fchä^en, wenn vor allem feine
Perfönlid)keit es ift, die uns ent-
gegentritt und uns feffelt. Uns ift viel
von dem Empfinden dafür verlorengegangen, daß das Kunftwerk ein in allen feinen
Feilen gegeneinander ausgewogenes Ganzes fein muß —, daß alfo weder der Gegen-
ftand noch der Schaffende in il)m die Oberherrfd)aft haben darf, foll nicht die Fjarmonie
zerftört werden, die das dlefentliche eines jeden wirklichen Kunftwerkes ausmacht.
Der Kunftgenießende und fogar der Kunftgeleßrte pflegt heutß in vielen Fällen an
dlerken, die namenlos find oder deren Urheber noch unbekannt find, achtlos vorbei-
beizugehen. Dem Menfdßen gilt zuerft das Intereffe und erft dann der Kunft. Und
der Kunftfcl)affende hat fiel) mel)r und mehr dazu h^beigelaffen, demgemäß zu ver-
fahren. Statt künftlerifcher Schöpfungen gibt er mit Vorliebe Darftellungen feiner mehr
oder weniger programmatifd) gebundenen Stellung zum Leben oder zur Kunft. Vor


Äbb. 1. Paula Moderfobn. Selbftbildnis.

536
 
Annotationen