Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0674
DOI Heft:
Heft 20
DOI Artikel:Uphoff, Carl Emil: Der organisierte Künstler
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0674
daß das Leben -— alfo auch die Kun[t —
fiel) nur der Form, nie dem Sinne nacl)
wandelt. Er ift die fießtbare Manifeftation
des Unwandelbaren, Unendlichen. Er ift die
Brücke aller 3eiten und zeitlichen Gegen-
fäße. Er ift Vergangenheit, Gegenwart und
3ukunft zugleich-
Der echte Künftler ift nie parteiifd). Ulenn
er auf das Befondere ausgeht, fo nicht darum,
weil er Gegner des Allgemeinen ift, fondern
weil das Befondere das ift, worauf es allein
ankommt. Er entkleidet das Leben feiner
zeitlichen Umhüllungen, feiner Moralitäten
und Ämoralitäten, feiner UIal)rl)eiten und
feiner Lügen. Er holt es aus den Leichen-
fchreinen der Gefd)icl)te, aus dem Schutt der
gegenwärtigen Intereffen und aus dem Dunkel
der3ukunft hervor und zeigt, wie feineFormen
fiel) wandeln, wie fein Sinn jedoch bleibt-
Der Ällgemeinmenfd) treibt mit dem Le-
ben ein kindliches Verfteckenfpiel. Er fud)t
feinen Sinn hinter den Dingen und bemüht
fiel) vergebens, fie fortzuräumen, um hinter
ihnen den Sinn, die „Ulahrheit“ zu finden. Oder er fchafft fiel) einen Standpunkt dem
Leben gegenüber und will es aus der Perfpektive begreifen. Als Dreimalweifer macht
er Gefet^e und bildet fiel) ein, das Leben tue ihm den Gefallen und gehorche ihnen.
Oder er fcl)art fiel) zu Fjerden zufammen und redet fiel) ein, das „graufame, böfe,
menfd)enfeindlid)e“ Leben auf diefe (Ueife beffer zwingen zu können. Fühlt er fiel)
endlich genarrt —, ift er des „irdifchjen Creibens“ müde geworden, fo begibt er fiel)
auf die Flucht, fcl)leudert dem Leben ein heldifdjes Nein entgegen und ftirbt mehr oder
weniger in Schönheit, vermeinend, daß das vertrackte Leben ißm in das Nichts oder
das beffere Jenfeits nicht folgen kann.
So gefchah es bis geftern in taufend-taufend Variationen. Fjeute tut fiel) der All-
gemeinmenfd) in Maffen zufammen, um das „alte Leben“ abzuwürgen und das „neue
Leben“ zu beginnen. Das alte Leben konnte trot$ des höchsten Aufwands von Ver-
nunft nicht zur Vernunft gebracht werden. Man glaubte es fcl)on zu haben, da brach
es aus den Fjürden rings um die Erde. Man glaubte es fd)on beinahe vergeiftigt,
d. h- lammfromm, gut und ungefährlich, da brach es aus den Menfchen felbft als Beftie
aller Beftien hervor. Aber nun ift’s wirklich genug mit feiner Lücke! Nun fchart fiel)
Freund und Feind, Eigenbrödler und Vereinsmeier zufammen, nun bilden fiel) aller-
neuefte Organifationen, Räte, die ratlos find, weil fie aus lauter Ratlofen beftehen und
Völkerbünde, beftehend aus mit Ratlofigkeit zufammengebündelten Menfchenmaffen.
Kunfträte —, auch Kunfträte —, ratlofe Künftler, künftlerifd) Ratlofe erftehen zu
Häuf. Räte von geiftigen Arbeitern, d. 1). von Menfchen, für die der Geift eine Materie
ift, die zu Fjaufen gefd)icl)tet, ein größeres Gewicht zu haben verfpricht. Und noch-
mals: Kunfträte, wirkliche Kunfträte! Verfammlungen von Künftlern, denen die Kunft
etwas zu raten aufgibt. 3um Beifpiel: wie kommt die Kunft in 3u^unft beffer zu
648
fiel) nur der Form, nie dem Sinne nacl)
wandelt. Er ift die fießtbare Manifeftation
des Unwandelbaren, Unendlichen. Er ift die
Brücke aller 3eiten und zeitlichen Gegen-
fäße. Er ift Vergangenheit, Gegenwart und
3ukunft zugleich-
Der echte Künftler ift nie parteiifd). Ulenn
er auf das Befondere ausgeht, fo nicht darum,
weil er Gegner des Allgemeinen ift, fondern
weil das Befondere das ift, worauf es allein
ankommt. Er entkleidet das Leben feiner
zeitlichen Umhüllungen, feiner Moralitäten
und Ämoralitäten, feiner UIal)rl)eiten und
feiner Lügen. Er holt es aus den Leichen-
fchreinen der Gefd)icl)te, aus dem Schutt der
gegenwärtigen Intereffen und aus dem Dunkel
der3ukunft hervor und zeigt, wie feineFormen
fiel) wandeln, wie fein Sinn jedoch bleibt-
Der Ällgemeinmenfd) treibt mit dem Le-
ben ein kindliches Verfteckenfpiel. Er fud)t
feinen Sinn hinter den Dingen und bemüht
fiel) vergebens, fie fortzuräumen, um hinter
ihnen den Sinn, die „Ulahrheit“ zu finden. Oder er fchafft fiel) einen Standpunkt dem
Leben gegenüber und will es aus der Perfpektive begreifen. Als Dreimalweifer macht
er Gefet^e und bildet fiel) ein, das Leben tue ihm den Gefallen und gehorche ihnen.
Oder er fcl)art fiel) zu Fjerden zufammen und redet fiel) ein, das „graufame, böfe,
menfd)enfeindlid)e“ Leben auf diefe (Ueife beffer zwingen zu können. Fühlt er fiel)
endlich genarrt —, ift er des „irdifchjen Creibens“ müde geworden, fo begibt er fiel)
auf die Flucht, fcl)leudert dem Leben ein heldifdjes Nein entgegen und ftirbt mehr oder
weniger in Schönheit, vermeinend, daß das vertrackte Leben ißm in das Nichts oder
das beffere Jenfeits nicht folgen kann.
So gefchah es bis geftern in taufend-taufend Variationen. Fjeute tut fiel) der All-
gemeinmenfd) in Maffen zufammen, um das „alte Leben“ abzuwürgen und das „neue
Leben“ zu beginnen. Das alte Leben konnte trot$ des höchsten Aufwands von Ver-
nunft nicht zur Vernunft gebracht werden. Man glaubte es fcl)on zu haben, da brach
es aus den Fjürden rings um die Erde. Man glaubte es fd)on beinahe vergeiftigt,
d. h- lammfromm, gut und ungefährlich, da brach es aus den Menfchen felbft als Beftie
aller Beftien hervor. Aber nun ift’s wirklich genug mit feiner Lücke! Nun fchart fiel)
Freund und Feind, Eigenbrödler und Vereinsmeier zufammen, nun bilden fiel) aller-
neuefte Organifationen, Räte, die ratlos find, weil fie aus lauter Ratlofen beftehen und
Völkerbünde, beftehend aus mit Ratlofigkeit zufammengebündelten Menfchenmaffen.
Kunfträte —, auch Kunfträte —, ratlofe Künftler, künftlerifd) Ratlofe erftehen zu
Häuf. Räte von geiftigen Arbeitern, d. 1). von Menfchen, für die der Geift eine Materie
ift, die zu Fjaufen gefd)icl)tet, ein größeres Gewicht zu haben verfpricht. Und noch-
mals: Kunfträte, wirkliche Kunfträte! Verfammlungen von Künftlern, denen die Kunft
etwas zu raten aufgibt. 3um Beifpiel: wie kommt die Kunft in 3u^unft beffer zu
648