Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0839
DOI Heft:
Heft 24
DOI Artikel:Spengemann, Christof: Kunst, Künstler und Publikum, 2, Werkentstehung
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Äbb. 9. Edwin Scharff.
Die Gefchwifter. 1913.
Vielleicht etwas Greifbares, das er mit den
Äugen fchaute. Vielleicht ein inneres Gefühl,
zwifchen Cräumen und dachen geboren. Viel-
leicht ein wirkliches Erlebnis.
Es packt ihn, er packt es. Es ergießt fich in
fein Gefühl. Sein Gefühl ftrömt in das Erlebnis,
befeelt es, durchgeiftet es.
Ohne fein 3utun, ihm unbewußt, gefcßah die
Empfängnis. Er hatte die geniale Intuition. Die
Konzeption ift da. Das Kunftwerk begann zu
leben. Es begann im Gefühl, im ürfprung.
Nun tritt es in die zweite Phafe desderdens:
in die Entwicklung. Das Gefühl beginnt zu
wollen, um zum Äusdruck zu gelangen. Der
Äusdruck verlangt bewußtes Gefühl, gefühls-
mäßigen dillen. dille allein vermag nicht,
Künftlerifches hervorzubringen. Darum darf öCIille
nicht wollen; der Künftler darf nicht wollen: er
muß — nur fein Gefühl will! Es bringt in der
Vorftellung, im Bewußtfein des Künftlers das
derk zur Form. Er fieht fie noch nicht, er fühlt
fie erft. Es hat fich fo weit entwickelt, daß Cat
werden kann.
Das ift die dritte und leiste Entwicklungs-
phafe: es wird geboren, wird fichtbar. 3wei
Fjelfer treten hinzu,'- Verftand und Cechnik. Sie
kommen von außen und bringen das Äußere.
Sie find dem Gefühl nicht verwandt; fie dienen
ihm. Cechnik ift ihrem defen nach handwerk-
lich. Sie fteht an fich dem Gefühl am fernften.
Der Verftand muß fie leiten, muß fie biegfam
und geeignet machen, das zum fichtbaren Äus-
druck zu bringen, was das unbewußte Gefühl
erlebt, was das bewußt wollende Gefühl ent-
wickelte, was das Gefühl ausdrücken will. Je
beffer das IJandwerk, um fo größer die Mög-
lichkeit äußerer Fjarmonie. Je ftärker der Intellekt,
um fo ficßerer die Äusficßt, das IJandwerk in
refpektvollem Äbftand von der derkfeele zu
halten. Damit find die Grenzen der Bedeutung
von Verftand und Cechnik gegeben. Sie find
nötig, aber fie find nicht das defentliche im derk.
Das Gefühl bedient fich ihrer, foweit es fie zum
Äusdruck braucht. Nicht im Sichtbaren liegt der
fchöpferifche Äkt, fondern in dem, was im Innern
des Künftlers vorging: in feiner Seele. Sie ift
Der Cicerone, XI. Jal)rg., g?ft 24
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Die Gefchwifter. 1913.
Vielleicht etwas Greifbares, das er mit den
Äugen fchaute. Vielleicht ein inneres Gefühl,
zwifchen Cräumen und dachen geboren. Viel-
leicht ein wirkliches Erlebnis.
Es packt ihn, er packt es. Es ergießt fich in
fein Gefühl. Sein Gefühl ftrömt in das Erlebnis,
befeelt es, durchgeiftet es.
Ohne fein 3utun, ihm unbewußt, gefcßah die
Empfängnis. Er hatte die geniale Intuition. Die
Konzeption ift da. Das Kunftwerk begann zu
leben. Es begann im Gefühl, im ürfprung.
Nun tritt es in die zweite Phafe desderdens:
in die Entwicklung. Das Gefühl beginnt zu
wollen, um zum Äusdruck zu gelangen. Der
Äusdruck verlangt bewußtes Gefühl, gefühls-
mäßigen dillen. dille allein vermag nicht,
Künftlerifches hervorzubringen. Darum darf öCIille
nicht wollen; der Künftler darf nicht wollen: er
muß — nur fein Gefühl will! Es bringt in der
Vorftellung, im Bewußtfein des Künftlers das
derk zur Form. Er fieht fie noch nicht, er fühlt
fie erft. Es hat fich fo weit entwickelt, daß Cat
werden kann.
Das ift die dritte und leiste Entwicklungs-
phafe: es wird geboren, wird fichtbar. 3wei
Fjelfer treten hinzu,'- Verftand und Cechnik. Sie
kommen von außen und bringen das Äußere.
Sie find dem Gefühl nicht verwandt; fie dienen
ihm. Cechnik ift ihrem defen nach handwerk-
lich. Sie fteht an fich dem Gefühl am fernften.
Der Verftand muß fie leiten, muß fie biegfam
und geeignet machen, das zum fichtbaren Äus-
druck zu bringen, was das unbewußte Gefühl
erlebt, was das bewußt wollende Gefühl ent-
wickelte, was das Gefühl ausdrücken will. Je
beffer das IJandwerk, um fo größer die Mög-
lichkeit äußerer Fjarmonie. Je ftärker der Intellekt,
um fo ficßerer die Äusficßt, das IJandwerk in
refpektvollem Äbftand von der derkfeele zu
halten. Damit find die Grenzen der Bedeutung
von Verftand und Cechnik gegeben. Sie find
nötig, aber fie find nicht das defentliche im derk.
Das Gefühl bedient fich ihrer, foweit es fie zum
Äusdruck braucht. Nicht im Sichtbaren liegt der
fchöpferifche Äkt, fondern in dem, was im Innern
des Künftlers vorging: in feiner Seele. Sie ift
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