Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0272
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Heft 9
DOI article:Grautoff, Otto: Die Auflösung der Einzelform durch den Impressionismus
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Die Auflöfung der Einzelform durch) den Impreffionismus
die optifd)en Eindrücke der Dinge aufgezeicßnet find. Indeffen, es wäre töricht, wollte
man deshalb Albrecßt Dürer als einen Vorläufer des modernen Impreffionismus ßin-
ftellen, ja, nicht einmal Nicolas Pouffin darf man als einen Vordermann Monets be-
zeichnen, obwohl Pouffin auf gewiffen Bildern, wie z. B. feinem „Orpheus und Euridike“,
ganz wie Monet Hintergrundfiguren in Farbtupfen gegeben hat: den Eorfo als größeres
Farbzäpfchen, die Arme und Beine als dünnere Farblinien und den Kopf als hellere
Farbfläche. Eroßdem erfcheint es bedenklich, eine Ahnenreihe des Impreffionismus
aufzuftellen. Es gab weder im 3eitalter Dürers noch im 3eitalter Pouffins eine im-
preffioniftifche Kleltanfcßauung, die ihren Ausgang allein vom Sinneseindruck nahm
und ihren Gipfelpunkt in der Summe der Augenerlebniffe erblickte, fondern die Dar-
ftellung optifeßer Eindrücke war dem Künftler nur ein Mittel zum 3weck.
Dürers künftlerifches 3iel im ganzen gefehen, war dem Impreffionismus gerade ent-
gegengefeßt. Er wollte die Kielt faffen nicht wie fie fcheint, fondern wie fie ift. Er
wollte das Abfolute, wollte das Kiefen eines Dinges vollkommen erfcßöpfen. Pouffins
künftlerifcßer Leitgedanke lag in der organifeßen Entfaltung feiner Darftellungen. Beide
Künftler ftrebten nach Harmonie, nach Ausgeglichenheit zwifchen dem Schein der Kielt
und ihrer Idee. Bei beiden handelt es fiel) alfo um eine Synthefe von Abftraktion
und Konkretion.
Klährend der Impreffionismus in den Klerken von Pouffin und Velasquez im Hinter-
grund eine befcheidene, unaufdringliche und nicht felbftändige Rolle gefpielt hatte,
wurde er allmählich immer mehr in den Vordergrund getrieben, löfte auch im Vorder-
grund die Formen auf, fo daß auch Pe nur ln ihrem optifchen Klert und nicht mehr
in ihrer plaftifchen Körperlichkeit in Erfcßeinung traten. Auf Goyas Maibaum ift
keine Einzelform mehr deutlich .herausgearbeitet, fondern Klumpen und Maffen, für
deren Entwirrung das Auge eine Kleile braucht. Goya kam gar nicht mehr, wie hundert
Jahre vor ihm noch Pouffin, auf den Gedanken, die impreffioniftifche Darftellungsart
nur auf den Hintergrund zu befchränken und dem unruhigen Schein eine Kompofition
des ruhenden Seins voranzuftellen, fondern er legte das ganze Bild impreffioniftifd)
an. Indeffen der Maibaum ift noch ein Fernbild. Einige Jahrzehnte fpäter wurden
auch Nahbilder impreffioniftifd) dargeftellt. Damit gewannen die formauflöfenden Stil-
faktoren Einfluß auf die gefamte künftlerifcße Darftellung. Indem die Gegenftände im
Vordergrund aud) nur als optifeße Klerte, in Farbenzäpfcßen und Farbentupfen ge-
geben wurden, verlor fiel) im Laufe der 3eit meßr und meßr die Gabe, das plaftifd)
Konftruktive der Dinge zu erfaffen und darzuftellen. Aber nicht nur die Begrenztheit
und Gefd)loffenl)eit der Formen durch Linien, Flächen und eindeutige Farben wurde
aufgelöft, fondern aud) die Skandierung der Maffen im Bilde. Die konfequenten Im-
preffioniften verneinen — der materialiftifcßen Kleltanfcßauung der 3eit entfpredßend —
nicht nur ein Abfolutes und Eypifcßes der Dinge, vermeiden nicht nur, Menfcßen und
Gegenftände im 3urtande des rußenden Seins, ifoliert von Ließt, Luft und den Ein-
flüffen ißrer Umgebung darzuftellen, fondern leßnen aucß die Skandierung der Maffen
und Fläcßen ab, weil durch einen vom Künftler in das Bild hineingetragenen Rßytßmus
dem Motiv die Unmittelbarkeit, das 3ufällige, das Augenblicksmäßige genommen zu
werden droßt, das fie gerade zum Ausdruck zu bringen fiel) mäßen.
In Deutfcßland findet man in diefem Sinne die reinfte Form des Impreffionismus,
wäßrend in Frankreich die klaffifcße Eradition des Landes z. B. in der Skandierung
der Fläcßen ftets ftärker zum Ausdruck kommt.
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die optifd)en Eindrücke der Dinge aufgezeicßnet find. Indeffen, es wäre töricht, wollte
man deshalb Albrecßt Dürer als einen Vorläufer des modernen Impreffionismus ßin-
ftellen, ja, nicht einmal Nicolas Pouffin darf man als einen Vordermann Monets be-
zeichnen, obwohl Pouffin auf gewiffen Bildern, wie z. B. feinem „Orpheus und Euridike“,
ganz wie Monet Hintergrundfiguren in Farbtupfen gegeben hat: den Eorfo als größeres
Farbzäpfchen, die Arme und Beine als dünnere Farblinien und den Kopf als hellere
Farbfläche. Eroßdem erfcheint es bedenklich, eine Ahnenreihe des Impreffionismus
aufzuftellen. Es gab weder im 3eitalter Dürers noch im 3eitalter Pouffins eine im-
preffioniftifche Kleltanfcßauung, die ihren Ausgang allein vom Sinneseindruck nahm
und ihren Gipfelpunkt in der Summe der Augenerlebniffe erblickte, fondern die Dar-
ftellung optifeßer Eindrücke war dem Künftler nur ein Mittel zum 3weck.
Dürers künftlerifches 3iel im ganzen gefehen, war dem Impreffionismus gerade ent-
gegengefeßt. Er wollte die Kielt faffen nicht wie fie fcheint, fondern wie fie ift. Er
wollte das Abfolute, wollte das Kiefen eines Dinges vollkommen erfcßöpfen. Pouffins
künftlerifcßer Leitgedanke lag in der organifeßen Entfaltung feiner Darftellungen. Beide
Künftler ftrebten nach Harmonie, nach Ausgeglichenheit zwifchen dem Schein der Kielt
und ihrer Idee. Bei beiden handelt es fiel) alfo um eine Synthefe von Abftraktion
und Konkretion.
Klährend der Impreffionismus in den Klerken von Pouffin und Velasquez im Hinter-
grund eine befcheidene, unaufdringliche und nicht felbftändige Rolle gefpielt hatte,
wurde er allmählich immer mehr in den Vordergrund getrieben, löfte auch im Vorder-
grund die Formen auf, fo daß auch Pe nur ln ihrem optifchen Klert und nicht mehr
in ihrer plaftifchen Körperlichkeit in Erfcßeinung traten. Auf Goyas Maibaum ift
keine Einzelform mehr deutlich .herausgearbeitet, fondern Klumpen und Maffen, für
deren Entwirrung das Auge eine Kleile braucht. Goya kam gar nicht mehr, wie hundert
Jahre vor ihm noch Pouffin, auf den Gedanken, die impreffioniftifche Darftellungsart
nur auf den Hintergrund zu befchränken und dem unruhigen Schein eine Kompofition
des ruhenden Seins voranzuftellen, fondern er legte das ganze Bild impreffioniftifd)
an. Indeffen der Maibaum ift noch ein Fernbild. Einige Jahrzehnte fpäter wurden
auch Nahbilder impreffioniftifd) dargeftellt. Damit gewannen die formauflöfenden Stil-
faktoren Einfluß auf die gefamte künftlerifcße Darftellung. Indem die Gegenftände im
Vordergrund aud) nur als optifeße Klerte, in Farbenzäpfcßen und Farbentupfen ge-
geben wurden, verlor fiel) im Laufe der 3eit meßr und meßr die Gabe, das plaftifd)
Konftruktive der Dinge zu erfaffen und darzuftellen. Aber nicht nur die Begrenztheit
und Gefd)loffenl)eit der Formen durch Linien, Flächen und eindeutige Farben wurde
aufgelöft, fondern aud) die Skandierung der Maffen im Bilde. Die konfequenten Im-
preffioniften verneinen — der materialiftifcßen Kleltanfcßauung der 3eit entfpredßend —
nicht nur ein Abfolutes und Eypifcßes der Dinge, vermeiden nicht nur, Menfcßen und
Gegenftände im 3urtande des rußenden Seins, ifoliert von Ließt, Luft und den Ein-
flüffen ißrer Umgebung darzuftellen, fondern leßnen aucß die Skandierung der Maffen
und Fläcßen ab, weil durch einen vom Künftler in das Bild hineingetragenen Rßytßmus
dem Motiv die Unmittelbarkeit, das 3ufällige, das Augenblicksmäßige genommen zu
werden droßt, das fie gerade zum Ausdruck zu bringen fiel) mäßen.
In Deutfcßland findet man in diefem Sinne die reinfte Form des Impreffionismus,
wäßrend in Frankreich die klaffifcße Eradition des Landes z. B. in der Skandierung
der Fläcßen ftets ftärker zum Ausdruck kommt.
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