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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 1 - 30 (2. Januar 1923 - 31. Januar 1923)
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https://doi.org/10.11588/diglit.15611#0085

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§6- Za»rgang - Ar. 1Z


.Badische P.-st' lrfchrint täglich ianch S-nntag»> varmittag», aiso si-benm-t

^ochentlich und kostet trei ine Haus zngestellt monatlich 12lW Mt. durch die Post
^°natlt» 1A,0 Ml. »uz'.glich 10.5» M'. Destellce d. Einzelnnmmcr 50 Mc.

Helvelderger Zettung

(Gegründet 1858)

«»d

Handelsblatt

Mensiag, 16. Zaniiar Mz

«nzeigenprei»: die LS wm bleite Nonpareillezeile <0 Mk . Familien.. vcrein»
und Kleine Anzeigen nach besonderem Tarif. Rcllamea: di« 88 mw breite Nonpa»ille>
etl« Sli» Mk. Bei Wi-derh-lungen und Keilenanschlüssen tarimcher NachlaS.

lür den gesamten textlichenTell Ad-lf Kimmlg inKetde.berg. ileriirnfd:rReLallion: Aeidelöerg8S.
^'rnrn, ^°^Ser Schrlsil-ttnng vorm. Il-IS Uhr. BrrUnrr Bertrctung: Bcrlin 81V 48. Zimmerstrakr Nr. 8.
' «mt Zcntrum Nr. 4lö. Münchener Bcrtretung: München, SrorgenstraS« Nr. 187. Fernrnf Nr. 81SS7.

ffür Anzetgen, Äiellamen und geschiiftltche Beilagen verantwortltch Atfre» Schmi» tn Heide.berz. Fernrnf 8S
Verlag: Heidelberger BerlagKaitftalt und Druüeret S. b. m.H Heidelberg, AauptftraheSS. —
D-stfchecklonto Karlsruh« Nr. 18808. — Druck von I. <S. Holtzwar«» Machf. ll>. m- b. H., F ranlsur t am Mai«

Deulschlailds Mderstand.

Kohle sür Fraulreich. — KunLgebunge» der Arbelter.
Bo» uuserer «erliner Redaktkon.

Berlt«, 18. Januar.

drivr letzten a»s Essen erngelausene» Nachrichteu ist ebeu

E «>» ^f^uvcrein iu Essen ein Tclegramm des Neichskohleu«
"»tssar, eiugetrossen, Las solgeuüen Wortlaut hatr

zz».^"ter Bezugnahme auf die Besprechungeu zwischen der fran-
verh? Ingcnieurkommijsion und den deutscheu Zechenbefitzer»
/te ich hiermit nach dem franzöfischen Einbruche in lms
t"et ausdrLckltch die Lieferung vou Kohle uud Koks uach
1»..^ ""t> Frankreich, und zwar auch für den Fall ekuer vor.
"«Udweifeu Bezahlung.

^teses Telegramm hin haben sämtlich« Zechen sosort die
Bef "ottrungen an Franlrcich und Belgien einpellen lafsen.
«i,h " Besprcchuilgen zwischen den französischen Bevollmächtigten
dr» Vertretern der Zechenoerbände wurdr von deutscher Seite
trcutz^.uuzosen von dem Telegramm Les Reichslohlenkommissars
llogeden und miigeteilt, Latz daraushin die Zechen die
Dux?-IIEserungen an Frankreich nnd Belgien eingestellt hätten.
si, wurden die anwesenden dcutschen Vertreter gesragt, ob

fie dr, V.6 »on ihnen vertretencu Zechen verantwortlich scien. Als
schxj, Frage bejahten, wurde «iuem jeden gege» Quittung ein
*»Nq "licher militärischer Bejehl zngestellt, die Liese«
w f, Rcparatiouslohle an Franlreich und Bslgieu sosort
kliirte ""lzunehmen. Namens der drutschen Vertreter er-
U'erd- "Eitz Thysseu, La'g diesem Befehle leine Folge gegeben
tztuutz "Wir find Dentsche," sagte Thyssen, „und ftehe» aus dem
li»d « "ukt, dag wir «urde» deutschen Eesetzen nnterworse»
dics' ,-Der sranzsstsche Leiter der Dersammlung erklärte daraushi»
>2r geschlosseu.

dk« einer Meldung des „Dorwärts" aus Sssen weigern fich
iieb ^^"rbciter anlätzlich der Besetzung des Ruhrgebictes ab hente,
6»s ? rschichten zu versahren. Diese Weigerung erftreckt stch nnr
»iltz ^ »eubesetzte Ecbiet. Zu deu Meldungen, dag Stiunes
ift Ysseu iiber die Einfuhr englischer Kohle verhandel«,
iiihri ^ uiitzuteilen, Lah a» deu Besprechungen, die sortlauscnd ge-
sk»!> ^rden. Vertreter dergesamten deutschen Jndnstrie Leteiltgt
»lij - deutsche Jnduftrie ist gegeuwärtig dnrchschnittlich
eitz-?inem Kohlenvorrat sür etwa zwei Monate
r,^6eSt, was durch die Velicferung aus England nnd der Tschechei
dr-r ^cht wird. Die Höchstlieserung an englischLr Kohle war bisher
Ttzd,^illionen Tcnncn monatlich. Einr Eefahr sür dke deutsche
vl^lirie besteht also im Augenblick uicht. Die grosien Kohlen-
die gewöhnlich aus den Halden lagern, wurden vor dem
iiert Franzosen i» Las Ruhrgebirt volrftiindig abtranspor«

>o dag Lie Halden gegenwärtig vollkommen leer sind.
i» t?*"ch weiteren Meldunge« wurde im Essener Bezirk wie anch
h y üdrigen Teileu des bcsetzten Ecbtets Montag vormittag eine
gx- iistündige Arbeitornh« zum Zsichen des Protestes
trtz " die srauzöfische Besetznng aus allen Merken, Fabriken, Schäch-
ph' "ei den Verkehrsunternehmunge», sowie auch bei den Tekegra-
, u»d Telephonämtern dnrchgesührt. Beginn und Ende des
»»- 'Estreikes wurden durch Elockengeläute sowie dte Werksstrenen
kvi^^igt. Vor dem Hotel Kaiserhos, das von der Jngenienr-
st,,^isfi,tz Leschlagnahmt worden ist, wurde wührend des Protest-
6i«e vaterlLudischeDemoustratton peranstaltet;
, . .^ienge brachte Hochruse aus Deutschland aus und sang
"rländische Lieder.

Svchum besehk.

von heitzer Vaterlandsliebe getragene Kundgebung der Anhänglich-
keit und Opfersreudigkeit wärmsten Dank. Wie das schwerge-
prüste Essen in unerschütterlicher Treue zu Volk und Reich halten
wird, so wird die Reichsregierung alles im Bereich des Möglichen
liegcnde tun, um Las har,e Los der Essener Bevölkerung zu mildern.
Eanz Deulschland wird, dessen bin ich gewih, der Stadt, mit deren
Namen die Erinnerung an Les Reiches Krast und Eröhe unauslösch-
lich verounden ist, jeßt und in aller Zukunft die in schwerer Not
bindende Treue in Eesinnung und Tat halten."

Gin Mhnivort Sindenburgs.

„NichtSAÜrdig tst die Nation, die nicht thr Alles srendig setzi
an ihre Ehre."

M Von unserem tt-Korrespondenten.

Hanuover, 15. Januar.

Kurz vor der allgemeinen Kundgebung der Bevölkerung Hannovers
bcwcgte fich ern langer Lemonstrationszug durch die Strahen nach
der Villa HinLenburgs. Der greise FeldmarschaU hielt an die Ver-
sammelten eine Anjprache:

Zch Lanle Jhnen, dah Sie mit Jhrem Schmerze und mit Jhrer
Emporung zu mtr altem Manne herausgelommen sind. Wir wollen
die Not und die Sorge um unser innig aeliebtes Daterland gemein-
s a m tragen. Der unerhörte, allen Volkern Hohn sprechende Gewalt-
a-it Franircichs und Belgiens zeigt uns die volle Wahrheit des
Dtchterwortes: „Es kann der Beste nicht im Frieden leben, wenn es
dem bösen Nachbar nicht gefällt. Der schöns EeLanke eines ewigen
Friidens und einer allgemeinen VölkerverbrüLerung hat sich wieder
einmal vor der rauhen Wirklichkeit als ein theöretisches Hirn-
gespinst erwiesen. Wer seine Politik. auf ihr aufbauen will, der
wird wohl leider auch in der Zukunft einer grohen Enttäufchung
entgcgcngehen.

Zch möchte aber noch ein anderes Dichterwort anführen: „Nichts-
würdig ist bie Nation, die nicht ihr Alles sreudig setzt an ihre Ehre".
Mancher wird nun sagen: Die Fernde haben uns ja zuvor wehr-
los gemacht, ehe sie uns diese Schmach antaten. Wie können wir
da nc-ch iür unjere Ehre eintreten'? Auf dem Schlachtfelde allerüings
nicht, aber Loch noch in allerlei furchtlofen Handlungen und mit
mannhaften Worten. Wir wollen es auch unjerem Reichskanzler
danlen, dah er solche Worte gefunden hat.

Diese Handlungen unü diese Worte haben aber nur
dann eine Bedeutung, wenn hinter ihnen ein einiges
Bolk steht; darum fort mit allem kleinlichen Partei-
hadcr und hin zu diefer Einigkeit.

Soll diese Einigkeit alle Wechselfälle dieser ernsten Zeit überdauern
könncn, so wird sie auf der Erundlage der Treue. Wllrde unv
Arbeitsamkeit errichtet sein müssen. Dann wird auch wieder
einmal die Zeit kommcn. in der wir mit Eottcs Hilfe noch einmal
unscre Arme wsrden regen können, dann aLer: Wehe unseren Fein-
dcn! Elaubt nicht denen, die Euch zurufen: Jhr sollt nicht hassen.
Jn der Bibel steht: Hasset das Arge. Aergeres als uns jetzt
unsere unversöhnlichen Feinde zugefügt haben, ist noch nie einem
Volke getan worden.

Sorgt alle daiür, dah die alten deutschen Tugenden, die Treue,
WLrde und Arbeitsamkeit, bei uns wieder völlig heimisch werden und
uns zur Einigkeit führen. Eelobt dies in dieser Stunde und be-
kräftigt dieses Eelöünis mit einem breifachen treuen Hurra.

Nachdem Las Hurra verklungen war, stimmten die Teilnehmer
an dem Zuge das Deutschlandlied an, worauf der Feldmarschall dem
Wunsch Ausdruck gab, auch noch dieWacht am Rhein zu hören.
Auch dieses Lied erklanq, und der Feldmarschall schlotz seine Ansprache
mit den Morten: „Noch einmal danle ich Euch allen für Euer Her-
kmumen und nun gehe jeder hin und tue seine Pflicht und
SchuIdigkeit fur das Vaterland." Darauf setzte sich der Zug in
Bewegung und nahm an der allgemeinen grotzen Kundgebung teil.

Sir Litaarr ia Remel.

Der sranzöfische Dormarfch.

Essen, 18. Ianuar.

Stadt Bochum lst Montag mittag von den Frauzofen be-
^orden. Rachdcm um 12 llhr der Vahnhos durch eine mit der
v-ar von auswä:ts angekommene Abtcilung besetzt worden
Hokt später der Einzug weiterer Truppen, die Rathaus,

tz» Lelegraphenamt bcsctzten. Der Vormarsch der sranzösischen
geht uuulltcrbrochen wciter. Jm Norden stotzen Radsah er-
^ l>pen über Werden und Recklinghausen nach Datteln vor. FLr deu
ÜZci« ^ ^Einghausen stnd zehu Züx.e im Anrollen, dercn östlichjter
fj^.^"'"uinngsort Datteln ist. Jm Süden stnd grotze Massen auf
dri„' von Wcrden llber Kupjc drsh und Hattingen iin Bor-

v »gc». Hattinge« und Blaukenstein sind besetzt. Autzer-
-n rollen sechs Zjjge sür Hattinge» und Blankenjtei» heran. Die
^ ^udungslinie Dattcln-Blankenstein schlietzt Bochnm bereits ein.
Lo bieele stud grotze Truppenmengen zu> iimengezogen. Es gcht
H ^erücht, datz die Erenzlinie des neubesctzten Eebietes zwischcn
. u»e» und Schwerte verlausen wird. Tamit würde das ge«
.»«te rheinisch.westfälische Zndustriegebiet von
"»zöstschen Truppen umschlossen sci». Mcttmann, Wülsrath, Nevi-
? Bolbert und Langcnberg sind mit siarken Kaoallerie- und Iu-
' UleriekrSstrn bcsetzt. Die Besatzungsbchörde requirierte hundert
'ilviNcr für franzöfische Jou'nalisten, die heute nachmittag in Ess-n
, ""csscn. Nach einer Meldung aus Dortmund stnd im Stadt-
" Dorstseld zwei ftanzösische Ofsiziere, zwei lluterosjiziere und
^ci Mann eingetroffen. Der Ort Mengel. 15 Km. von Dort-
>»nd, jst von einer starken Abteilung Franzofe» befetzt worden,
^vcnso Marten.

Des KanzlerS Danr an Gffen.

Berkin, 15. Jan. (Eig. Drahtm.) Reichskanzler Cuno hat
»n die Stadtverwaltung in Essen folgendes Telegramm gerichtet:
o-t-er Vürgcrschajt Esjens sagt die Reichsregierung für ihrc

Die französische Vefatzung entwaffuet.

Von unserem L-Korrefpondenten.

Konigsberg, 15. Januar.

Wie aus Memel gemeldet wird, haben stch die litauischen
Vanden Montagmittag um !>L 1 llhr in denBesitz der Stadt
Memel gesetzt. Um noch vor Eintreffen der Ententeschiffe ihr Ziel
zu erreichen, machten die Litauer am Vormittag einen heftigen Vor-
stotz von Süden her, der sie bis an die Dange Lrachte. Die fran-
zösischen Lesatzungstrupxen mutzten sich vor der llebermacht auf
das andere Ufer der Dange zurückziehen. Eleichzeitig Lrang
ein Trupp von etwa 30 Litauern, mit Eewehren und Maschinen-
gewchren ausgcrüstet, über di« grotze Briicke in das Zenlrum der
Stadt. Der Trupp begab sich zur BörsenSriicke, die aufgezogen
war, und schlotz die Brücke, um den Haupltrupp der Fre.schärler ein-
zulassen; es soll dort einr weitze Fahne gehitzt worden sein.
D:e französische Bejatzung hat sich, wie verlautet, entwaff-
nen lassen. (!) Der Rest der Besatzunz hält nur noch einen Teil
der Sta.t, Ler um die Kaserne herum liegt. Auch diejer Teil wird
jedoch Lald aufgegeben werden müssen. Zn den ersten Nachmittags-
stunden war f a st g a n z Me m e I von den Litauern Lejetzt.

Jn Heydekrug hat stch eine litauische Regierung
für das Memelland gebildet die neben Simonaitis als Prüsi-
dent Len Landwirt Neisgis und Len Bürovorsteher Jons To-
leikis umfatzt. Zwei wcitere Mitglieder aus der Kausmannjchast
Lezw. Arbeiterjchaft sollcn noch berüfen werüen. Sitz des Landes-
direktoriums soll einstweilen Heydekrug sein.

Nach einer Drahtung aus Paris will die Botfchafter-
kommission neue Schritte in Kowno unternehmen, damit
die litauische Regierung ihren Einslutz auf die grotzlitauische Be-
wegung geltend mache, die einen Druckvcrjuch gegen die alliicrten
Mächte und e'.ne Beeinträchtigung der Souveränitäl
bedeute, die sie auf Erund des Versailler Dertrages übcr bas
Memelgebiet besätzen. Die Konfcrcnz hat Lsschlosjen. einsn jranzö-
sischen Obersten nach Memel zu schicken, der Las Kcmmando der
alliierlen Truppen übernehmcn solle. . _. .

Me Aationalsozialisten.

Die nationalsozialistische Bewegung ist im Laufe des letzte«
Zahres zu einem bedeutenden politischen Faktor in Bayern gewor«
den. Davor die Augen zu verschlietzen, würe Vogel-Strautz-Politik.
Es ist auch anzunehmen, datz sie auf das Lbrige Deutschland übergreift,
wie sie denn in Oberschlesien Futz gefaht hat. Sie ist in München
so stark, datz ihre Versammlungen an einem Tage 10 Säle füllten,
was ihr keine Partek nachmachen kann (die Sozialdcmokratie ver-
mochte am felben Tage nur fünf Versammlungen abzuhalten), i«
Nürnberg sind ihre Veranstaltungen die besuchtesten aller Parterett.
Wenn auch eine Zahl Neugieriger und Eegner abgezogen werden
mutz und die Disziplin der Mitglieder grotz ist, so datz ziemlich jedes
kommt, so beweisen diese Tatsachen doch, datz die Ausdehnung
der Bewegung rasch «ine grotze geworden ist und ihr Wachsen
noch andauert. Sie verdankt ihre Kraft dem agitatorischen Eeschick
ihres Führers Hitler, einer einwandfreien Persönlichkeit mit grotzer
Nednergabe, der den Massen nicht wie andere Parteien mit langen
Programmen und sorgfältigen Darlegungen der verwickelten poli-
tischen Verhältnisse in der Gegenwart kam, sondern sie packte durch
Konzentrierung auf wenige leicht verständliche Punkte, die um so
eindrucksvoller hervorlraten. Eine schonungslose Kritik des nach-
rcvolutionären Deutschland mit all seinen Krankheits- und Ent-
artungserscheinungen, die durchweg auf das Judentum zurückgesührt
wcrden, verbindet sich mit einer glühenden nationälen Eesinnung und
einem leidenschaftlichen Kampfe gegen den Vcrsailler Vertrag. Beides
kommt verbreiteter Eesinnung, besonders auch in der Jugend, ent-
gegen und so hat die Bewegung in dieser ihre meisten Anhänger;
unzweifelhaft aber ist sie in die Arbeiterkreise einge-
drungen, die stch dem Werben der biirgerlichen Parteien ab-
lehnend gegenüberstellten. Hierbei kommt dem Nationalsozialismus
sein scharfer Kampf gegen das Eeldkapital und der Antisemitismus
sehr zu statten.

Es i'st nicht leicht, den Wert der Bewegung sür unser politisches
Leben richtig einzuschätzen. Den verantwortungsbewutzten Politiker
schreckt die E i n s e i t i g k e i t ab, mit der alle Schäden in unserem
Volk auf das Judentum zurückgeführt werden, wenn auch nicht zn
verkennen ist, datz das völlige Versagen der Vehörden in dem Kampf
gegen das gefährliche Ostjudentum den radil'alen An-j.n tis-
mus mit grotzgezogen hat. Bedenklich stimmt auch die naive Veur-
teilung wirtschaftlicher Probleme, besonders auch die Ablcnbung der
Maflen von der für die Veflerung der wirtschaftlichen Verhältnisse
wichtigen Einsicht, Latz eine Steigerung der Produktion unbcdingt
erforderlich ist. Schlietzlich schietzt auch Ler Kampf gegen den Par-
lamentarismus über^ss Ziel hinaus, indem unklar blcibt, was att
die Stelle desselben'treten soll; allerdings bietet gerade die neu-
deutjche Demolratie revolutionärer Prägung recht viele Angriffs-
punkte. An diesem Punkte beginnt nun erne gewifle Eefahr des
Nationalsozialismus; denn in seinen Anhängern lebt auch dsr Ee-
danke einer Diktatur, sehr belebt durch den glänzendcn Sie'g der
Faszisten in Ztalien.

So ist unzweifelhast manches an der Bewegung bedcnklich und
reine Freude kann sich nicht auslösen. Man kann auch nicht sicher
erktnnen, was nur aus agitatorischen ErünLen in den Vordergrund
geschoben wird und was das wahre Ziel der Partei ist. Aber ver-
kebrt ist es, die Bewegung mit polizeilichen Mit-
teln unterdrücken zu wollen, wie man es leider in
Preutzen und den sozialistisch regierten Ländern versucht. Dadurch
verstärkt man nur tzie radikale Tendenz und drängt sie aus dem offe-
nen politischen Kampfplatz in die Dunkelheit der Eeheimbünde. Vor
allcm ist es ein Litteres Unrecht, wenn man die Kommunisten
ruhig gewähren lätzt, die doch offen auf den Sturz der Versaflung
ausgehen, und auf der anderen Seite eine Bewegung unterdrückt, die
auf eine Reinigung des dcutschen politischen Lebens ausgeht. Man
täusche sich auch nicht darüber, datz die Bewegung so viel Nahrung
an Len Ereigniffen findet, Latz sie nicht zu vernichten ist. Denn ste
ist ein ernstes Symptom, Latz die Masscn, alademische und Arbeiter-
jugend stch von den „Jdealen" der Revolution abwenLen. De:
nationale Kern des Nationalismus ist unleugbar, denn
der Kampf gegen Versailles und die Schuldlüge ist von keiner Seite
m:t mehr Leidenjchaft und Ernst geführt. Wenn wir jetzt die Ee-
schlossenheit einer ALwehr französischen Rechtsbruchs und der Frei-
heitsberaubung bitter notwendig haben, so würe es unverantwortlich,
diese grotze Schar Legeisterter. deutsch sllhlcnder Anhänger durch Unter-
drückung auszuschlietzen und zu verbittern.

Es gilt in dieser Eefahr sür Volk und Reich, die National-
sozialisten einzugliedern in die grotzeAbwehrfront.
Las ist zugleich der sicherste Weg, sie von radikalen Phantasien zu
vcrantwortlichcr Mitarbeit zu bringen und ihren Eehalt zu erproben.
Es ist daher staatsmännisch vom Layerischen Ministerpräsidenten ge-
handelt. datz er in einer grotzen Kundgebung in München mit dem
Führer Hitler zusammengewirkt hat. Die Zukunft wird lehren, ob
der Nationalfozlalismus neben Vegeisterung und Leidenschast auch
Klugheit und Einsicht besitzt. Den Luxus lönnen wir uns aber nicht
leistcn, ihn von vornherein zurückzuweisen. Die Hossnung ist
begründet, datz er zur Erweckung des deutschen
VolkesseinTeilbciträgt. Datz er die soz-äldemokratischen
Maflen ausrüttelt, was den bürgerlichen ^arteien bisher nicht so
gelungen ist, macht ihn der Sozialdemokratie verhatzt, Lars aber eine
dcutjche Regierung in ernster Zeit nicht abhalten, eine grotze natio«
 
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