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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 5/6
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Kunstpolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0158

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Kunftpolitik

der widrigen Empfindung ganz Herr zu werden,
einen wie großen Eintrag folcße Gewalttat einer
ehrlichen Gemeinfchaft der geiftigen Arbeiter
aller Völker tue. üm fo bitterer fei dies, da
doch nicht die militärifcßen Gewalthaber, fondern
allein die italienifchen Kunftgelehrten die geiftigen
Grßeber diefer Cat gewefen fein könnten, die
fo übel die in Dichtung und Kliffenfchaft fo
überreich gedankte Italienbegeifterung deutfcher
Romfahrer vergelte. Hliens öffentlicher Befife
an italienischen Meifterwerken wäre ohnedies
verhältnismäßig gering gewefen, aber doch
immerhin fo groß, daß die Freude an dem Ge-
nuffe der alten italienifchen Kunft mächtig an-
gefacht und der Klunfch nach dem Befuche des
Heimatlandes folcher Meifterwerke höchft leben-
digwerden konnte. Nicht nur wir hätten, wenn
es bei der Entführung der Bilder bliebe, eine
wertvolle Anregung verloren, fondern auch Ita-
lien hätte die werbende Kraft jener gewichtigen
3eugen ihrer alten hohen Kunft und Kultur
nicht unwefentlich verringert. Aber noch fei
der Verluft kein endgültiger, und wenn auch Ita-
lien jeljt den Vorteil befifee, feinerfeits den Strit-
tigen Gegenftand in Verwahrung zu haben, fo
fei doch das Recht fo klar beweisbar auf feiten
Kliens, daß man keinen Gerichtshof zu fcheuen
habe. Der Fall habe übrigens für die ganze
Kielt grundfä^liche Bedeutung, denn würden
folche gewaltfame künftlerifche Reannexionen
einmal als zu Recht beftehend anerkannt, fo
wäre der Grund gelegt zu einer künftigen 3er-
fplitterung des gefamten Kunftbefifees der Kielt,
der, wie er heute verteilt fei, etwas hißorifch
Gewordenes fei. Solche Eingriffe in die Ver-
teilung des Kunftgutes in den einzelnen Ländern
feien nur zu bedenklich, denn würde einmal
daran gerührt, gebe es kein Aufhalten mehr.
3u einem wirklichen Kampf um Mufeumsgegen-
ftände habe man es nicht kommen laffen dürfen,
ganz abgefehen davon, welche' internationale
Verwicklungen daraus hätten entftehen können.
Das Staatsamt für Außeres hätte fich aber feine
verantwortungsvolle Lage wefentlid) erleichtert,
wenn es fchon vorher fämtliche Kunftfchä^e
Deutfeh - Öfterreichs ohne Rückficht auf den
gegenwärtigen Befitjftand einem Staatsamte,
und zwar dem für Unterricht, unterteilt hätte.
Man müffe hoffen, daß diefe dringendfte For-
derung der hoiaiifchen Kunftpolitik baldigft von
der neuen Regierung erfüllt werde. Noch aber
fei kein Anlaß, Trauerfahnen zu hißen. da wir
unfere Kunftfchä^e keineswegs fchon endgültig
verloren geben dürfen.
Der erfte Äuffatj Dr. Hans Tieres erfchien in
der „3eit“ vom 14. Februar unter der Überfchrift

„Die entführten Bilder“. In einer Charakteriftik
des Rechtsftandpunktes, der für ihn völlig klar
zu unferen Gunften liegt, weift er auf Stellen
in Briefen Führichs hin, der damals zufammen
mit Erasmus Engert die fchon halbzerftörten
Bilder aus einem gehäuften Kluft ausrangierter
Gemälde ausfuchte. Von dem, was man damals
nicht mitnahm, fei wafnfcheinlich ein guter Teil
vollends zugrunde gegangen. Die nach Klien
gebrachten Bilder aber feien hier in forgfältigfter
Kleife reftauriert worden und fo der gebildeten
Kielt und der Glorie der italienifchen Kunft er-
halten geblieben. Die Akademie habe 1866
darauf hingewiefen, daß die ihr aus diefer Re-
ftaurierung erwachsenen Koften den ursprüng-
lichen Schätzungswert der übernommenen Bilder
wefentlid) überftiegen hätten. Klas uns die
Italiener heute entführten, feien nicht dieFeljen,
die wir einft als Studienmaterial für heran-
wachfende Künftler übernahmen, fondern die
Früchte der forgenden Liebe und mühevollen
Betreuung, die wir ihnen angedeihen ließen.
Es fei allzu bequem und billig, auf diefe Art
Bilder zu erwerben, aber für die Bilder felbft
fei diefe Erlößing von Fremdenjoch keineswegs
ein Segen. Klenn die erfte Freude der Italiener
über diefe Siegestrophäen verklungen fein
würde, werde reichlich die Hälfte diefer Klerke,
die hier einen Stolz unferer Sammlungen bil-
deten, unter dem Eindruck der überreichen
Nachbarfchaft der venezianifchen Schäle ins
Depot wandern oder doch unter den noch ganz
anderen (Herten der Akademie in Venedig ein
unbeachtetes Dafein führen. Hier alfo eine an-
dauernde Huldigung an den italienifchen Genius
bedeutend, wären fie in Venedig nichts als ein
nicht fehr beträchtlicher 3uwad)s an Inventar-
nummern. Die tiefe Depreffion, die der Fall
verurfache, fei aber weder in dem abfoluten
Verluft an Kunftwerten, noch in dem materiellen
Verluft von vielleicht dreißig bis vierzig Mil-
lionen begründet. Aber es fei uns, was wir
noch immer nicht völlig erfaßt hätten, plöfelid)
und jäh klar geworden, was es heiße, beßegt
zu fein. Klie ein Symbol fage uns die Bilder-
entführung, daß der Sieger unbekümmert und
ungehindert über unzweideutiges Recht hinweg-
fehreiten dürfe. Dies aber fei es, was heute die
Allgemeinheit darniederbeuge, und nicht der Ver-
luft an Kunftwerken. Denn nur klein fei die
Schar jener, denen pe wirklich ein guftiges Er-
lebnis und ein innerer Befilj gewefen. Diefe
wenigen und nicht die große Schar jener, die
denPhrafen von der Kunft und ihrer Bedeutung
heute die übliche heuchlerifche Huldigung dar-
brächte, feien die wahren Leidtragenden. Ihnen

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