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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 5/6
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Kunstpolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0159

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Kunftpolitik

werde aber auch nichts genommen, denn ihnen
fei die Kunft eben ein geiftiger Befi^, ihnen
gehörten die Bilder, ob fie in Venedig oder in
Wien hängen, und fie könnten über Militär-
miffionen lächeln, die fäbelraffelnd von Än-
fprüchen redeten, die [ich mit den ihren meffen
wollten. Sie zählten nicht die Bilder in unferen
Mufeen, folange fo viel 5errliches bleibe, das
fie um fo inniger liebten. Dennoch hätten auch
diefe heute allen Grund, tief erregt zu fein:
nicht wegen der paar Bilder, fondern aus der
Erkenntnis heraus, daß folche Werte unferem
Volke überhaupt nichts feien. Die Fjerren der
italienifchen Miffion hätten auf unferen Fjinweis,
auf die Konvention von 1868 geantwortet, ihr
Äbfchluß habe damals im italienifchen Volke
folchen Unwillen erregt, daß die Regierung
hätte zurücktreten müffen. Äuch in den trübften
Stunden ihrer Gefdjichte fei den Italienern der
Inftinkt nie abhanden gekommen, daß es fich
bei Kunftwerken nicht um einen eitlen Luxus,
fondern um wahrhafte Lebenswerte handle, bei
uns aber fei er Regierenden und Regierten
völlig fremd. Ein Vertreter, der nicht auf Grund
der Gutachten von Mufeumsdirektoren, Künft-
lern, Kunfthiftorikern und ähnlichen feltfamen
Koftgängern Gottes, fondern aus einem Kunft-
finn heraus, der ein unabtrennbares Stück feines
Ganzen wäre, die Sache unferes Kulturbefitjes
geführt hätte, hätte die Gewalttat vielleicht ver-
hindert. 3umindeft aber müffe das hier kom-
petente Staatsamt für Äußeres endlich begreifen,
daß mit jeder Einbuße diefer Ärt unfcßäßbare
Werte für unferen wirtfchaftlichen undmoralifcßen
Wiederaufbau verloren gingen. In 3ukunft
müßten unfere Kunftwerke erfolgreicher ver-
teidigt werden, nicht durch bureaukratifche
Winkelzüge, fondern durch unmittelbaren Än-
teil an der Sache, die man vertrete, und durch
Einfaß der ganzen Perfönlichkeit. Dazu müffe
aber auch die öffentliche Meinung, der ent-
fchloffene Wille eines ganzen Volkes hinter den
Verteidigern der Kunft ftehen. Nur daraus könne
dem Proteft der Regierung, der fonft ein Stück
Papier fei, die Kraft einer Gehör heifchenden
Forderung zuwachfen, nur daraus könne eine
Mauer werden, an der künftige Änfprüche eines
keine Verlegung des Rechts fdjeuenden Gegners
zerfchellten. So möge jedem einzelnen aus
diefem Vorfall der Weckruf werden, fich aus
feiner Stumpfheit zu reißen und fich feinen Weg
zur Kunft zu fuchen. Wer Glück und Not, die
eine Schöpferkraft in bildhafte Form zu bringen
gewußt habe, in fich wiederklingen zu laffen
vermöchte, dem fei die Kunft ein innerer Befife.
Dazu eine hilfreiche Fjand zu bieten, wäre Sache

der Mufeen und der Kunftforfchung, die fich
fonft mit ihrem Pfauenrad leeren Wiffens un-
nütz blähe. Fjeute räche fich diefes bisherige
Verfäumnis bitter, da das Volk feine Kunftwerke
als tote, nicht als lebendige Werte verteidige.
Wenn alle Verantwortlichen dies begriffen, wenn
fie alle entfddoffen feien, das Kunftwefen unferer
3ukunft auf einer völlig neuen Grundlage auf-
zubauen, wenn jeder einzelne von uns, erfchreckt
von dem Verluft, den wir erlitten, ernfter und tiefer
fich um Kunft bemüht, wie immer fie ihm entgegen-
tritt, dann werde der fchmerzliche Eingriff der
Italieneraud) heilfam gewefen fein; er werde unfer
Bekenntnis zur Kunft aus einer Sache der 3ungen
zu einer Sache der Fjerzen gemacht haben.
Der zweite Äuffatj Dr. Cießes im „Neuen
Wiener Uageblatt“ vom 19. Februar hieß „Die
Verteidigung unferes Kunftbefißes“ und mahnt,
ftatt den Gegner zu fchmähen, lieber vor der
eigenen Uür zu kehren. Die Italiener hätten
mit ihrer bekannten diplomatifchen Gefchicklich-
keit nicht einen 3wang auf uns geübt, fondern
nur einen Drude nach der Richtung des „Locus
minoris resistentiae“ und hätten mit Recht ver-
mutet, daß wir ihnen, wo es fich doch nur um
Kunft handle, einen geringeren Widerftand ent-
gegenfetzen würden. Wer alles gelefen habe,
was aus dem Phrafendunft unferer gewöhnlichen
Lebensatmofphäre heraus über die Entführung
der Bilder bis jetjt gefchrieben worden fei,
müßte annehmen, daß das Volk von Wien wie
ein Mann aufgeftanden wäre, diefe Schäle zu
verteidigen, wenn es nur gewußt hätte, wo das
kunfthiftorifche fjofmufeum und die Äkademie
der bildenden Künfte eigentlich feien. Dann führt
er die Forderung des „inneren Befitjes“ der Kunft-
werke ähnlich wie im Äuffalj der „3eit“ näher aus
und macht Vorfchläge zur befferen Organifierung
einesÄbwehrdienftes, vor allem durch3ufammen-
faffen unferer heute allen möglichen Behörden
unterftehenden Kunftfchäße unter eine einheitliche
Obforge. Es fei höchfte 3^it, hier und auch ander-
wärts von unferen Feinden zu lernen.
Äm 26. Februar endlich hielt Dr. Cietje in der
Urania einen Vortrag, in dem er die wertvollften
der entführten Kunftwerke im Lichtbilde vor-
führte und ihre künftlerifchen Werte feinem
Publikum nahebrachte.
Äls letzter Fjinweis mag noch die Änführung
eines Huffatjes von * * * im „Neuen Wiener
Uageblatt“ vom 16. Febr. dienen, in dem allerlei
hiftorifche Reminifzenzen, befonders an Canovas
feinerzeitige Miffion, von Napoleon aus Rom nach
Paris entführte Kunftfchä^e wieder ihrer Fjeimat
zuzuführen, ausgeführt und für die Gegenwart
Nutzanwendungen gefolgert wurden. G. W.

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