Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers (11.1919)

Ärd)itekturaufgaben der Gegenwart

Siedelung anfdßießen, welche die FLIohnungen der Profefforen und Studierenden auf-
nimmt (Beifpiel: F)ellerau bei Dresden). Endlich) werden natürlich) auch) die Fabriken,
wie das ja fcßon vielfach) gefcßehjen ift, ihre Beamten und Arbeiter in räumlich) ge-
fch)loffenen tüohmanlagen um [ich) zu verfammeln fucßen. — Der Vorkämpfer der
deutfdßen Gartenftadtbewegung, der Karlsruher Landeswoh)nungsinfpektor Dr. Fans
Kampffmey er, hat in einer aktuellen DenkfcF>rift (Ein Vorfrfßag für ein deutfcßes Kriegs-
denkmal. Jena. Eugen Diederich)s, 1918) das Programm für eine „Friedensftadt“ ge-
zeichnet, die er pd) als Mufter einer genoffenfchaftlichen Siedelung denkt: ein
in [ich felbftftändiges politisches Gebilde, deffen Bodenbefijz im Gemeineigentum
bleibt und nur an die Nutznießer zu Gaus- und Gartenbau verpachtet wird. Verkaufs-
läden für Nahrungsmittel, Kleidung, BefcFjaffung des Gausrats ufw. werden als Konfum-
genoffenfchaften betrieben. Ein fozialer Gemeinfinn foll diefe neue Friedensftadt be-
herrfchjen, der ßch in jeder praktifchen und idealen Einzelheit ausfpricht.—-
Die Fabriken und alle die Vorrichtungen, die [ich mit der Verarbeitung oder der
chemifcßen und grobmateriellen Umwandlung der Großftadtprodukte befaßen, wie
Elektrizitätswerke, Gasanftalten, Kohlenlager, Ulafenmeiftereien ufw., find ftadtbaulich)
genau fo Äußenanlagen, wie die Verwaltungsgebäude und die Gandeiskontore Innen-
anlagen: Diefe Äußenanftalten genau fo wie die exzentrifcßen Gartenftädte mit der
Stadtmitte organifch) zu verknüpfen, verlangt der moderne Stadtbaugrundfatz, „der De-
zentralifierung des Ulohnens und der Konzentrierung des Verkehrs“, und darauf hat
es nun ein fyftematifch auszubauendes Stadtbahnnetz abzufehen. Die am beften als
Durchgangsbahnhöfe zu geftaltenden Fernftationen find mit einander und mit allen
wichtigen Brennpunkten des inneren Stadtverkehrs zu verbinden, Lebensadern, die die
Stadtbahnen, die Cramways und die feh)r verfd)iedenartig zu löfenden Untergrund-
bahnen, verkörpern. Auch die Straßenführung und die Platzanlagen find im Sinn
diefer größtmöglichen Verkehrserleichterung und Verkehrsbefch)leunigung zu
geftalten, aber nicht nur in diefer, fondern vor allem auch in der Abficht plaftifch)-
räumlicher Anfchjaulichkeit: Erft diefer architektonifche Gedanke geftaltet das
moderne Stadtchaos zum organifdjen Gebilde, wie es die FUettbewerbsentwürfe
„Groß-Berlin“ von 1910 und „Groß-Düffeldorf“ von 1912 (Bruno Schmitz, Bruno
Möhring u. a.) uns vorgezeichnet haben. „Räumlich wirkende Straßen und Plätze
und plaftifcße Baumaffen mit einander und durch einander zu bilden“, ift der künftlerifche
Leitgedanke des neuzeitlichen Stadtbaus, wie er bereits in den großzügigen Architektur-
formen der Eheodor Fifcher, Ulilhelm Kreis, Peter Behrens, Paul Bonajz,
Gans Poelzig, Paul Mebes und vieler anderer unferer neudeutfdßen Meifter feine
Verwirklichung gefunden hat.
Optifchen Reichtum und die vollfinnliche Buntheit vergeiftigter Lebensfreude werden
alle diefe Bauten fcFpießlich in der neuen Monumentalmalerei des Expreffionismus er-
halten, der diefe Kunft aus der felbftgerecF)ten lfolierti)eit des impreffioniftifchen Rahmen-
bildes befreit hat: Gerade die Verbindung der jungen, dekorativ gedachten Monu-
mentalmalerei mit den allgemeineren Aufgaben der Raumkunft war das bedeutendfte
Ereignis, das die letzte große Kundgebung deutfcßer „Sacßkultur“ — um einen Be-
griff Richard Gamanns zu gebrauchen — vor dem Kriegsausbruch gezeitigt hatte:
die Kölner (ilerkbundausftellung des Gochfommers 1914 (Bruno Pauls „Gelbes
Gaus“. Die Fabrik von ülalter Gropius mit Fresken von Otto Gettner, die Glas-
gemälde von Jan Chorn-Prikker).

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