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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 23
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Wolfradt, Willi: Georg Groß: der Abenteurer
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0796

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George Groß: Der Äbenteurer

Von WILLI WOLFRADT
Mit 1 Abbildung

Der Futurismus ift die ecßte Ausgeburt eines zynifcßen 3^ita^ters, der Gegenpol des
Lyrismus, die letzte Konfeguenz des Impreffionisrnus. Das ßeißt: nicßt nur, was
das in Ruße auf der Gegebenheit weilende Äuge auffängt, fondern die Summe
aller Eindrücke der Sinne und Nerven, das ganze wüfte Konzert der Ulaßrneßmungen
und Äffoziationen, das fcßrille Durcheinander des Einftürmenden wird feftgeßalten, aus
feiner Vielteiligkeit das Geftaltungsgefet} gewonnen, fein alle Melodie zerkreifcßendes
Chaos zum Melos gemacht. Schaut man heute auf den Impreffioniften verächtlich ßer-
nieder als auf einen Äugenden, auf einen Valeur-Reporter, auf einen Delikateffenjäger
von Gnaden der Natur, als auf einen Reflektor, deffen Antriebe nicßt in ißm, fondern
im Außen lokalifiert find, fo gilt alles das (was oft überfeßen wird) erft recht vom
Futuriften, der feine Eindrücke nur nicßt lediglich auf optifeßem Gebiete fammelt, fondern
der Gegebenheit mit allen Organen zu Leibe rückt, ißre Geräufcße, Gerüche, Gefcßmäcke
fcßluckt, den Sinn der Erfcßeinung auf ißren Eindruck abfärben läßt, das Material von
Erinnerungen, Deutungen und Verbindungen, wie es die Gegebenheit jenfeits der rein
finnlicßen Eindrücke anbietet, einbezießt und zu der Impreffion den Ausdruck ißrer
dlirkung, der ausgelöften Empfindungen, das zwar nicßt in einem optifeßen, woßl aber
in einem temporären, fpirituellen oder dialektifcßen 3ufammenßang mit dem Eindrucks-
moment Stehende ßinzunimmt. Der Futurismus ift keineswegs un- oder übernaturaliftifcß,
obfcßon das die Programmatiker unter den Futuriften woßl felbft behauptet haben.
Das kann nur behaupten, wer noeß nicßt erkannt ßat, daß die Natur felbft futuriftifcß
ift, d. ß. daß wir nichts mit den Äugen waßrneßmen können, oßne daß uns ein Scßwall
von Empfindungen aus anderen Sinnesbezirken und daran fieß anknüpfenden Äffozia-
tionen entgegenfcßlägt. (Iler behauptet, der fogenannte Naturalismus gebe die Natur-
gegebenheit naeßaßmend wieder, der feßeint von der Erkenntnis der Hielt als unferer
Vorftellung noch nicßt berührt zu fein. Der fogenannte Naturalismus ift vielmehr eine
ausgefproeßen abftraßierende Kunftweife, denn er gibt einen General nicßt wider,
wie ißn die vom optifeßen Eindruck ausgelöfte Vorftellung uns zeigt, nämlich blut-
befprengt, im Ängftfcßweiß von Landkarten träumend, alles um fieß ßer in Automaten
verwandelnd, Ffandßaber von taufendfaeßem Scßickfal, Narr einer Glorie (womit icß
nun nicßt fagen will, daß eine andere Vorftellungskraft ißn nicßt anders feßen kann
und ftatt Kanonendonner eßer Reden und Gläferklingen in fein Porträt ßineinzubringen
ßätte), fondern er abftraßiert küßn von allem, was den natürlichen Eindruck über die
Grenzen des rein optifeßen Eindrucks erweitert, er unterfeßlägt die natürliche Gegeben-
heit zugunften einer reduzierten Nur-Optik. Diefe Reduktion oder Äbftraktion ift not-
wendig, um in und unter der feßeinbaren Spiegelung des Gegebenen einer Idee Äus-
drucksmöglicßkeit zu verfeßaffen. Der Umriß des menfeßließen Körpers beifpielsweife
ßat feine eigentümliche Melodie, dlollte man naturaliftifcß im richtigen Sinne diefes
ftets falfcß gebrauchten Ulortes den nackten Menfcßen darftellen, fo müßte man feinen
Scßweißgerucß, feine tapfige tlnbeßolfenßeit, feine dunklen Lüfternßeiten, feine Er-
innerungen an andere nackte Leiber etwa mit zum Ausdruck bringen. Oder wenn
nicßt gerade das, fo eben doeß dergleichen. Aber mit alledem verfehlte man die
Melodie feiner Silßouette, wenigftens in ißrer abfoluten Reinßeit, die zwar das Leben
nicßt kennt, die aber woßl Gegenftand der Kunft fein kann. Im Impreffionismus ging
die Kunft (geßt fie immer wieder) auf die Bafis einer optifcß reduzierten Natürlichkeit

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