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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 10
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Kunstpolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0318

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Kunftpolitik

galera [Hege erfolgt ift. Die Flügel des Genter
Altars find im Jahre 1821 mit dem Ankauf der
Sammlung S a 11 y in den Befiß des preußifchen
Staates gekommen und ähnlich) wurden die
Ältarflügel von Dirk Bouts 1834 aus der
Sammlung Battendorf in Aachen erworben. Es
ift allerdings zu befürchten, daß auch in diefem
Fall der laute Proteft, der aus ganz Deutfchjland
dem Friedensinftrument begegnet, im Äugenblick
ohne praktifche [Hirkung verhallt. Infolgedeffen
wird man gut daran tun, zunächft die Catfache
als folche zu verzeichnen, um diefe dem örteil
der Gefchichte zu unterbreiten.
Das ftüiener Kunftamt
Im Märzheft des „Cicerone“ war von den vor-
bereitenden Ärbeiten zur Schaffung eines Kunft-
amtes die Rede, denen fich um Ädolf Loos, Karl
Kraus und Ärnold Schönberg Gefcharte unter-
zogen. Das fo in gemeinfamer Ärbeit 3uftande-
gekommene, hat nunmehr Ädolf Loos unter dem
Citel „Richtlinien für ein Kunftamt“ als Denkfchrift
veröffentlicht. 3uerft war es in der 62. Nummer
des III. Bandes der Kliener 3eitfd)rift „Friede“
abgedruckt, jeßt ift die Schrift im Verlage Richard
Lany, I. Kärntnerftraße 44, um billiges Geld zu
haben. Diefe Ausführungen wurden auch von
Loos Montag, den 28. Äpril im mittleren Kon-
zerthausfaal zum Gegenstand einer Diskuffion
gemacht, die unter reger Beteiligung äußerft inter-
effant verlief. Es ift feßwer, aus fo wohl durch-
dacht komprimierten Säßen, die gleichfam ein
Extrakt find und entfprechend ausgeführt ein
Mehrfaches an Umfang diefer Schrift füllen
würden, noch einen Auszug zu geben. Leichter
und auch nötiger wäre es vielleicht — denn
wer fich für diefes Chema ernftlich intereffiert,
wird nicht umhin kommen können, diefe in [Haßr-
heit maßgebende Schrift felbft durchzuftudieren —
einen Kommentar dazu zu geben. So viel dar-
über an diefer Stelle: Nicht um die Förderung
von einzelnen Menfchen, die heute als Künftler
gelten und unter denen zweifellos auch manche
diefer Menfchheitsftufe Nahefteßende find, han-
delt es fich für den Staat, fondern um viel mehr,
nämlich um die wirkliche und wahrhafte ünter-
ftüßung der Kunft felbft, der nur damit gedient
wird, daß man ihr einen Nährboden fchafft, dem
fie entwachfen, und eine Refonanzfphäre gibt,
die fie weiter- und ausklingen läßt zu voller
erreichbarer tUirkung und Erfolg. Mit Unter-
ftüßung Einzelner, möge eine noch fo „beru-
fene“ Jury die Äuslefe vornehmen, ift nicht nur
nichts Förderndes getan, fondern im Gegenteil
dem bei diefer Gelegenheit ficherlich übergange-
nen wirklichen Künftler dadurch fchwere Unge-

rechtigkeit zugefügt. Denn Loos faßt den Be-
griff Kunft viel höher, als es der heutige allge-
meine Sprachgebrauch tut: ernennt diefe Grenz-
gebiete, die zum Begriff Kunft in einem Äb-
ßängigkeitsverßältnis fteßen, „äußere Kultur“.
Für ihn ift Kunft nur jene geniale, immer wieder
erfolgende Inkarnation des „heiligen Geiftes“,
die der Führer und Ulegweifer der fpät erft nach-
humpelnden großen Maffe der übrigen Menfcß-
heit ift. Er hält den Begriff Kunft von den Idealen
der Schönheit, mit denen ihn ein vergangenes
Jahrhundert verquickt hat, ftreng getrennt und
mißt feine Größe daran, wie lange es braucht,
bis er fich bei der Nachwelt dureßzufeßen im-
ftande ift. Noch klarer als in dem abftrakten
Geil feiner Darlegungen tritt diefer innere Geift
und Sinn feiner Änfchauungen in der dem Ganzen
vorangeftellten Erzählung, Legende, oder wie
man es nennen mag, aus dem Jahre 1913 „Die
kranken Ohren Beethovens“, die mit den [Horten
fchließt: „Es ift der Geift, der fich den Körper
baut“. So find es nicht, wie von feiten der
einzelnen Berufsvertretungen bereits gemacht,
Perfonalvorfchläge zur Befeßung neu zu errich-
tender Beamtenftellen, fondern [Heifungen, nach
welchem Grundfaß und in welchem Geifte vor-
gegangen werden müffe, wolle man aus den,
dem Gemeinwefen innewohnenden Kräften das
Fjöchftmöglichfte zu allgemeinem Nußen und
[Hohle, aber freilich nicht zu augenblicklicher
höchftmöglicher Bequemlichkeit herausholen. Es
fcheint, daß — würde auch nur das Fjauptfäch-
lichfte davon irgendwo verwirklicht — der be-
treffende Staat, der dies täte, fchon in der 3ßit
kaum eines Menfchenalters feine Nachbarn an
Bedeutung und Rang in diefer Fjinficht weithin
überragen müßte. [Has über die Erziehung des
Volkes durch Schule, Ausheilungen, Kunftpflege
und Schußmaßnahmen gegen Kulturverderbnis
einerfeits, der Künftler und Handwerker felbft
andrerfeits und was über die Denkmalpflege
durch Schuß der einzelnen Kunft- und Kultur-
denkmäler und des Ortsbildes, durch Schuß ferner
auch der einzelnen Naturdenkmale und des Land-
fchaftsbildes und endlich über das Vorgehen bei
Vergebung von Kunftaufträgen gefagt ift, be-
rührt fich ftellenweife mit althergebrachten, land-
läufigen Änfchauungen, weil an 3eü und Gm-
ftände gebunden, bald aber fcheint es paradox
und das eben doch nur, weil einmal verfucht
worden ift, einen Gedanken bis in feine leßten
Konfequenzen durchzudenken. Alles aber über-
ftrahlt jene für Ädolf Loos, man mag über ihn
denken, wie man will, immer aufs Neue impo-
nierende, fo bezeichnende Offenheit und Ehrlich-
keit, die feine Perfon zu einem fo wertvollen

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