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https://doi.org/10.11588/diglit.9513#0117
Nr. 159
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„Heidelberger Neueste Nachrichten" — „Herdelberger Anzeiger"
Freitag, 10. Zuli 1936
eite 13
Sn Sem-örmeln ln -le Arktls.
bommer im Men Norden. - Zromsoe, -ie Sla-t, in -er tvahren- -er Sölfte -eS Mres Nacht tft.
Diel zu klein und unscheinbar stellt man sich Tromsö
"r. Wix ein ärmliches Fischerdorf, als einem der letzten
^orposten der Zwilisation nach Norden hin. Das Tromsö
Wirklichkeit ist als elftausend Einwohner zählendes
^tädtchen der grötzte und wichtigste Ort der Ark-
der als Stützpunkt für den Seehundsfang unh als
^tapelplatz der Polarfischerei und Zentralpunkt des Pelz-
handels autzerordentlich rührig ist. Von dem phantasie-
^ollen Eindruck, den man im Geist von Tromsö hat, bleibt
derzlich wenig übrlg. Ja, Seehunde gibt es auch, die aber
^egen in den grotzen Lagerschuppen am Kai, auch der
nischgeruch steigt dem Reisenden gehörig in die Nase,
hienn er gerade von der richtigen Brise getroffen wird,
^nd hundert Schritte vom Ufer entfernt schrecksi er sogar
dor einem leibhaftigen Eisbären zusammen, der breit-
beinig, fast mitten auf der Strahe steht und jeden Frem-
fletschenden Zähnen empfängt. Selbstverständ-
^sch ist dieses zottige Monstrum ausgestopft und dient als
wirkungsvolle Reklame für ein Pelzwarengeschaft, das, wie
wle derartigen Geschäfte in Tromsö—^und es gibt deren
«ahrlich nicht wenig! — Eisbärpelze, Renntierfelle, See-
hunds- und Robbendecken zu angemessenen Preisen zu ver-
^aufen hat. Es gehört zum guten Seemannston, dah sich
a^r Matrose, der nach Tromsö kommt, neben dem weitzen
^ilex zusammen mit seinex Tromsöer „Eintagsliebe" pho-
tographieren läht. Es ist doch herrlich, wenn dann die
Angehörigen eine solche Karte erhalten, auf der der Held
eigenhändig darunter geschrieben hatte: „Grutz aus
Tromsö! Bezähme wilde Tiere!"
Tromsö in der Arktis — das ist Wirklichkeit, was uns
ja auf Schritt und Tritt die Schaufenster der Pelzgeschäfte
urrd Fischhandlungen beweisen wollen. Aber wie kam uns
dieses Tromsö an diesem Sommertag entgegen! Barfü-
tzige Kinder begrühten uns am Ufer mit lautem Ge-
schrei, die Männer gingen ohne Rock und schwitzten doch
noch mehr als wir, die wir es ihnen gleichtaten, anmutige
Mädchen promenierten in buntfarbenem Hosenkleid, einer
Art Strandanzug, dessen bunte und schreiende Farben
gax komisch in dieser ernsten Umgebung wirken. Und was
uns vor Ueberraschung fast auf den Boden gesetzt hätte —
ein Sprengwagen verspritzte seine Wasserstrahlen
aüf der staubigen Strahe, und die Buben liefen johlend
hinterdrein!
Da wars mit dem Traum von den aufeinander pral-
lenden Eisberge endgültig vorbei. Und wir liehen uns
van einem jungen deutschen Meteorologen, der seit einem
Jahr als Mitglied des deutschen Nordlicht-Jnstituts im
Tromsöer Observatorium studienhalber tätig ist, erzäh-
len, dah diese Hitze- und Trockenperiode in der
Arktis schon seit Wochen dauert. Der Deutsche berichtete
weiter, dah der Frühling im Nordland mit solcher Stärke
eingesetzt habe, dah über Nacht der Schnee wie weggebla-
sen war und sofort ein Wettblühen und -wachsen be-
gann. Und einen solchen Sommer in Tromsö erlebten
wir nun. Sind die Blumen, Blüten, Gräser, Büsche nnd
Bäume auch spärlich — die Farben sind desto einschmei-
chelnder, und geradezu herrlich ist das Landschaftsbild von
Tromsö anzusehen mit dem saftigen Grün der Jnsel, dem
dunklen Rot der Häuser, dem tiefen Blau des Meeres und
dem strahlenden Weih der schnee- und eisbedeckten Berge,
die ringsum treue Wache halten.
Jmmer nur in den Strahen von Tromsö zu wandeln,
verschafft keinen besonderen Genuh. D.ie vielen hölzernen
Lichtmasten mit dem Bündel von verbindenden Dräh-
ten und Kabeln zu beiden Seiten der Stratzen beherrschen
das Bild und lassen Erinnerungen an balkanische Stra-
henzüge aufkommen. Sicher ist diese Stadtverschandelung
dringenü notwendig, denn man ist ja in Tromsö auf die
Strahenbeleuchtung eingutes halbes Jahr
angewiesen. Jm Winter brennen die Lampen Tag und
Nacht, und auch das kurze Morgendämmern von elf bis
ein Uhr mittags bringt nicht so viel Helligkeit in die
Strahen, dah man auf die Beleuchtung ganz und gar
verzichten kann.
Ab und zu wird der nächtliche Himmel von einer
merkwürdigen Himmelserscheinung erhellt, einem geister-
haften farbigen und flimmernden Licht, das merkwürdige
Gebilde zeichnet und wie aus einer anderen Welt zu kom-
men scheint: dem Nordlicht. Kommt man von einer
sommerlichen Nordlandreise zurück, ist eine der häufigsten
Fragen der lieben Bekannten, wie oft man ein Nordlicht
gesehen habe. „Ueberhaupt keines", muh man selbstver-
ständlich antworten, denn das Nördlicht gibt es nur im
Winter, die Mitternachtssonne, nach der einem niemand
ausforscht, nur im Sommer und zwar auch nur zu be-
stimmter Zeit: in Tromsö zum Beispiel ist die Mitter-
nachtssonne nur sichtbar vom 2l>. Mai bis 23. Jnli, in
Svolvär vom 38. Mai bis 16. Juli, in Hammerfest vom 16.
Mai bis 27. Juli und am Nordkap vom 14. Mai bis 30.
Juli.
Lange blieben wir in angeregtester Unterhaltung mit
dem jungen Nordlichtforscher, der auf einem vorgeschobe-
nen Posten deutsche Kulturarbeit leistet. Um der Wissen-
schaft zu dienen, nimmt er gern Einsamkeit, Entbehruirg
und Unwirtlichkeit auf sich. Was er denn den langen Win-
ter treibe, fragten wir ihn halb mitleidvoll. Lächelnd g«b
er zur Antwort: „Arbeiten, während andere Tag und
Nacht schlafen und auf den kurzen Sommer hoffen, der
uns wieder Licht und Freude bringt...!"
Jn den dürftigen, mehr improvisierten Anlagen um
die Holzkirche von Tromsö steht auf einem Betonsockel
eine R i e s e n s p a rb ü ch s e. Eine dickbauchige Seemine,
in die man auf der Oberseite einen Gsldeinwurfschlitz ge-
meitzelt hat, bitte um ein Almosen für die Stadtarmen
von Tromsö. Eine ganz originelle Jdee, eine der gefähr-
lichsten Kriegswaffen, üie vor fünfzehn Jahren einmal ir-
gendwo im grünen Meerwasser auf ein Schiff gelauert ha-
ben mag, einem wohltätigen Friedenswerk dienstbar zu
machen. Ein Schild, das auf dieser Mine angebracht ist,
weist auf den Zweck ihres erdgebundenen Daseins hin:
„Det Troll — Du var Sjömannens skraekk —- Sank ham
nu klingende mynt i din saekk." Nach freier Uebersetzung
heißt das ungefähr: „Du Troll (beliebter nordischer Aus-
druck für Bösewicht), du warst des Seemanns Schreck,
fülle nun klingende Münzen in denen Sack". Wie lange
es wohl dauern mag, bis der gewaltige Hohlraum einer
solchen Seemine mit den norwegischen Kupfermünzen ge-
füllt ist?
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„Heidelberger Neueste Nachrichten" — „Herdelberger Anzeiger"
Freitag, 10. Zuli 1936
eite 13
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bommer im Men Norden. - Zromsoe, -ie Sla-t, in -er tvahren- -er Sölfte -eS Mres Nacht tft.
Diel zu klein und unscheinbar stellt man sich Tromsö
"r. Wix ein ärmliches Fischerdorf, als einem der letzten
^orposten der Zwilisation nach Norden hin. Das Tromsö
Wirklichkeit ist als elftausend Einwohner zählendes
^tädtchen der grötzte und wichtigste Ort der Ark-
der als Stützpunkt für den Seehundsfang unh als
^tapelplatz der Polarfischerei und Zentralpunkt des Pelz-
handels autzerordentlich rührig ist. Von dem phantasie-
^ollen Eindruck, den man im Geist von Tromsö hat, bleibt
derzlich wenig übrlg. Ja, Seehunde gibt es auch, die aber
^egen in den grotzen Lagerschuppen am Kai, auch der
nischgeruch steigt dem Reisenden gehörig in die Nase,
hienn er gerade von der richtigen Brise getroffen wird,
^nd hundert Schritte vom Ufer entfernt schrecksi er sogar
dor einem leibhaftigen Eisbären zusammen, der breit-
beinig, fast mitten auf der Strahe steht und jeden Frem-
fletschenden Zähnen empfängt. Selbstverständ-
^sch ist dieses zottige Monstrum ausgestopft und dient als
wirkungsvolle Reklame für ein Pelzwarengeschaft, das, wie
wle derartigen Geschäfte in Tromsö—^und es gibt deren
«ahrlich nicht wenig! — Eisbärpelze, Renntierfelle, See-
hunds- und Robbendecken zu angemessenen Preisen zu ver-
^aufen hat. Es gehört zum guten Seemannston, dah sich
a^r Matrose, der nach Tromsö kommt, neben dem weitzen
^ilex zusammen mit seinex Tromsöer „Eintagsliebe" pho-
tographieren läht. Es ist doch herrlich, wenn dann die
Angehörigen eine solche Karte erhalten, auf der der Held
eigenhändig darunter geschrieben hatte: „Grutz aus
Tromsö! Bezähme wilde Tiere!"
Tromsö in der Arktis — das ist Wirklichkeit, was uns
ja auf Schritt und Tritt die Schaufenster der Pelzgeschäfte
urrd Fischhandlungen beweisen wollen. Aber wie kam uns
dieses Tromsö an diesem Sommertag entgegen! Barfü-
tzige Kinder begrühten uns am Ufer mit lautem Ge-
schrei, die Männer gingen ohne Rock und schwitzten doch
noch mehr als wir, die wir es ihnen gleichtaten, anmutige
Mädchen promenierten in buntfarbenem Hosenkleid, einer
Art Strandanzug, dessen bunte und schreiende Farben
gax komisch in dieser ernsten Umgebung wirken. Und was
uns vor Ueberraschung fast auf den Boden gesetzt hätte —
ein Sprengwagen verspritzte seine Wasserstrahlen
aüf der staubigen Strahe, und die Buben liefen johlend
hinterdrein!
Da wars mit dem Traum von den aufeinander pral-
lenden Eisberge endgültig vorbei. Und wir liehen uns
van einem jungen deutschen Meteorologen, der seit einem
Jahr als Mitglied des deutschen Nordlicht-Jnstituts im
Tromsöer Observatorium studienhalber tätig ist, erzäh-
len, dah diese Hitze- und Trockenperiode in der
Arktis schon seit Wochen dauert. Der Deutsche berichtete
weiter, dah der Frühling im Nordland mit solcher Stärke
eingesetzt habe, dah über Nacht der Schnee wie weggebla-
sen war und sofort ein Wettblühen und -wachsen be-
gann. Und einen solchen Sommer in Tromsö erlebten
wir nun. Sind die Blumen, Blüten, Gräser, Büsche nnd
Bäume auch spärlich — die Farben sind desto einschmei-
chelnder, und geradezu herrlich ist das Landschaftsbild von
Tromsö anzusehen mit dem saftigen Grün der Jnsel, dem
dunklen Rot der Häuser, dem tiefen Blau des Meeres und
dem strahlenden Weih der schnee- und eisbedeckten Berge,
die ringsum treue Wache halten.
Jmmer nur in den Strahen von Tromsö zu wandeln,
verschafft keinen besonderen Genuh. D.ie vielen hölzernen
Lichtmasten mit dem Bündel von verbindenden Dräh-
ten und Kabeln zu beiden Seiten der Stratzen beherrschen
das Bild und lassen Erinnerungen an balkanische Stra-
henzüge aufkommen. Sicher ist diese Stadtverschandelung
dringenü notwendig, denn man ist ja in Tromsö auf die
Strahenbeleuchtung eingutes halbes Jahr
angewiesen. Jm Winter brennen die Lampen Tag und
Nacht, und auch das kurze Morgendämmern von elf bis
ein Uhr mittags bringt nicht so viel Helligkeit in die
Strahen, dah man auf die Beleuchtung ganz und gar
verzichten kann.
Ab und zu wird der nächtliche Himmel von einer
merkwürdigen Himmelserscheinung erhellt, einem geister-
haften farbigen und flimmernden Licht, das merkwürdige
Gebilde zeichnet und wie aus einer anderen Welt zu kom-
men scheint: dem Nordlicht. Kommt man von einer
sommerlichen Nordlandreise zurück, ist eine der häufigsten
Fragen der lieben Bekannten, wie oft man ein Nordlicht
gesehen habe. „Ueberhaupt keines", muh man selbstver-
ständlich antworten, denn das Nördlicht gibt es nur im
Winter, die Mitternachtssonne, nach der einem niemand
ausforscht, nur im Sommer und zwar auch nur zu be-
stimmter Zeit: in Tromsö zum Beispiel ist die Mitter-
nachtssonne nur sichtbar vom 2l>. Mai bis 23. Jnli, in
Svolvär vom 38. Mai bis 16. Juli, in Hammerfest vom 16.
Mai bis 27. Juli und am Nordkap vom 14. Mai bis 30.
Juli.
Lange blieben wir in angeregtester Unterhaltung mit
dem jungen Nordlichtforscher, der auf einem vorgeschobe-
nen Posten deutsche Kulturarbeit leistet. Um der Wissen-
schaft zu dienen, nimmt er gern Einsamkeit, Entbehruirg
und Unwirtlichkeit auf sich. Was er denn den langen Win-
ter treibe, fragten wir ihn halb mitleidvoll. Lächelnd g«b
er zur Antwort: „Arbeiten, während andere Tag und
Nacht schlafen und auf den kurzen Sommer hoffen, der
uns wieder Licht und Freude bringt...!"
Jn den dürftigen, mehr improvisierten Anlagen um
die Holzkirche von Tromsö steht auf einem Betonsockel
eine R i e s e n s p a rb ü ch s e. Eine dickbauchige Seemine,
in die man auf der Oberseite einen Gsldeinwurfschlitz ge-
meitzelt hat, bitte um ein Almosen für die Stadtarmen
von Tromsö. Eine ganz originelle Jdee, eine der gefähr-
lichsten Kriegswaffen, üie vor fünfzehn Jahren einmal ir-
gendwo im grünen Meerwasser auf ein Schiff gelauert ha-
ben mag, einem wohltätigen Friedenswerk dienstbar zu
machen. Ein Schild, das auf dieser Mine angebracht ist,
weist auf den Zweck ihres erdgebundenen Daseins hin:
„Det Troll — Du var Sjömannens skraekk —- Sank ham
nu klingende mynt i din saekk." Nach freier Uebersetzung
heißt das ungefähr: „Du Troll (beliebter nordischer Aus-
druck für Bösewicht), du warst des Seemanns Schreck,
fülle nun klingende Münzen in denen Sack". Wie lange
es wohl dauern mag, bis der gewaltige Hohlraum einer
solchen Seemine mit den norwegischen Kupfermünzen ge-
füllt ist?
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