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No. 28.
1842.
Kammierverhandlungen.
39. Sitz. r K. (Schluß) Hr. Sander faͤhrt fort: Die Zucker⸗
frage und die Baumwollenſpinnereien klagten laut unſere Kamerali—
ſten in Beziehung auf die Maßregeln an, welche in neueſter Zeit.
gegen dieſe Induſtriezweige ergriffen worden ſehen, Maßregeln,
welche nicht hätten eintreten können, wenn die Leute vom Finanz—
ſache mehr mit den Gewerben und dem Leben vertraut gewefen waͤ—
ren. Deßhalb ſeg auch die gänzliche Losſchälung der Wiſſen—
ſchaſten von den Zuſtaͤnden und den Anforderungen der Zeit
und des Volks, die Abtödtung des Wiſſens von aller lebendi—
gen Anſchauung, und deſſen Umſchaffung zu bloßen Begriffs—
formeln (wodurch uns in der Rechtswiſſenſchaft ein antinatio—
nales Geſetz und ein lichtſcheues Gerichtsverfahren aufgedrun—
gen worden ſey und noch aufgedrungen werdey nirgends in
jetziger Zeit ſo zum Vorſchein und zum Durchbruch gekömuien,
als bei den Lehren und Ausſprüchen der jetzigen Finanzwiſſen—
ſchaft, die ſo gänzlich mit den Anforderungen unſeres Lebens
eu Widerſpruch ſtünden. Wahrlich es ſey hohe Zeit, die Bil—
dung unſerer Finanzmänner mehr dem fruchthringenden Leben
durch ſeine Vereinigung mit dem übrigen lebendigen Unterricht
in den praktiſchen Wiſſenſchaften zuzuwenden, denn von ihnen
gerlange die nahe Zukunft nicht nur die Loͤſung der Fragen
über den Schutz und damit über die Blüthe und den Beſtaͤnd
des deutſchen Handels und der deutſchen Induſtrie, ſendern
auch die Loſung der wichtigen ſozialen Frage über die Organi—
ſirung der Arbeit, und die Angabe der Mittel zur Abwendung
der gaͤnzlichen Verarmung der Veſitzloferen. Wenn aber Je?
mand die Löſung dieſer Frage gelingen werde, ſo werden wir
Deuiſche es ſegn, welche aͤlsdann zur Löſung dieſer Fragen
nicht nur die durchdringende Gründlichkeit der wiſſenſchaftlichen
Kenniniffe, ſondern auch das hier Nöthigſte in uns tragen,
ein liebevolles Gemüth für unſere armen Brüder und ein toͤfes
Gefühh für Recht und Ordnung. Alles diefes abex waͤre nur
durch Gründung einer neuen volkswirthſchaftlichen und land—
wirthſchaftlichen hohen Schule möglich, und namentlich könnte
dieſe neue Schule nicht mit einer der beiden Univerſitäten ver—
bunden werden, da ſonſt die alte Studienordnung, die Mutter
nit der Tochter in Fehde und Hader geriethen, wobei leicht
die Tochter den Kürzern ziehen wmuͤßle. *Sie wohlthätigen Wir—
kungen, welche die Univerſitäten in ihrer ſeitherigen Organi—
ſation gebabt, werde er gewiß nicht in Abrede ſtellen; faber
er ſehe nicht ein, weßhaͤlh nicht eine Anſtalt, wie er ſie
vorſchlage, und von deſſen ſegensreicher Wirkfamkeit er auf
das innigſte durchdrungen ſey, mit den alten Inſtituten
wetteifern könne? Maͤn ſolle Heidelberg aufheben, und
in eine neue Unterſität ſür Staatswirthſchaft, für Berg—
bau und Forſtwiſſenſchaft, für hoͤhere Gewerbe und Handei,
kurz in eine große polytechniſche Hochſchule umwandeln. Es
ſey durch ſeine Lage zu einer ſolchen gleichſam wie berufen,
aud würde ohne Zweifel einen hohen Flor erreichen. Die evan—
geliſch-theologiſche Fakultät müſſe nach Freiburg verlegt,
und dieſes zu einer Univerſität erſten Ranges erhoben werden.
Als ſolche habe es dann eine greße Beſimmung erfüllt, und
in unſere Zeit, deren Streben unverkennbar darauf hingehe,
die in unglücklichen Tagen dem deutſchen Geſammtkörper ent—
fremdeten Glieder wieder anzuziehen, auf das folgenreichſte ein—
zugreifen. Als ein Hauptheerd europäiſcher Bildung und deut—
ſcher Geſittung werde es namentlich auf die Schweiz Einfluß
üben, wo gewiß die neuen, den ſcöweizeriſchen Partikularismus
befördernden Univerſitäten, Bern und Zürich, nicht entſtanden
wären, wenn für Freiburg zu rechter Zeit mehr gethan wor—
den waͤre. Es liege außerdem dem Elſaß gegenüber, und
würde dieſer alten deutſchen Provinz, wo unfere Nationalität
von der romaniſchen planmäßig untergraben werde, eine Art
Bürgſchaft für den Fortbeſtand des deuͤtſchen Elementes geben.
Karlsruhe, das allerdings ſeinem Plane gemäß die poly—
techniſche Schule zu verlieren hätte, müſſe man auf andere
Weiſe entſchädigen. Hr. Staatsr. v. Küdt: Die Regierung be—
halte ſich ihre Erklärung bis zur Berathung über dieſe Motion
revor und jetzt wolle er blos erklären, daß die Regierung die—
ſer Motion ganz ferne ſtehe und nicht die Abſicht habe, unter
den beſtehenden Verhältniſſen auf Aufhebung einer der beiden
Landesuniverſitäten einzugeben. Hx. Welcker will den Antrag
des Hrn. Sander lediglich, in ſo weit er ſich auf die Grün?
dung einer polytechniſchen Uniserſität bezieht, an die Abthei—
lungen verwieſen wiſſen, nicht aber in Betreff der Aufhebung
Heidelbergs, als wovon gar keine Rede ſeyn koͤnne, da fie eint
Avänderung an der Verfaſſung bedinge. In einer Zeit, wo
das Recht ſo vielfach gekräukt und die Verfoſſung beeinträchtigt
werde, müſſe man ſich konſervatis zeigen, denn Ju einer Aus-
bildung der Verfaſſung im Sinne der Volksfreiheit ſeg jetzt
weder Zeit, noch Ausſicht. Ohnehin habe ja Karl Friedrich
feierlich erklaͤrt, beide Landesuniverſitäten ſollten fortbeſtehen;
auch ſind Stiftungen heilig und unontaſtbar.
bemerkt im Fortgang ſeiner Rede, daß vorzugsweiſe durch Schuld
der Regierungen die frühere Achtung vor den Univerſitäten und
den Gelehrten verſchwunden ſey; habe man doch die Lehrfreiheit
untergrgben und, ſogar Männer, wie Thibaut und Schelling,
unter Polizeizenſur geſtellt! Hoffentlich würden nun endlich
die bekennten Ausnahmsbeſchluͤſſe des Bundes wieder aufgehe⸗
ren werden. Er ſpricht gegen den Plan Senders, weil'der—
ſelbe guf Beferderung einer einſeitigen Fachbildung hinauslaufe.
Or. Trefurt äußert ſich im Sinne Welckers, als welcher den
bemerkt Hr. Mzrdes, der die, wechſelſeitige Wirkung zwiſchen
allgemeiner und Fachlildung für durchauͤs nothwendig hält.
Hr. Zentner will die ſchweren Vertuſie, ven welchen Frei⸗
burg heimgeſucht, worden ſey, endlich erſetzt wiflen: er mag
abex ven der Aufhebung Heidelbergs Nichts hoͤrkn, weil jede
Aufhebung unpolitiſch ſeg. Der Nedner faßte auch die kirch—