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Großherzoglich Badische privilegirte Heidelberger Tageblätter für Verkündigung, Politik und Unterhaltung (36) — 1842

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No. 81 - No. 90 (23. März - 3. April)
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No. 89.


1842.





Heidelberg, im März 1842.

Der Preis des vierieljährigen Äbonnements
G. Reichard.











— —

Baden. Die „Konſtanzer Ztg.“ vom 28. März enthält
folgenden Artikel: „Ueber den Geiſt der heutigen Oppoſition
weinigen deutſchen Kammern. Die ſtändiſchei Verſaſſungen
ſind ein altes und ehrwücdiges Beſitzthum aller Voͤlker germa⸗
niſcher Abkunft, und ſchon' die Röiner betrachteten deßwegen
die Freiheit als ein deutſches Gut, das ſich hinter den Rhein
undeden Don geflüchtet habe. Mit dem weſtphäliſchen Frie⸗
Den und mit Dem gefährlichen Beiſpiele Ludwigs des XIV.
in Deutſchland geriethen aber Diefe Verfaſſungen immermehr
n Vergeſſenheit, ſo daß ſie in Folge der franzöſiſchen Revo—


Indern voöllig verſchwanden. Nach dein großen europäiſchen
Frieden war ihre Wiederherſtellung eine heilige Schuld der Re—
gierungen an die Voͤlker Deutfchlands, damd ſie die Landes—
herren durch ihre vielſeitigen Kenntniſſe, Erfahtungen und An—
ſichten in der Verwaltung zur Verbeſſerung des gemeinen Wohls
unterſtützen, wie es früher in Mecklenburg, Thäͤringen, Würz—
zurg, Holſtein, Magdeburg, Halberſtadt, Pommern, Würteni—
berg, Brandenburg und Dden meiften Ddeutfchen Stacten al3
Grundſatz gegolten hatte. Leider gewannen aber falſche theo—
retiſche Anfichten und mehr nochdas praͤktifche Beiſpiel der
franzöſiſchen Charte von 1814 bedeutenden Einfluß auf Die—
jenigen, welche berufen waren, die Verfaſſungsverhältniſſe der
einzelnen deutſchen Länder durch neue Konſtitutionsurkunden zu
ordnen; und daher mag es auch kommen, daß die Urlaubsbe—
willigung der Beamten in dei badiſchen Verfaſſungsurkunde
wenigſtens nicht ausdrücklich vorbehalten wurde, ungeachtet ſie
doch ein unbeſtreitbares und unveraußerliches Recht der Souve—
nität iſt. Auf ſolche Weiſe wurden in manchen deutſchen
Laͤndern durch Diepofitionen — die in Der Erfahrung der Jahr—
hunderte Feinen Stüßpunkt hatten und deren Folgen man
ſchwerlich berechnen konte — weſentliche Rechte der fürſtlichen
Herrſchaft gefäͤhrdet und eine Stellung dieſer zu den Ständen
Lerbeigeführt, die ſpäter nach dem verderblichen Beiſpiel der
Julirevolution in einen nübenden und für beide Theile ver—
derblichen Kampf ausliefz welcher mit dem Karaͤkter des deut—
ſchen Volkes und deſſen angeſtamulier Anhaͤnglichkeit an ſeine
Fürſtenhäuſer in mehrfachein Widerſpruche ſtand. Dieß
alles führte theils zu Beſchlüſſen des Bundestoges, die be—
ſtimmt waren, Dder Gefahr eines radilalen Umſturzes zu be—
gegnen, theils aber machten ſie in Vielen, ſeldſt in Soͤlchen,
die aufrichtige Freunde des Prinzips der ſtaͤndiſchen Verfaſſung
ſind, den Wunſch nach einer mehr oder weniger bedeutenden
Modifikation mancher deutſcher Konſtitutionen rege, da man

don jeher überzeugt war, daß aus Frankreich nie etwas Gutes
kanune. Seit der Julirevolulion benlächtigte ſich mehrerer deut—
ſcher Kammern eine gewiſſe politiſche Freigeiſterei, welche der
Ruhe der Nationen und threr Sittlichkeit cben ſo gefaͤhrlich iſt,
als die religiöſe Freigeiſterei der Seelenruhe, und ſtatt, daß
jene nach ihrer urſprünglichen Bedeutung als urdeuiſche Pro—
vinz- oder Landſtände eben ſo ſehr die Rechtſame des Thrones,
wie der Provinzen, Städte und Dorfſchaften verwaͤhren helfen,
ſanken in neuerer Zeit die parlaméutariſchen Verhandlungen
der deutſchen Kammern mehr und mehr zum Schauſpiele per—
fönlidher ehrgeiziger Intereſfen herab, welche durch das Unge—
ſtüm ihrer ſtürmiſchen Wortführer weniger die Freiheit, aͤls
die Gährung der Staaten untethielten und jedenfalls nur Ver—
fpötung Teffen bewirkten, was gethaͤn zů werden fehen befchlof:
ſen ſtand. In dieſem Geiſte der Entartung ſind auch dieſe
Inſtitute ein dem deutſchen Boden fremdes Gewächs geworden
und Niemand kann mit Beſtimmtheit vorausſagen, welche Ver—
andexungen der Genuß von diefen Früchten in der Natur ver
deutſchen Nation erzeugen werde. Zwar glauben dieſe Op⸗
ponenten, ihre Stimme ſey die Stimme des Volks, das
ſie Lertreten, und daſſelbe theile mit ihnen das gleiche In—
tereſſe an ihren experimental -politiſchen Theorien. Allein
dieſelben täuſchen ſich und müſſen ſich täuſchen; denn die
Vaxteien ſind nicht immer die Wortführer deſſen, was die
Geſammtheit oder Mehrheit denkt, ſondern oft nur deſſen, was
von der Leidenſchaftlichkeit gedacht wird, und „der Sieg der
Oppoſition iſt, wie Rotteck don der engliſchen Verfaſſung ganz
richtig bemerkte, keineswegs ein Sieg der Sache, ſondern der
Perſonen.“ Eben der Ungeſtüm der Leidenſchaftlichkeit oder
Begeiſterung reizt ſie zum Hervortreten und verurſacht, daß
man von den Wünfchen der bewegten Nation gewöhnlich nut
die überſpannteſten erfährt, weil vdas Volk in ſolchen Fällen
undeirrt von jeder Theorie, ſeine Lebensanſicht, ſeinen politiſchen
Glauben, ſeine Wuͤnſche und ſeine Hoffnungen rein aus dem
praktiſchen Leben ſchöpft, und in den Dingen deſſelben niemals
nach ſelbſtgeſchaffenen Urbildern fragt, ſondern nach der Wirk—
lichkeit, Eben deswegen war auch der Stteit über die Urlaubs⸗
frage für die Theilnahme des dadiſchen Volkes ein müßiger
Streit, und wenn es waͤhr iſt, daß die aufgeloste Kammer
gegen einmalhundert und zwanzigtaufend Guͤlden gekoſtet hatte,
ſo war er noch überdies ein für Daffelbe Höchft koſtſpieliger
Streit, da doch durch die Veranlaſſung deſfelben die Grund⸗
feſten der Verfaſſung weder erſchütiert noch gefährdet wurden,
denn die Theilnahuie an der Geſetzgebung, die Pruͤfung des
 
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