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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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3. Heft
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Misch, Robert: Der Adelsmensch, [2]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0040

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MODERNE KUNST.

35

„Sie soll angeblich gesagt haben — relata refero, meine Herren —
dass unsere jungen Herren von Klützow und Umgegend die grössten
Stoffel und Bauernlümmel seien, die man in ganz Deutschland finden
könnte."

,,Na recht könnte sie schon haben! Und wer hat — wer ist der
Rädelsführer?"

Der Apotheker zuckte die Achseln. Man sah, da war ein Stein,
über den er nicht gern springen wollte.

„Das Kasino, Provisor!" rief der Assessor streng. — „Ich will und
muss wissen, wer die Sache entriert hat."

„Nun, wie ich höre, soll — aber von mir wissen Sic's nicht, meine
Herren — ich hab's auch bloss vom Hörensagen" . . .

„Den Namen, den Namen!"

„Nun, Herr Ritzerow soll's gewesen sein."

„Dacht' ich's mir doch: die Clique!"

„Wer ist denn dieser Ritzerow?" fragte Rohde schnell.

„Der Sohn des Klützower Rothschild. Uebrigens ein edler Knabe —
das muss ich. sagen . . . Meta hat ihm neulich einen grossmächtigen Korb
gegeben."

„Ach, das wusste ich ja noch gar nicht", rief der Apotheker erstaunt
und mit der Befriedigung des Kleinstädters, der eine wichtige Neuigkeit
erfährt.

„Na, so was pflegt man doch nicht an die grosse Glocke zu hängen,"
brummte der Assessor. — „Aber ich ermächtige Sie jetzt, es nach Belieben
ganz Klützow und Umgegend mitzuteilen. Ich habe gar keine Veranlassung
mehr, den Burschen zu schonen. — Er hat nämlich," fügte er zu Rohde
gewendet fort, „eine Clique von Gutsvolontären, jüngeren Beamten und
Kaufleuten um sich gesammelt — die jeunesse doree von Klützow . . .
Es ist zum Lachen! Das sind aber unsere Tänzer. Unser junger Guts-
adel dient meistens auswärts, und legt er später den Offiziersrock ab oder
die Juristenfeder bei Seite, um die väterliche Scholle zu bebauen, so tanzt
er nicht mehr. Die gesetzteren Elemente in Stadt und Land natürlich
auch nicht; dreissig Jahre bilden gewöhnlich die Grenze. Offiziere haben
wir leider auch nicht in der Nähe. Also bleibt der Tanzsaal den Ritzerows
und Genossen als unbeschränkte Domäne überlassen. Und wer nicht zu
seiner Clique gehört, fürchtet sich doch davor. Das ist der bekannte
Kleinstadtterrorismus, das Jakobinertum von Krähwinkel, das uns zwingt,
hier Rücksichten und da Rücksichten zu nehmen, immer im gleichen Trott
mit den lieben Mitpferden und Mitochsen zu gehen. Nur ja nicht an-

stossen, das ist die Parole. Der Teufel hole die Rücksichten! Ach, die
Grossstadt!" — Er breitete die Arme sehnsuchtsvoll aus, als umarme er
sie im Geiste. — „Ach, Berlin, Berlin, wo man untertauchen kann im
Gewühl, unbemerkt die grössten Thaten, aber auch die schönsten Dumm-
heiten und Extravaganzen vollführen!"
Unwillkürlich mus'ste Rohde lachen:

„Na, na — so arg ist's denn doch nicht. Wenn die Dummheit gar
zu gross ist, kommt sie in die Zeitung. — Warum lehnt man sich übrigens
nicht auf? Wenn man Mut hat —"

„Geht nicht!" sagte der Assessor kläglich. — „Das würde auch nichts
helfen . . . die Macht der kleinen Stadt ist zu gross. Ja, wenn man als
Verfehmter und Sonderling eine einsame Existenz führen will. Aber dem
fühlen sich doch die wenigsten gewachsen. Drum stösst man mit ins
Horn der Allgemeinheit. — Sehen Sie hier unsern Provisor? Ein sehr
anständiger, netter, braver Mensch! Aber er würde sich bei Leibe nicht
trauen, mit meiner Schwester zu tanzen. Sagen Sic kein Wort, Provisor!
Oder würden Sie —?"

„Mein Gott, ja — mit dem grössten Vergnügen! . . . Sic thun mir
Unrecht", stotterte der Angerufene verlegen.

„Wahrhaftig? Sie hätten den Mut?"

„Gewiss! Wenn ich — wenn ich nämlich überhaupt tanzte."
Der Assessor lachte leise vor sich hin:

„Nun, mein Lieber, ich will Sie nicht in Versuchung führen."

Rohde schien die Sache nicht so spasshaft zu finden wie sein ehe-
maliger Studiengenosse. Er nagte schon seit einiger Zeit an der Unter-
lippe, und seine Stirn zog sich in tiefe Falten.

„Kann man diesen Menschen, diesen Herrn Ritzerow nicht zur Rechen-
schaft ziehen?" fragte er erregt.

„Wie soll man das machen? Er leugnet natürlich alles ab, die andern
auch. Das ist dann erst recht 'ne Blamage in der breitesten Oeffentlich-
keit. — Nein, wir wollen lieber Ihren sehr vernünftigen Vorschlag aus-
führen, Doktor . . . Ich werde sofort die Ingredienzien zu einer aus-
gezeichneten Ananasbowle bestellen . . . Der Wirt hat frische bekommen . .
Wollen Sie mittrinken, Provisor?"

„Ach, sehr liebenswürdig — danke! Aber . . ich bin . . . ich habe
versprochen . . , die Frau Apotheker —"

„Er fürchtet sich . . . Haha! — Na, ich bringe Sie trotzdem ins
Kasino. Und dem braven Ritzerow bleibt's nicht geschenkt . . . Den
lange ich mir mal bei 'ner anderen Gelegenheit, welche Meta weniger

J. von Blaas. Vor der Parforcejagd.
 
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