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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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3. Heft
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Noël, A.: An fremdem Feuer: Novelle von A. Noël
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0045

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MODERNE KUNST.

4i

mit seinem Lächeln die Umgebung überstrahlend. Ich selbst habe nie eine
Kindheit gehabt, ich ward erst ein Kind mit diesem Kinde. Mit Gerda wuchs
ich heran und sah mir eine zweite, nein, eine erste Jugend erstehen. Doch da
kommt nun der erste beste Jüngling!" —

„Lassen Sie mich ein Wort für ihn einlegen: Er ist gut!"

„Mag sein . . . Aber doch nur ein junger Mann wie alle, Verzeihung! Aber
ich kann nicht finden ..."

„Was Gerda an ihm gefunden hat. Die Liebe! Sonst nichts. — Aber es
ist genug!"

„Gelegenheit war allerdings genug dazu da .. . Die Ueberraschungen nahmen
kein Ende . . . fuhr man nachmittags spazieren, so tauchte sofort ein junger
Ritter auf, der statt des Helms einen Matrosenhut trug ..."

„Und ritten wir vormittags in den Wald, so begegnete man einem Schloss-
fräulein, das statt im Brevier in einem Band Baumbach las ..."

„Machte man einen Ausflug nach der Ruine ..."

„So trat Hans von Linke aus dem Thorbogen . . ."

„Fuhr man zum See ..."

„So war er auch dort mit dem Onkel, dem er weissgemacht hatte, dass
dieses seichte Wässerchen Kühlung spende. Demnächst hätten Sie ihn in Ihrer
Hutschachtel oder in Ihrem Arbeitskorb gefunden. Und doch war keine Hexerei
im Spiel, alles bloss die natürliche Magie der Liebe. Er war wie eine Magnet-
nadel, mein Hans. Er strebte immer nach Norden, wo der Turm Ihres Schlosses
ins Blaue ragt ..."

Die schöne Frau verzog schmollend den Mund, während der Baron gedanken-
los ins Feuer starrte: „Wenn ich es gestehen soll, ich war anfangs über seine
rasche Verliebtheit erstaunt. Sie ist keine Schönheit, Ihre Gerda . . . Als wir
Ihnen zum ersten Mal begegneten . . . Sie erinnern sich vielleicht noch . . .
Es war an der Wegteilung, wo die schlanke Birke steht . . . Damals prangte
sie im jüngsten frischen Laub . . . Jetzt liegen ihre letzten Blätter um sie her
wie ein abgeworfenes Kleid . . . Wir starrten Ihrem Wagen nach . . . Hans war
entzückt . . . Ich stimmte ihm zu . . . Aber über die Details stritten wir . . .
Er behauptete, die schöne Dame hätte ein weisses Kleid getragen . . . Ich sagte
rosa . . . Zuletzt kam es dann heraus . . . Wir meinten jeder eine andere . .

„Rosa? Sie wollen doch nicht behaupten, dass ich ein rosa Kleid anhatte?"
entsetzte sich Frau Ottilie: „Baron, ich reiche eine Verleumdungsklage gegen
Sie ein! Rosa, in meinem Alter!"

„Was war es denn, wenn es nicht rosa war?" fragte der Baron misstrauisch.

„Was weiss ich? Mauve vielleicht, Heliotrop, Chaudron, Cyclamen, Fraise
ecrasee, alles, nur nicht rosa."

Baron Rüdiger lächelte ein wenig ironisch: „Wie Sie wollen, ich bin nicht

eigensinnig . . . Aber Ihr Lächeln . . . Das war entschieden rosenfarbig . . .
Das lass' ich mir nicht nehmen."

„Möglich! Wusst' ich denn, was für eine verhängnisvolle Begegnung das
war? Dass da ein Räuber am Wege lauerte?"

„Armer Räuber!" lächelte der Baron, hinausblickend zu dem jungen Mann,
der jetzt mit dem Rücken gegen die durchbrochene Steinwand des Balkons lehnte
und in dieser Stellung zu dem schlank aufgerichteten Mädchen mit einem demütig-
liebestrahlenden Blick aufsah, in dem nichts Räuberhaftes lag: „Sehen Sie ihn
an, den armen Jungen, ob er nicht eher einem Gefangenen gleicht!"

„Und doch raubt er sie mir. Binnen kurzem sitze ich allein au coin du feu,
zwischen Blasebalg und Feuerzange."

„Gedenken Sie denn hier zu bleiben? Den ganzen Winter?"

„Was sonst? Hier habe ich noch eine Rolle — die Schlossherrin! — in
der Gesellschaft keine mehr,"

„Bin ich denn nicht in der gleichen Lage?"

„Ihnen bleibt mehr: die Jagd vor allem in Ihren Wäldern, in der Stadt der
Klub, die Ministerkrisen und die Wettrennen, die Yachten Ihrer Freunde und
— vielleicht — die Boudoirs Ihrer Freundinnen ..."

Es enstand eine Pause.---

„Gerdas Vater ist schon lange tot?"

„Sieben Jahre . . ."

„Und warum — warum vermählten Sie sich nicht wieder?"

Sie sah schräg zu ihm auf: „Solche Fragen stellt man nicht. Vielleicht be-
warb sich niemand um mich!"

„Oh! Reizend, — wie Sie — damals noch gewesen sein müssen!"

„Sie sind ungeheuer — liebenswürdig! Lassen wir es gelten! Gut, ich war
noch reizend, damals, vor so langer Zeit . . . Heute darf ich es ja sagen!"

Die Ironie ihrer Worte machte dem Baron seine Ungeschicklichkeit sehr
fühlbar, doch versuchte er nichts zu verbessern.

„Man liess es mich auch merken, dass man mich so fand. Aber ich glaubte
mein Leben ausgefüllt, für immer." Sie seufzte leise: „Und wenn ich nun
Ihnen dieselbe Frage stellte?"

„Dann könnte ich auch mit derselben Antwort dienen. Unser Schicksal hat
Aehnlichkeit. Wie Sie übersprang ich ein paar Entwicklungsstufen. Ich wurde
Vater, Erzieher, ehe ich Liebender — ehe ich Gatte gewesen war. Auf die
unvermeidliche Suche des Herzens war noch kein glückliches, endgültiges Finden
gefolgt, als mir das Schicksal den verwaisten Jungen zuschob. Sie wie ich, wir
vergassen, dass wir mit unseren Pfleglingen keinen Kontrakt auf Lebenszeit
abgeschlossen hatten ..."

„Ach, sehen Sie doch, Baron, wie die Blätter fallen!" rief Frau Ottilie klagend.

XIV. 3. III.
 
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