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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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4. Heft
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Misch, Robert: Der Adelsmensch, [3]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0075

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MODERNE KUNST.

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E. Veith Tannhäuser im Venusberg.

Eine ernste Neigung aber fasste er zu der jungen Gräfin Maria Wodzinska, Frauen ein Vorurteil hegte, vermied es lange, ihr zu begegnen. Als sie ein
die er schon als Kind gekannt. Ihre Brüder waren in dem Pensionat seines Zusammentreffen mit ihm doch erreichte, fühlte er sich anfangs geradezu ab-
Vaters erzogen worden und man hatte ihn zu den Ferien oft auf das Gut der gestossen. „Welch eine antipathische Frau! Ist's denn wirklich eine Frau?"
Wodzinskis eingeladen. Nun traf er Maria zu einem wunderschönen Mädchen sagte er zu Hiller. In der That hatte die Sand etwas Männliches in ihrem Wesen,
erblüht bei ihrem Onkel in Dresden wieder. Alle ihre Zeitgenossen rühmten wie sie auch mit Vorliebe Männerkleider trug, um zu Studienzwecken Orte be-
ihr edelgeschnittenes Antlitz mit dem matten Teint, den dunklen Haaren und suchen zu können, die Frauen nicht zugänglich sind. Eine strenge Erziehung hatte
leuchtenden schwarzen Augen. Auf Chopin machte sie einen unauslöschlichen sie hart und energisch gemacht, aber auch ihren seltenen Geist geschärft. In ihr
Eindruck und sie kam dem Freunde ihrer Kindheit mit Herzlichkeit entgegen. hatte die Begegnung mit Chopin andere Gefühle geweckt, als in ihm; sein Wesen
Seine Künstlerschaft imponierte ihr, doch auch sie war musikalisch und komponierte entsprach den Vorstellungen, die sie sich von ihm gemacht, und rührte ihr Herz,
sogar. So wob die gemeinsame Kunst ein zartes Band um ihre Herzen. Als Mit grosser Unbefangenheit liess sie ihm mehrmals sagen, dass sie ihn liebe,
Maria mit ihrer Mutter nach Marienbad ging, folgte ihr Chopin dorthin, doch dass sie ihn anbete.

blieb die alte Gräfin ahnungslos über seine Beweggründe. Sie glaubte nur an Diese Versicherungen mussten ihn, der noch den Schmerz um Maria

ein Fortbestehen der Kinderfreundschaft und hätte es für unmöglich gehalten, Wodzinska trug, wohlthätig berühren; er gewann Interesse für die eigenartige

dass ein bürgerlicher Künstler seine Augen zu ihrer Tochter erhob. Chopin Frau, und als sie sich näher kennen lernten, zogen sie sich gegenseitig an, trotz

aber dachte nicht an den gesellschaftlichen Unterschied; seine ganze Seele stand oder vielleicht gerade wegen der Kontraste in ihren Charakteren. Es entspann

in Flammen und zu seiner unaussprechlichen Wonne erwiderte Maria seine sich nun zwischen der femme heros und dem um fünf Jahre jüngeren, form-

Neigung, tauschte mit ihm manch Liebeszeichen. Aber als er unter einer Linde gewandten, sensitiven Künstler ein, Verhältnis, das Chopin reiche Freuden, aber

ihr seinen heissen Wunsch bekannte, sie zu der Seinen zu machen, sagte sie auch tiefe Leiden brachte.

ihm, dass sie ihm nie angehören könne, da ihre Eltern ihre Einwilligung ver- Bald nach ihrer Bekanntschaft führte George Sand in das stille Heim des

weigern würden. Komponisten alle hervorragenden Männer, die sich zu jener Zeit in Paris auf-

Zum zweiten Male in seinen heiligsten Empfindungen getäuscht, tief ver- hielten: Liszt, Hiller, Meyerbeer und Bellini, Delacroix und Ary Scheffer,

wundet kehrte Chopin nach Paris zurück und musste bald hören, dass die Heinrich Heine und Adolf Nourrit. Dann spielte Chopin, und sowohl seine

Geliebte sich mit einem Grafen Sharbek vermählt. Einst setzte er das weh- Freundin wie die übrigen Zuhörer dankten ihm in enthusiastischer Weise,

mütige Liedchen in Musik: Im Herbst des Jahres 1837 erkrankte Chopin schwer und die Aerzte rieten

„Noch seh' ich Dich vor mir stehen ihm zu einem Winteraufenthalt im Süden. Da George Sand die Absicht hatte,

In dem Kinderkleidchen!" mit ihrem gleichfalls leidenden Sohne nach der Insel Majorka zu gehen, liess

Nun erfüllte sich an ihm der Inhalt der zweiten Strophe: der Komponist sich gerne bewegen, sie zu begleiten. Aber nach der Landung

„Hast genommen einen anderen in Palina bekam er wieder einen so heftigen Anfall seines Leidens, dass niemand

Ring und mich vergessen!"--- den Brustkranken, augenscheinlich dem Tode Verfallenen, aufnehmen wollte und

Mehrere Jahre vergingen, in denen Chopin fast ausschliesslich auf den er sich in ein altes, einsam gelegenes Karthäuserkloster zurückziehen musste.

Verkehr mit seinen Landsleuten beschränkt blieb; dann trat noch einmal in sein In dieser Lebensepoche „konzentrierten sich alle Strahlen des Glückes auf

Leben eine Frau, die einen bedeutenden Einfluss auf dasselbe gewann. Die ihn". Die geliebte Frau pflegte ihn mit hingebender Aufopferung; sie kannte

geniale Madame Aurore Dudevant, bekannt unter dem Schriftstellernamen George keine Müdigkeit, keine Ungeduld, und wie sie seinen Körper zu stählen suchte,

Sand, deren erste Romane damals berechtigtes Aufsehen erregten, hörte Liszt so wuchs seine seelische Kraft durch ihre Stärke. Er betrachtete sie als seine

mit Bewunderung von Chopins Talent und seinem „poetischen Genie" sprechen. Lebensretterin, und die stille Insel, von den Wogen des mittelländischen Meeres

Sie verschaffte sich seine Werke, und was ihr aus denselben entgegenklang, umrauscht, ward die Stätte seines letzten Glückes. Oft gedachte er später jener

berührte sie überaus sympathisch. Sie verlieh ihrem Wunsche, den Komponisten Tage voll Sehnsucht und warmem Dank.

kennen zu lernen, lebhaften Ausdruck; er aber, der gegen alle schriftstellernden Nach Frankreich zurückgekehrt, war Chopins Leben nur noch eine Kette

XIV. 4. III.
 
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