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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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5. Heft
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Misch, Robert: Der Adelsmensch, [4]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0098

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MODERNE KUNST.

71

Erst als der Kaffee kam, den er gleich nach
Tisch zu trinken liebte, wurde es gemütlicher.
Allmählich taute er auf und machte allerlei
scherzhafte Bemerkungen. Er fragte sie, wie
sie den Vormittag zugebracht, und wie sie
sich in ihrer neuen Hausfrauenwürde fühle.
Schliesslich fand auch sie das Gleichgewicht
ihrer Seele zurück.

Sie erzählte, wie gut ihr die Einrichtung
gefiele, wie behaglich sie Haus und Wohnung
fände. Sie sprach so viel und lebhaft, dass
sie gar nicht merkte, wie er allmählich immer
schweigsamer wurde. Als es ihr endlich auffiel,
war er bereits sanft entschlummert. Auf ihrer
Hochzeitsreise war das nie vorgekommen. Ein
bisschen müde und einsilbig wurde er ja immer
nach dem Diner — aber eingeschlafen — nein,
das war er noch nie.

Sie empfand das als eine Rücksichtslosig-
keit und persönliche Kränkung und zog sich
verstimmt in ihr Zimmer zurück. Erst nach
längerer Zeit kam er, um sich von ihr zu ver-
abschieden und sich mit seiner grossen Müdig-
keit zu entschuldigen.

„Wenn man den ganzen Vormittag so viel Paul Meyerheim. Im Hochgebirge,

gearbeitet hat wie ich, ist man eben abgespannt. Ucbrigcns habe ich gezeigt. — Auch hatte sie sich das so schön ausgemalt, einige Stunden
früher auch immer mein Mittagsschläfchen gehalten." nach Tisch, bis er wieder seinen Geschäften nachgehen musste, angenehm

„Aber auf unserer Hochzeitsreise" — stammelte sie bestürzt. mit ihm zu verplaudern. Sie hatte ihren Gatten doch nur mittags und

„Aber liebes Kind — auf der Hochzeitsreise thut man manches, was abends für sich,
man nicht zeitlebens thun kann. Uebrigens sind die Flitterwochen ja Höchst erstaunt und noch mehr entrüstet war sie, als sich die gleiche

nun vorbei, und da nimmt man allmählich wieder seine alten Gewohnheiten Scene am Abend wiederholte — nur mit der Variante, dass Ernst da-
an. Ich muss arbeiten, und das Gehirn braucht Ruhe . . . Das ist doch zwischen nach der Zeitung griff, in die er am Tage nur flüchtig hinein-
kein Verbrechen; nach Tisch auszuruhen thäte Dir auch gut. — Aber, gesehen, wie er zu seiner Entschuldigung angab. Dann schlief er wieder
Donnerwetter — es ist die höchste Zeit .... ich muss in die Fabrik." ein, trotzdem sie ihm sogar einige Reiseerinnerungen vorlas, die sie am

Damit drückte er einen flüchtigen Kuss auf ihren Mund, den sie ihm Nachmittag zu Papier gebracht, ehe sie ihrem Gedächtnis für immer
frostig hinhielt, und eilte fort. Als er gegangen war, schmiegte sich Meta entschwanden.

verstimmt in ihren Sessel und dachte nach. Er schlief so fest, dass sie ihn liegen Hess und sich erstaunt

Nein, ein Verbrechen war so ein Mittagsschläfchen gewiss nicht; ihr und nachdenklich in ihr buen-retiro, ihr Arbeits- und Schmollzimmer
Vater hielt ihn und ihr Bruder auch. Aber das waren materielle Menschen, zurückzog.

richtige Philister. Ernst hatte sich ihr bisher von einer ganz anderen Seite Sollte das täglich so fort gehen? Dann hatte sie ja nur einen Gatten

für die Sonn- und Feiertage. Sie
war sehr verstimmt. Die Ehe, die
sie sich bisher so rosig ausgemalt
warf ihre ersten Schatten über sie.

*

Meta sass an ihrem Schreibtisch
und arbeitete eifrig. Das zierliche
Damenmöbel, das ihr Ernst aus-
gesucht — denn die Einrichtung
ihres Boudoirs war neu — hatte sie
gegen einen riesigen Diplomaten-
schreibtisch vertauscht, zum grossen
Gaudium ihres Mannes, der sich in
den ersten Tagen beständig darüber
lustig machte.

Aber sein Spott, dass für ihre
paar Briefe, ihre Tagebuchblätter
und Wirtschaftsrechnungen das
eichene Ungetüm viel zu gross sei,
war bald verstummt. Zunächst hatte
sie ihre Hochzeitsreise zu Papier ge-
bracht. Das fand er zwar zweck-
los, aber ganz amüsant. Dagegen
konnte man nichts haben. Eine
junge Frau, die noch keine Freun-
dinnen und keine Kinder besass,
musste sich doch mit irgend etwas

Paul Meyerheim. Tierfreunde,
 
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