Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900
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6. Heft
DOI Artikel:Misch, Robert: Der Adelsmensch, [5]: Roman
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MODERNE KUNST.
83
Blatt in jeder Familie gehalten würde. Das Geschwätz, das dann auf die
neuesten Romane überging, langweilte Meta zuletzt. Sie hielt Umschau.
Erst jetzt fiel es ihr auf, dass in dem Salon, in dem sie sich befand, fast
nur Damen sassen. Hier und da hatte sich ein vereinzelter Herr plaudernd
in diese Weiberschaar verirrt, - - anzuschauen wie ein feindlicher Par-
lamentär oder Ueberläufer in einem fremden Lager. Meistens zog' er sich
auch recht bald wieder zu dem Heerbann seines eigenen Geschlechtes
zurück, der sich im Nebenzimmer festgesetzt hatte.
Es waren viele ältere Herren da, wohlbeleibte, ehrenfeste Männer,
Fabrikanten und Grosshändler, geheime, gewöhnliche und zukünftige
Kommerzienräte, denen man die Wohlhabenheit in mehreren Generationen
vom Gesicht ablesen konnte. Dazwischen einige Würdenträger und
Männer der Wissenschaft. Ihre Söhne aber waren wohlweislich dieser
ehrenwerten „Oedigkeit" aus dem Wege gegangen; denn nur ganz ver-
einzelt bemerkte man jüngere Herren, und dann fühlte man ihnen deutlich
die Langeweile an. Ein Heiratsmarkt schien das also nicht zu sein.
„Oh, sie geben auch grosse Bälle," erklärte Ernst seiner Frau. „Aber
ich habe mich meistens davon gedrückt. Heut ist es gewissermaassen
nur ein vergrösserter Skatabend mit Musik und Souper. Der Skat für
die Herren, die Musik für die Damen, das Essen für beide Teile."
Vor dem Souper wurde freilich noch nicht Skat gespielt. Und das
Musizieren beschränkte sich zum Glück bloss auf ein Vierhändig-Spielen
Elsas und einer Freundin, dem die Herren aus achtungsvoller Ferne
zuhörten.
Bald nach beendigtem Kunstgenuss ging es zur Tafel. Meta wurde
von einem mageren Kammergerichtsrat zu Tische geführt, der fast gar
nichts sprach, aber sehr viel ass. Ihr Nachbar zur Linken ass auch stark,
sprach aber zugleich sehr viel, freilich nicht mit ihr, sondern nur mit
seinem Gegenüber über einen neuen Zoll auf irgend eine Drogue, die er
aus Südamerika einführte.
Es fiel Meta überhaupt auf, dass die Herren fast alle unter sich und
sehr wenig mit den Damen redeten, als sähen sie über sie hinweg. Und
die Damen schienen das selbstverständlich zu finden, denn sie unterhielten
sich meistens auch nur mit einander.
Kurz nachdem ihr der linke Tischnachbar, der Grossdroguist, im Eifer
des Gespräches ein Rotwcinglas über den Aermel des neuen Grünseidenen
gegossen hatte, wurde die Tafel aufgehoben. Eine Weile wogten bei
Liqueur und Kaffee die beiden Geschlechter durcheinander. Es war das
einzige Mal, wo es etwas lebhafter zuging, wo, angeregt durch das vor-
zügliche Essen und dito Getränke — nur ein wenig schwer und solide
war es, wie alles in diesem Hause — die Stimmen lebhafter wurden, wo
so etwas wie Heiterkeit und gute Laune zu verspüren war.
Da plötzlich ein „Pst"! Lautlose Ruhe trat ein, während der Lämmer-
geier der Musik sich mit schweren, bleiernen Fittichen auf diese im Grunde
ganz unmusikalische Gesellschaft herabsenkte, die ihre Töchter Musik
treiben liess, weil es einmal hergebracht war und zum guten Ton gehörte.
Zwei Damen sangen ein Duett von Jensen; nach einer kurzen Pause wurde
ein Chopinsches Nocturno verbrochen.
„Und wie vom Sturm zerstoben, war all' der Hörer Schaar".....
Wenigstens, was die Herrenwelt betrifft. Der Hausherr hatte ihnen in
der Pause, die dem Jensenschen Liede folgte und dem Nocturno voran-
ging, zugeflüstert, dass die Spieltische bereit stünden; und sie folgte diesem
Winke willig.
Auch ihren Gatten hatte Meta sich mit befriedigter Miene zurück-
ziehen sehen, nachdem er ihr noch harmlos freundlich zugenickt.
„Nicht wahr, das ist amüsant?" schien das Lächeln zu besagen. Meta
hasste ihn fast in diesem Augenblick.
Ein Stündchen hielt sie die Tastenpaukcrei und das Gegröhle noch
aus — ödester Dilettantismus mit mehr oder minder Salon-Routine —, dann
wurde ihr weh ums Herz. Schade um den verlorenen schönen Abend!
Sie war wütend auf ihren Gatten, der sie hierher geschleppt und ihr so-
gar noch Erwartungen rege gemacht hatte. War das die Berliner Ge-
selligkeit, so dankte sie dafür.
Ganz langsam und unauffällig schlängelte sie sich während einer Ge-
sprächspause in den Nebensalon und weiter in die Rauch- und Spiel-
zimmer, von wo ihr ein starker Opferqualm von des Kommerzienrats aus-
gezeichneten Havannas und ein dumpfes Gemurmel der spielenden Herren
entgegens ch 1 ugen.
Ernst sprang bei ihrem Anblick schnell von seinem Stuhle auf, über-
gab seine Karten dem Strohmann und eilte zur Thür, unter der sie stand.
E. Harburg er. Im Sorgenstuhl.
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Blatt in jeder Familie gehalten würde. Das Geschwätz, das dann auf die
neuesten Romane überging, langweilte Meta zuletzt. Sie hielt Umschau.
Erst jetzt fiel es ihr auf, dass in dem Salon, in dem sie sich befand, fast
nur Damen sassen. Hier und da hatte sich ein vereinzelter Herr plaudernd
in diese Weiberschaar verirrt, - - anzuschauen wie ein feindlicher Par-
lamentär oder Ueberläufer in einem fremden Lager. Meistens zog' er sich
auch recht bald wieder zu dem Heerbann seines eigenen Geschlechtes
zurück, der sich im Nebenzimmer festgesetzt hatte.
Es waren viele ältere Herren da, wohlbeleibte, ehrenfeste Männer,
Fabrikanten und Grosshändler, geheime, gewöhnliche und zukünftige
Kommerzienräte, denen man die Wohlhabenheit in mehreren Generationen
vom Gesicht ablesen konnte. Dazwischen einige Würdenträger und
Männer der Wissenschaft. Ihre Söhne aber waren wohlweislich dieser
ehrenwerten „Oedigkeit" aus dem Wege gegangen; denn nur ganz ver-
einzelt bemerkte man jüngere Herren, und dann fühlte man ihnen deutlich
die Langeweile an. Ein Heiratsmarkt schien das also nicht zu sein.
„Oh, sie geben auch grosse Bälle," erklärte Ernst seiner Frau. „Aber
ich habe mich meistens davon gedrückt. Heut ist es gewissermaassen
nur ein vergrösserter Skatabend mit Musik und Souper. Der Skat für
die Herren, die Musik für die Damen, das Essen für beide Teile."
Vor dem Souper wurde freilich noch nicht Skat gespielt. Und das
Musizieren beschränkte sich zum Glück bloss auf ein Vierhändig-Spielen
Elsas und einer Freundin, dem die Herren aus achtungsvoller Ferne
zuhörten.
Bald nach beendigtem Kunstgenuss ging es zur Tafel. Meta wurde
von einem mageren Kammergerichtsrat zu Tische geführt, der fast gar
nichts sprach, aber sehr viel ass. Ihr Nachbar zur Linken ass auch stark,
sprach aber zugleich sehr viel, freilich nicht mit ihr, sondern nur mit
seinem Gegenüber über einen neuen Zoll auf irgend eine Drogue, die er
aus Südamerika einführte.
Es fiel Meta überhaupt auf, dass die Herren fast alle unter sich und
sehr wenig mit den Damen redeten, als sähen sie über sie hinweg. Und
die Damen schienen das selbstverständlich zu finden, denn sie unterhielten
sich meistens auch nur mit einander.
Kurz nachdem ihr der linke Tischnachbar, der Grossdroguist, im Eifer
des Gespräches ein Rotwcinglas über den Aermel des neuen Grünseidenen
gegossen hatte, wurde die Tafel aufgehoben. Eine Weile wogten bei
Liqueur und Kaffee die beiden Geschlechter durcheinander. Es war das
einzige Mal, wo es etwas lebhafter zuging, wo, angeregt durch das vor-
zügliche Essen und dito Getränke — nur ein wenig schwer und solide
war es, wie alles in diesem Hause — die Stimmen lebhafter wurden, wo
so etwas wie Heiterkeit und gute Laune zu verspüren war.
Da plötzlich ein „Pst"! Lautlose Ruhe trat ein, während der Lämmer-
geier der Musik sich mit schweren, bleiernen Fittichen auf diese im Grunde
ganz unmusikalische Gesellschaft herabsenkte, die ihre Töchter Musik
treiben liess, weil es einmal hergebracht war und zum guten Ton gehörte.
Zwei Damen sangen ein Duett von Jensen; nach einer kurzen Pause wurde
ein Chopinsches Nocturno verbrochen.
„Und wie vom Sturm zerstoben, war all' der Hörer Schaar".....
Wenigstens, was die Herrenwelt betrifft. Der Hausherr hatte ihnen in
der Pause, die dem Jensenschen Liede folgte und dem Nocturno voran-
ging, zugeflüstert, dass die Spieltische bereit stünden; und sie folgte diesem
Winke willig.
Auch ihren Gatten hatte Meta sich mit befriedigter Miene zurück-
ziehen sehen, nachdem er ihr noch harmlos freundlich zugenickt.
„Nicht wahr, das ist amüsant?" schien das Lächeln zu besagen. Meta
hasste ihn fast in diesem Augenblick.
Ein Stündchen hielt sie die Tastenpaukcrei und das Gegröhle noch
aus — ödester Dilettantismus mit mehr oder minder Salon-Routine —, dann
wurde ihr weh ums Herz. Schade um den verlorenen schönen Abend!
Sie war wütend auf ihren Gatten, der sie hierher geschleppt und ihr so-
gar noch Erwartungen rege gemacht hatte. War das die Berliner Ge-
selligkeit, so dankte sie dafür.
Ganz langsam und unauffällig schlängelte sie sich während einer Ge-
sprächspause in den Nebensalon und weiter in die Rauch- und Spiel-
zimmer, von wo ihr ein starker Opferqualm von des Kommerzienrats aus-
gezeichneten Havannas und ein dumpfes Gemurmel der spielenden Herren
entgegens ch 1 ugen.
Ernst sprang bei ihrem Anblick schnell von seinem Stuhle auf, über-
gab seine Karten dem Strohmann und eilte zur Thür, unter der sie stand.
E. Harburg er. Im Sorgenstuhl.