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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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7. Heft
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Duncker, Dora: Ohne Liebe: Erzählung
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Weihnachten vor dem Feinde
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0152

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io8

MODERNE KUNST.

Leben, Liebesleben, und um sie selbst war alles tot, tot und ohne Liebe.
Ihr von Thränen verdunkelter Blick fiel auf ein altes Kinderspielzeug',
bebend fasste ihre Hand danach. Es war eine Puppe in Dachauer Tracht,
weit über hundert Jahre alt mochte sie sein. Es war ein seltener Fund
gewesen, wie ihn sonst nur die Museen und Sammlungen an sich zu
bringen pflegen. Sie hatte ihn teuer bezahlt. Vor Stunden noch, wenn
ihr Blick gerade darauf gefallen wäre, würde sie gewohnheitsmässig den
möglichen Gewinn oder Verlust an diesem Handel erwogen haben, jetzt
stürzten die Thränen ihr heisscr aus den Augen und die Hände krampfhaft
um den toten Puppenlcib schlingend, stammelten ihre Lippen einen
Wunsch, ein brennendes Gebet. Ja, wenn sie ein Kind gehabt hätte, ein
Kind zum Lieben, ein Kind für das sie hätte denken, sorgen können!
Aber der Himmel war gerecht gewesen. Ohne Liebe war sie in dies
Haus gezogen, ohne Liebe musste es bleiben.

Hastig sprang sie auf und legte die Puppe beiseite. Dann riss sie
die Thür weit auf. Sic stand auf der Schwelle, den Kopf weit gegen den
Thürrahmen zurückgelehnt und lauschte hinaus. Fröhliche Rufe, jubelnde
Kinderstimmen drangen an ihr Ohr.

Jetzt kamen -zwei Gestalten über den Fahrdamm zu ihr herüber-
geschritten. Ein Mann und ein Kind, ein etwa siebenjähriges Mädchen.
Sie hörte ein feines liebes Stimmchen sagen: „Gelt, Papi, ich hatte doch
Recht, hier bei der schönen Kirche war es", und eine freundlich-ernste
Stimme, die antwortete: „Ja, mein Mäcli, freilich hattest Du Recht." Der
Mann rückte leicht an seinem Hut und fragte nach dem alten Buch mit
den alten Schliessen. Die Frau fuhr rasch mit der Hand über das ver-
weinte Gesicht und schritt dann, den beiden voran, in den Lichtkreis der
Lampe, dem Käufer sein Eigentum zu übergeben. Aber ehe ihre Hand
das Buch noch fassen konnte, fühlte sie zwei eiskalte Hände sich um
die ihren schlingen. Vom Scheitel bis in die Fussspitzen erzitternd,
wandte sie sich um. Ei-, der Geliebte, den sie herbeigesehnt mit heisser
Reue, mit verzehrender Sehnsucht, stand vor ihr. Wortlos starrten sie
sich an, Auge in Auge versenkt, sich bei den kalten, bebenden Händen
haltend, als ob sie sich nie wieder lassen wollten. Das Kind hatte ihrer
nicht Acht. Es hatte die alte Puppe in den Arm genommen und spazierte
tändelnd mit ihr auf und ab. Jetzt Hess der Mann die Hände der tot-
bleichen Frau fahren und wandte sich zu dem Kind.

„Finerl!" Die Frau zuckte zusammen.

„Ja, Papi."

„Finerl, fürchtest Du dich, einige Augenblicke hier allein zu bleiben
mit der Puppe und den anderen Flerrlichkeiten? Ich — ich möchte mit
der Dame hier etwas besprechen."

Das schöne Kind, das Ebenbild ihres Vaters, lachte hell auf. „Ich
furcht1 mich nicht, Papi. Geh Du nur fort."

Er küsste sie auf den Schwarzkopf. „Bist mein braves Mädi."

Dann, ohne dass zwischen den beiden ein Wort gewechselt worden
wäre, schritt sie ihm voran in einen kleinen Nebenraüm, in. dem sie
schnell eine Gasflamme anzündete.

Dann standen sie wieder wortlos einander gegenüber, bis er zagend
fragte: „Bist Du allein?"

„Ganz allein, ja. Er — mein Mann ist seit fünf Jahren tot."

Er zog sie an sich und küsste sie leise auf die Stirn..
„Ich habe ihn nicht geliebt," flüsterte sie kaum hörbar. — Er seufzte
schwer auf.

„Ohne Liebe — ich that das gleiche. Es hat sich furchtbar gerächt."

Und dann zusammenbrechend unter der Wucht des Leides und der
niemals überwundenen Leidenschaft für dieses junge Weib, riss er sie an
sich und sagte stöhnend: „Josephine, Finerl, meine Fini, warum hast Du
mir das gethan?!"

Dann, als er den stummen, verzweifelten Schmerz in ihren Augen
sah, fragte er nicht mehr, sondern erzählte in fliegender Hast von dem
Schicksal, mit dem er sich selber zu Grunde gerichtet. Es war alltäglich
und doch ewig schwer. Sie verstand ohne viel Worte. Eine wohlhabende
Frau aus guter Familie, die sich ohne besondert: Neigung auf den jungen,
begabten Künstler kapriziert hatte, für ihn, den mittellosen, eine soge-
nannte gute Partie, in Wahrheit eine Fessel, eng, drückend, den Puls-
schlag hemmend, bis zum Ersticken das Herz beklemmend. Der einzige
Sonnenschein, das sHiöne, liebe Kind, „nach Dir Du Unvergessliche,
Josephine geheissen."

Sie schluchzte auf und schmiegte sich heisser an seine Brust. Mit der
Hand ihr rotblondes Haupt kosend, fuhr er fort:

„Ich bin mit dem Mädi hier bei meinem Mütterchen. Seit des Vaters
Tode lebt sie hier. Die Frau ist — mit Freunden in Paris. Das Kind
soll hier bleiben bis alles sich geändert hat. Seine Mutter mit ihrem
kleinen, engen Sinn soll es mir nicht verderben."

Er biss sich auf die Lippen. Dann Hess er Josephine los und blickte
finster vor sich hin. —-

Da steckte das Kind den Kopf durch die offene Thür.

„Papi, Grossmuttcr wird schelten, wenn wir so spät heimkommen.
Ich soll zeitig schlafen gehen, denn morgen früh, ganz früh", setzte sie
geheimnisvoll das rote Mündchen spitzend, hinzu, „ist Christbescherung."

Dann, wie von einem plötzlichen Entschluss getrieben, trippelte das
Kind mit kleinen Schritten auf Josephine zu und nahm sie bei der Hand.

„Wcissf, Du solltest auch zur Christbescherung kommen. Gelt Papi,
sag' es ihr. Sie hat ein so liebes Gesicht die Frau" und kosend schmiegte
sie das schwarze Köpfchen in das graue Gewand Josephinens. Er stand
Stumm dabei und blickte mit verzehrendem Gram auf die beiden.

„Gelt Papi, sie dürft' immer bei uns bleiben die liebe Frau?"

Da stieg ein Leuchten in seinem finstern Antlitz auf. Den Kopt des
Kindes zwischen beide Hände nehmend, beugte er sich dicht zu Josephine
herüber und fragte flüsternd.

„Würdest Du mir das Kind bewahren, bis alles vorüber ist — denn
nun muss ein Ende werden — bis ich wiederkomme, Euch beide zu
holen?" Ihre Augen leuchteten.

„Wenn Du mich noch liebst, Josephine, so grüble und wäge nicht.
Das Grübeln und Wägen hat uns schon einmal arm und elend gemacht.
Wehe dem armen Menschenkinde, dem der Himmel keine Liebe geschenkt,
wem er sie aber gegeben, der soll sie hegen als höchstes, heiligstes. Gut
und ihm Treue halten bis in den Tod."

Sie presstc die Lippen auf die Stirn des Kindes, ihm aber reichte sie
die Hand und wiederholte feierlich: „Bis in den Tod."

^leihnachten vor dem feinde.

[Nachdruck verboten.]

chönes Weihnachtsvergntigen!" murmelte der Sergeant, als er Schüsse beschädigt zeigte. Hinter dieser stand der Doppelposten, den die Untcr-

mit seinen sieben Mann in einem mit Schnee und Erdschlamm offizierswache ausstellte. Dessen Ausblick war ein vorzüglicher und liess die

bedeckten Laufgraben gegen den Unteroffiziersposten vorging, vorgeschobenen französischen Feldwachen, die sich ganz sicher fühlten, da in

den er heute Abend ablösen sollte. Der vorgeschobene Unter- dieser Zeit von deutscher Seite nur geschossen werden durfte, wenn es eine

Offiziersposten war in einem, in dichtem Gebüsch gut ver- Abwehr galt, sehr wohl erkennen. — Zwischen den, auf ungefähr 300—400 .Schritte

deckten Gartenhäuschen untergebracht. Die Glasfenster hatte herangeschobenen französischen Posten, stand auf demllügelabhang, ein gänzlich zw

man gegen den Feind zu mit Brettern vernagelt und auf das Dach waren einige sammengeschossenes Häuschen, umgeben von einer unbedeutenden Gartenanlage.

Lagen Rasen gebracht worden. Das war neutraler Boden, der häufig Anlass zum Hin- und Herschiessen gab,

Die Postenübergabe war rasch geschehen; neues gab es nichts, die Franzosen wenn sich die beiderseitigen Schleichpatrouillen, ihm zu sehr näherten. So sah

hatten, wie es schien, die Lage des Unteroffiziersposten noch nicht entdeckt, es in der Umgebung aus, also auf jeden Fall sehr ungemütlich. Desto gemütlicher

denn die Projektile fielen vorläufig in angenehmer Entfernung von demselben nieder. aber war es in dem Gartenhäuschen. Nach und nach hatte man es fein möbliert,

Das Grundstück, auf welchem das Gartenhäuschen stand, war mit einer indem aus einem weiter rückwärts gelegenen, sehr dem Feuer ausgesetzten Schlosse,

hohen Steinmauer umgeben, die sich an verschiedenen Stellen durch Granat- das deshalb unbesetzt blieb, Nötiges und Ueberflüssiges herbeigeschafft wurde.
 
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