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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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15. Heft
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Georgy, Ernst: Aus dem Mietskontor
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0381

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238

MODERNE KUNST.

sie ungeduldig oder unartig sind, schlägt sie die Kinder so, dass alle Menschen
empört sind. Sie selbst hat sich immer ihren Liebhaber hinbestellt, mit dem
sie dann spazieren geht. Gestern hat sie Fritz wieder so furchtbar geschlagen
und Else fast den Arm verrenkt! Als die armen Geschöpfe weinten, schrie sie
erbittert: „Und wenn Ihrs zu Haus Papa und Mama klatscht, dann hol ich den
schwarzen Mann, der frisst Euch, wenn er Euch totgeschlagen hat." Frau
Baronin hat dies selbst gehört und die argen Misshandlungen wiederholt gesehen.
Als sie Emma zur Rede stellte, war diese so frech, dass sie direkt nach meiner
Adresse forschte und zu mir kam!"

Herr Kern tobte: „Der Person schlag ich die Knochen im Leibe entzwei!
Wo ist sie, ich will sie sprechen!" — „Ich habe sie bereits mit einem schlechten
Zeugnis, in dem ich die Wahrheit sagte, rausgeworfen! Andere Leute sollen
wenigstens gewarnt werden. Ich dachte, das Frauenzimmer würde mir nach
dem Krach die Kinder vergiften, lieber gleich weg und zwar per Schutzmann!
Hinten sitzt die Nenna, unsere Kinderfrau, die Mama mir sofort herbeischaffte,

als ich ihr mein Leid klagte--per Telephon!" — Erst sehr langsam beruhigte

sich Kern, der ein äusserst zärtlicher Vater war. „Du armes Ding, was hast
Du durchgemacht! Das sind ja niederträchtige Aufregungen!" rief er. „Wirst
Du Dir nicht aber die Sache erschweren, indem Du die Köchin auch raus-
schmeisst?" — „Nein, denn die Elende hat es gewusst, dass Emma eine Fleuch-
lerin war und nur vor uns das sanfte Lamm spielte! — Denke Dir, Liesbeth
hat mir fast die ganze letzte Wäsche mit der Waschfrau verdorben! Ueberall
in den neuen Stücken sind Chlorflecke und grosse eingebrannte Löcher. Da
antwortet sie mir noch frech: „Na, wenn es Ihnen nicht passt, waschen Sie sich
Ihren Plunder allein! Mit Pusten bekomme ich die Geschichte nicht sauber.
Und mir die Hände zerreiben, passt mir nicht. Ich will so schon lange , ins Ge-
schäft gehen, wo ich doch meine Abende frei habe!" „Die wird sich wundern!
Aber das Beste ist, Du lässt sie laufen!" — „Selbstverständlich! Mit der Esserei
war' es auch nicht mehr gegangen! Das Mädchen frass mir einfach die Speise-
kammer ratzekahl leer und naschte an allem. Du weisst doch, dass sie das
Prinzip hat: „Man muss so lange futtern, bis man es langen kann oder aufstösst!" —

„Erlaube gefälligst'" unterbrach der Gatte geekelt den Redefluss. „Pfui
Deibel, mir wird bei dem Gedanken schon schlimm. Daher auch ihr Kaliber!
Und die redet sich ein, sie wird von den paar Kröten satt, die sie im Geschäft
verdient? Wohnung und Kleidung und Ernährung, ich danke! Auf anständigem
Wege kaum!" — „Will sie gar nicht, Du überschätzt sie! Emma hat mir
zornschnaubend noch von der Treppe zugerufen, dass ihr schon lange unser
Haus nicht mehr gepasst habe, weil wir erlaubt hätten, dass Liesbeth täglich
ihren Schatz mit gefüttert und nachts dabehalten habe!"

„Prosit Mahlzeit! Also auch noch den Schmerz! Nee, Toni, Weibi, die Ge-
schichte ist einfach zum Kugeln; darüber muss man sich nicht erregen! Aber
weisst Du was? Ich komme mit in's Mietskontor. Einmal habe ich den weissen
Sklavenmarkt noch nicht gesehen. Zum andern habe ich einen scharfen Blick
für Menschen und Seelenkenntnis! Vielleicht helfe ich Dir!" — „Mir soll's lieb
sein!" erwiderte sie seufzend. „Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der
Glaube!" — „Pfui, Maus, an mich?" — „Nein; aber an meine zukünftigen Leute!
ich habe schon zu trübe Erfahrungen gemacht, und trotz allem guten Willen,
trotz aller Menschenkenntnis immer den Kürzeren "gezogen!" — „Macht nix!
Komm, Maus, in den Kampf, Torero! Versuchen wir unser Glück zu Zweien!"
sagte er lachend und machte sich zum Ausgehen bereit.

Frau Prirnke war eine der begehrtesten Dienstvermittlerinnen der Reichs-
hauptstadt. Das Geschäft musste sehr gut gehen, denn sie bewohnte mit ihrem
Gatten eine schöne Etage in einer der besten Strassen des Westens. Auch die
Primke hatte eine unheimliche Verwandlungskunst und das Talent, mit allen
Menschen fertig zu werden. Sie war jeder Situation gewachsen und ihr Ton-
register unheimlich umfangreich. Von dem hochmütigst vornehmen bis zum
niedrig gewöhnlichsten Sprechton stand ihr jede noch so feine Zwischenfärbung
zu Gebote. — In letzter Zeit kleidete sie sich in schwarze Seide, hatte ihr eigenes
Sprechzimmer und imponierte den Kunden mit äusserst zurückhaltendem, kurz
angebundenem Wesen. Sie wusste ja, Herrschaften, die andere Mädchen
brauchten, gab es stets in Hülle und Fülle! Die liefen ihr fast das Haus ein! —
Dagegen behandelte sie jetzt die Dienenden, an denen beständiger Mangel herrschte,
äusserst liebenswürdig. Vor wenigen Jahren noch hatte sie „das Gesindel einfach
gedutzt". Nun ging sie doch schonender mit ihnen um, und das „Fräuleinchen"
hinten und „mein Schatz" vorn, wurde üblich in den Primkeschen Räumen.

Als Herr Kern mit seiner Gattin eintrat, war gerade ein grosser Zulauf von
Hausfrauen, die das Primkesche Ehepaar bestürmten. „Ach Sie, gnädige Frau,
bitte bemühen Sie sich nur in den Salon. Sie wissen ja Bescheid!" rief die
Vermieterin der guten Kundin entgegen. Die junge Frau zupfte ihren Gatten
am Arme. Er folgte ihr in das grosse, dreifenstrige Eckzimmer, das mit roten
Plüschmöbeln ausgestattet war. Jedes noch so kleine Plätzchen war ausgefüllt.
Gruppen von schwatzenden und lachenden Dienstmädchen standen und sassen
umher. Einige schüchterne und bescheidene Pflänzchen verhielten sich schweigsam
und blickten nur still in die Runde.

Verschiedene Damen gaben sich schon eifrig dem unangenehmen Geschäft
des Mietens hin. Auch Frau Kern hielt Umschau. Ihr Gatte blieb neben einer
Säule mit einer Hermann und Dorothea-Gruppe stehen und beobachtete. Vor
ihm stand eine ältere, fein und angenehm dreinschauende Fremde und sprach
mit einem ruhig aussehenden Mädchen in sauberer Kleidung.

„Ihre Zeugnisse sind gut, und Sie gefallen mir, mein Kind!" sagte die
Mietende. „Wir sind nur zwei alte Leute, daher ist der Dienst leicht. Sie haben
nicht allzuviel Arbeit, im Gegenteil! Also 80 Thaler Lohn?" — „Gewiss, gnädige
Frau!" — „Na, dann gebe ich Ihnen den Mietsthaler. Hier, Dora, so, mein Kind!
Ich hoffe, wir werden gut miteinander auskommen. Ich hab' meine Mädchen
immer acht Jahre und länger. Die letzte hat sich von mir aus verheiratet." Das
Mädchen knixte: „Noch eine Frage, gnädige Frau, was für eine Religion haben Sie?"

„Wir sind jüdisch, Dora!" antwortete die Gefragte. Diese Auskunft hatte
eine merkwürdige Folge. Das ebenso bescheidene Geschöpf machte ein freches,
höhnisches Gesicht und warf den Kopf zurück: „Nee, denn nehm' Se man
Ihren Thaler, bei Juden un' Katholische zieh' ich nich' zu!" Die alte Dame
wurde totenblass. In Herrn Kern kochte es: „Aber, meine hochverehrte Frau,
dann würde ich mich an Ihrer Stelle taufen lassen. Ich finde den Grund stich-
haltig genug!" rief er erbittert und warf der unverschämten Person einen wütenden
Blick zu, so dass sie verstummte. Die Greisin lächelte krampfhaft. „Nehmen
Se mir man, Madamchen, ich zieh' gerne bei Juden, da wird unsereins doch gut
behandelt und kriegt gut zu essen!" bat eine andere Magd und hielt ihr Buch
hin. Die Verhandlung begann von neuem. Kern begab sich zu seiner Frau. Sie
las gerade ein Buch durch. „Nun, auf der letzten Stelle waren Sie drei Jahre,
das ist ein gutes Zeichen! Was war der Herr?" Das ganz junge Ding besann
sich: „Wachtmeister!" — „Haben Sie gekocht?" — „Nee, die Frau!" — „Soo?
Nun, was thaten Sie?" — „Ick räumte die Stuben auf und war bei's Kind!" —
„Wieviel Gehalt hatten Sie? Das war Ihre zweite Stelle?" — „Ja!" — „Sie sind
siebzehn Jahr, sind Sie kinderlieb?" — „Mm, ja!" — „Also was hatten Sie an
Lohn?" — „Das jeht keinen was an! Jetzt beanspruche ick 70 Thalers!"

„Mehr nicht? Sie sind ja sehr bescheiden, besonders da Sie nicht kochen
können!" sagte Frau Kern. — „Meenen Se, det ick keene Stelle finde? Zehne for
eine!" — „Nun, so beglücken Sie nur einen anderen Haushalt. Wir sind nicht
neidisch!" fiel Herr Kern ein und zog seine bessere Hälfte weiter. Vor einem
Kindermädchen mit mehreren vortrefflichen Zeugnissen, das sich auf Soxhlet-
apparate und die gesamte Kinderpflege verstand, wurde Halt gemacht. Nach
vielem hin und her einigte man sich auf 75 Thaler für den Anfang. Emma
stellte eine Masse Bedingungen, die ihr bewilligt wurden. Kurz vor der festen
Abmachung fragte das Mädchen: „Wieviel Kinder haben denn gnä' Frau?" —
„Wir? Drei! Fünf, drei und ein Jahr!" — „Das thut mich leid! Ich jeh nur
höchstens bei zwei Jöhren!"

Herrn Kerns Zähne knirschten aufeinander: „Das thut nichts!" sagte er
grimmig, „wenn wir solch einen Schatz wie Sie ins Haus bekommen, hängen
wir gern unsern jüngsten Sohn auf. Sie hätten es nur gleich sagen sollen!" —
Das Frauenzimmer zuckte mit den Achseln und lächelte verächtlich. Eine
andere forschte sofort, ob sie Kinderwäsche waschen müsse. So etwas über-
nehme sie nicht. Und noch eine weitere lehnte den Dienst ab, weil ihr der
Kleinste noch zu jung sei. Mehr Kindermädchen waren nicht in dem Zimmer.
Kerns wandten sich daher nun an die Mädchen für Alles, die auch kochen
konnten.

„Muss ich Stiebel putzen?" fragte die Erste sofort. — „Nein, dafür halten
wir uns einen Diener, der ist zu Ihrer Verfügung und wird von Ihnen mit nur
100 Thaler jährlich bezahlt oder ist Ihnen das zuviel?" gegenfragte Herr Kern.
Die zweite wollte keine Wäsche übernehmen. Die dritte verlangte ein heizbares
Zimmer und Mittwoch und Sonntag Abend für ihre Vereinsbesuche. Nummer
vier und fünf hatten elende Zeugnisse. Nummer sechs hatte wegen Diebstahls
vier Monate gesessen und verlangte 80 Thaler. Endlich, die siebente, welche
eben aus Ostpreussen zugereist war und ,alles' versprach und konnte, war ge-
eignet. Sie wurde mit 60 Thalern engagiert und erklärte sich bereit, am ersten
zuzuziehen. Die stämmige Person strahlte über das ganze Gesicht. In Tilsit,
ihrer Heimat, hatte sie bisher 35 Thaler jährlich empfangen.

Kerns verliessen das Gemach. Im Hinausgehen fing er noch folgende
Worte auf: „Meiner hat jesagt, wir müssen der Bande man bloss ein bisken
die Hölle heiss machen, dann krauchen se auf Knieen hinter uns drein. Und
der weiss es, denn der ist Vertrauensmann bei de Sozialdemokraten!" — „Wenn
,Ihrer' samt seiner Partei sich man bloss nicht verrechnet. Sowas soll nämlich
selbst bei Sozialdemokraten vorkommen!" sagte er zornig. — „Na, kiek doch
den an! Sie, Se sind woll Jrosskaptalist?" rief die Person frech. Alle an-
wesenden Dienstboten lachten. Und dieses Gelächter drang ihnen bis in das
Sprechzimmer der Frau Primke nach. Ihr Gatte war mit einigen Herrschaften,
in den Salon gegangen.

„Na, Frau Kern, haben Sie gefunden, was Sie suchten?" meinte die Ver-
mieterin. — Die Angeredete seufzte: „Nur eine Köchin! Aber wissen Sie, Frau
Primke, dass die Frauenzimmer von Mal zu Mal frecher werden?" — „Ich habe
meine Hand beständig in der Ueberziehertasche gehalten, sonst hätte ich hand-
greiflich werden können!" setzte er hinzu. Die Primke ballte die Faust. Sie
blickte sich um und entgegnete flüsternd: „Meinen Sie, dass ich die Kanail . ..
nicht auch am liebsten mit dem Rohrstock bearbeitete? Was sollen wir aber
machen? Wir leben doch von ihnen, und die Konkurrenz wächst von Tag zu
Tag? Und zu Ihnen als alte Kunden im Vertrauen gesagt: Wer hetzt denn die
Dienstboten auf? Gerade die Damen aus Ihren Kreisen und die Damen von
der Frauenbewegung! Anstatt, dass sie ihre Verbesserungen ganz geheim im
Bunde mit Hausfrauen, meinetwegen Regierung und Polizei versuchen? Kuchen!
Nee, da macht man die Geschichte öffentlich, und verhetzt das dumme Volk. Mit
 
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