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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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18. Heft
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Bethusy-Huc, Valeska: Wanderndes Volk, [4]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0437

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MODERNE KUNST

285

Mendorf. Ich will Frau Bär nach ihr fragen, denn ich habe sie ganz aus den
Augen verloren."

Am Montage der Frau Anna Bär erfuhr die Gräfin, dass ihre Jugendfreundin
Adele unverheiratet geblieben sei und in Berlin als vielumworbene Erbtante lebte.

„Das wundert Sie vielleicht, denn wir Mendorfs gehören ja nicht grade zu
den mit Glücksgütern gesegneten Familien," sagte Frau Anna mit der ihr eignen
liebenswürdigen Offenheit, „aber Tante Adele ist ein Finanzgenie, die im Börsen-
zettel so genau Bescheid weiss, wie in ihrer Küche — o, Sie müssen sie wieder-
sehen, Sie müssen zu unsrem Atelierfest kommen!"

Damit war die Einladung gemacht und angenommen und die Gräfin sprach
sich auf dem Heimwege sehr befriedigt über den heutigen Besuch aus.

„Das ist wirklich ein sehr angenehmes Haus," sagte sie, „und wie wunder-
hübsch und eigenartig sind die Leute eingerichtet. Und es war auch lauter gute
Gesellschaft da, man merkt eben, dass die Frau eine Mendorf ist."

Jutta ging schweigend neben ihrer Mutter hin. Das Herz war ihr zu voll
zum Sprechen. Kurd Stolting hatte ihr die Skizzenmappen seines Freundes ge-
zeigt, der mit Kohle und Pinsel ebenso umzugehen wusste wie mit dem Meissel,
sie hatten die verschiednen Marmorgruppen, die in der Wohnung aufgestellt
waren, besehen und Jutta war zu Mute gewesen, als blicke sie in eine neue
Welt hinein. Sie sprach ihr Entzücken so naiv aus, so ohne jede Anwandlung
von Aufgeschnapptem und Nachempfundenem, dass Stolting sagte:

„Wie merkwürdig, dass Sie selbst nie einen Versuch in der ausübenden
Kunst machten, da Sie so viel Freude daran haben!"

Sie sah ihn aufmerksam und ernst an, als müsse sie selbst über dieses
Problem nachdenken, dann sagte sie einfach: „Dass ich keinen graden Strich
und nicht die einfachste Blume zeichnen kann, das wusste ich — dass ich aber
bei andren so viel Freude an der Kunst empfinden könnte, das habe ich selbst
nicht gewusst! Und das haben Sie mich gelehrt!"

Kurd Stolting hatte sich ein wenig zu ihr geneigt und hatte ihr so besonders
in die Augen gesehen, dass sie jetzt auf dem Heimwege noch meinte den Blick
zu fühlen. „Das freut mich," hatte er dabei gesagt. Das alles erlebte Jutta in
Gedanken noch einmal, während ihre Mutter von Frau Anna sprach.

Und jetzt drückte sie tief aufatmend den Arm ihrer Mutter fester an sich
und sagte: „Ma —, ich freue mich furchtbar auf das Atelierfest."

Die Gräfin lächelte.

„Furchtbar!" wiederholte sie, „ich denke, Du freust Dich lieber „sehr", das
klingt hübscher im Munde einer jungen Dame, die Du doch schliesslich bist!"

Jutta seufzte leicht auf. „Natürlich hast Du recht, Ma —, sich „furchtbar"
freuen ist Unsinn, aber „sehr" drückt das, was ich empfinde, doch nicht aus!"

„Mein Feuerköpfchen, wie das wieder gleich überkocht — aber es war heut
wirklich nett und besonders!"

Acht Tage später fand das Atelierfest statt. Die Einladungen lauteten auf
zwei Uhr zum Atelierfrühstück.

Mit erwartungsvoll hochklopfendem Herzen durchschritt Jutta an der Seite
ihrer Mutter den geräumigen Hof, der mit seinen steinernen Löwengruppen und
dunklen Cypressen-Pyramiden eine ganz andre Physiognomie hatte, als sonstige
Berliner Höfe.

In dem kirchenhohen Atelier wogte ein buntes Durcheinander von Frauen
in eleganten Strassenkostümen und Herren in Civil und Uniform. Pelz, Blumen
und Spitzen vereinigten sich zu reizenden Umrahmungen für die hübschen und
pikanten Frauenköpfe, und anstatt des, bei '.vinterlicher Geselligkeit gewohnten
künstlichen Lichtes, flutete das helle Tageslicht in breiten Wellen durch die hohen
Fenster über die bunte Gesellschaft.

„Man muss seiner Sache sehr sicher sein, um dieses nüchterne Tageslicht
nicht als Beeinträchtigung der geselligen Stimmung zu fürchten," sagte Kurd
Stolting, der in der Nähe des Eingangs auf die beiden Damen gewartet zu haben
schien, und der sie jetzt durch das Atelier führte, aber in dieser merkwürdigen
Umgebung konnten Bärs es schon riskieren. Die Wände des Ateliers waren
mit persischen Teppichen dekorirt, dazwischen standen Gruppen von nordischen
Koniferen und südlichen Palmen in malerischem Verein und von hohen, be-
kränzten Sockeln herab blickten die Schöpfungen des Hausherrn, in dem
wirkungsvollen grauen Ton der ersten Modellanlage oder in matt getöntem
Marmor oder grüne Bronze täuschend imitierenden Gruppen auf die Gesellschaft
herab. Die eine Wand war ganz von einem mächtigen, in grossen freien Zügen
entworfnen Bilde bedeckt, auf dem ein Volk von mythologischem Gesindel sein
Wesen trieb. Ein breiter schwarzer Rahmen, der unten in eine Bank auslief,
umgrenzte es, und grüngetönte Fabeltiere, gekrönte Schlangen und geflügelte
Drachen wanden sich um die Ecken des Bildes und ragten mit ihren seltsamen
Köpfen über die Bank hinaus, zwischen den zierlichen modisch gekleideten
Frauengestalten, die sich dort niedergelassen hatten. Die schwirrenden Geigen-
töne einer Zigeunerkapelle schwebten über dem Ganzen, die Menschen anregend
und die Bildwerke förmlich belebend, so dass jeder, einigermaassen mit Phantasie
begabte Mensch von Anfang an in eine besondre, dem Alltäglichen enthobene
Stimmung kommen musste. Durch die zurückgeschobenen Portieren eines Neben-
raumes sah man ein malerisch angerichtetes Büffet, das einem Abundantia-
Stilleben glich, und dorthin führte Stolting die beiden Damen nach dem Rundgang
durch das Atelier. Hier begrüsste sie auch erst Frau Anna Bär, die neben einem
Tisch mit kunstvoll geschliffenen buntfarbigen Römern stand und soeben damit
beschäftigt war, eins der Gläser zu füllen, um es einer ältlichen Dame zü kredenzen.

„O, Gräfin, wie schön, dass Sie kommen," rief sie der Gräfin Holkwitz zu,
„soeben sprach ich mit Tante Adele von Ihnen." Die alte Dame kam mit aus-
gestreckter Hand der Gräfin entgegen, die Jugendbekanntschaft war erneuert.

„Kommen Sie, Stolting, nun machen wir den beiden Damen einen behag-
lichen Platz zurecht in dem tohu wa bohu, da drinnen — nehmen Sie gleich
ein paar Teller mit kaltem Braten und Wildpastete mit — die Komtesse und
ich wir bedienen uns selbst, nicht wahr?" Bald darauf sassen sie um den Sockel
eines Königin-Luise-Denkmals gruppiert, dessen Ecken ihnen als Tisch dienten
— die beiden älteren Damen in ein paar reichgeschnitzten italienischen Renaissance-
Sesseln, Frau Anna mit Stolting und Jutta auf Kissen gelagert, die bunten
Römer und eine Schale mit Früchten zwischen ihnen auf dem Teppich stehend.

„Man mag es heute machen wie man will, es giebt immer ein Bild", sagte
Stolting mit einer Handbewegung nach den Damen hin, die allerdings eine
malerische Gruppe bildeten, und Jutta setzte tiefaufatmend hinzu: „es ist wie
ein Traum!"

„Sie Liebe", rief Frau Anna ihr warm die Hand drückend, „ich bin so
glücklich, wenn die Menschen bei uns froh sind, und sehen Sie, es giebt
wirklich vielmehr gute und vergnügte Menschen, als die Kopfhänger zugeben
wollen!" Sie sprang auf, um neu angekommene Fremde zu begrüssen.

Stolting sah Jutta lächelnd an.

„Ist sie nicht reizend?"

„Ja, ich finde sie entzückend, und das Ganze ist so besonders! Ein Künstler
ist doch ein glücklicher Mensch!"

„Ein Künstler in der Vollkraft des Schaffens, von Anerkennung gehoben
und getragen, gewiss. Aber es giebt auch dunkle Momente im Künstlerleben!"
Und er erzählte ihr von seinen eignen Anfängen. Sein Vater war ein kleiner
Baumeister in einem Landstädtchen. Niemand in der Familie wusste oder
verstand etwas von der Kunst, wie sie ihm vorschwebte. Das hatte harte Zeiten
gegeben, knappe Mittel, Zweifel am Durchdringen und am eignen Können, wie
sie keinem Künstler erspart bleiben. Dann war der Vater gestorben, die Mutter
hatte in zweiter Ehe einen reichen Fabrikanten geheiratet. Seitdem atmete er
auf, denn die Sorge um sie hatte seine aufstrebende Kraft gelähmt und hatte
ihn gezwungen, sich nach Arbeiten umzuthun, die bezahlt wurden und bei
denen er als Künstler nicht vorwärts kam. Und dann der erste Erfolg — die
Statuette einer Psyche in der letzten Ausstellung — er erzählte das alles so
einfach und doch so anschaulich. Und Jutta war, als sei dieses ganze, prächtige
Atelier nur ein Rahmen für Kurd Stoltings ausdrucksvollen Kopf, und als sei
sie mit ihm auf einer Insel der Seligen gelandet, um die her die Wogen der
Geselligkeit machtlos brandeten, und zu der wie von ganz fern die Stimmen der
beiden alten Jugendfreundinnen aus den venetianischen Sesseln herüberklangen.

Ein besonderes Drängen und Schieben machte sich jetzt in der Gesellschaft
bemerkbar, dann ein allgemeines Händeklatschen, und von einem stattlichen
Herold geführt, trabte unbeirrt durch allen Lärm ein reichgeschirrtes Pferd in
den Festraum, auf dessen Rücken ein schönes, junges Menschenpaar in mittel-
alterlichem Festschmuck sass; das junge Weib glitt vom Pferde herab, und
während sie aus Riesenkörben, die, wie aus dem Boden gezaubert, plötzlich
dastanden, die Gesellschaft mit Blumen überschüttete, schwang der junge Mann
einen Pokal und sprach in zündenden Versen einen Trinkspruch auf die Kunst,
die Schönheit und Liebe. Unter den brausenden Hochrufen der Gesellschaft
leerte er den Pokal und ein allgemeines Gläserklingen folgte um das Abundantia-
Büffet her.

„Die Kunst, die Schönheit und die Liebe!" sagte Kurd Stolting, Jutta seinen
Römer entgegenhaltend. Sie stiess mit ihm an in einer Verwirrung, für die sie
noch keinen Namen wusste, die sie aber als Glück empfand.

In dieser gehobenen Glücksstimmung verging ihr der Tag, und am Abend
fuhr sie durch das leichte Schneegeriesel, das sich inzwischen eingestellt hatte,
nach Hause, und es war ihr dabei so traumhaft, so ganz unwirklich zu Mute.

„Es hat mich doch recht interessiert die Adele Mendorf wiederzusehen,"
sagte ihre Mutter, „ist das eine praktische Person geworden. Denke Dir, sie
hat ihr kleines Vermögen durch glückliche Börsenspekulationen so bedeutend
vermehrt, dass sie jetzt ganz angenehm lebt — wie findest Du das?"

Jutta erschrak über die direkte Frage, sie wusste nicht genau, wovon ihre
Mutter gesprochen hatte, nur das Wort „Börsenspekulationen" war ihr im Ohr
haften geblieben und sie wiederholte es: „Börsenspekulationen?"

„Ja", rief die Gräfin in ungewohnter Lebhaftigkeit, „das ist gar nicht so
schlimm, wie man sich das vorstellt, Adele hat es mir erklärt, und sie hat einen
Neffen, der in einem Bankhause angestellt ist und sie berät — denke Dir, auch
ein Mendorf, von den pommerschen Mendorfs einer — ein gescheidter Junge,
der, anstatt Offizier zu werden, Kaufmann geworden ist. Das kam mir zuerst
auch so sonderbar vor, aber wie Adele mir das Nähere erzählte, musste ich
ihr doch Recht geben — überhaupt, sie ist eine kluge, verständige Person und
ich habe mich wirklich sehr gut mit ihr unterhalten. Sie wird mich auch be-
suchen. Sie sprach auch so nett über Dich, sie sagte, Du gleichest Papas
Schwester" — — .

Jutta lachte plötzlich hell auf —

„O, der, die als Frau so schön wurde?"

Sie hatte es bisher selbstverständlich gefunden, dass sie hinter ihren
schöneren Schwestern zurückstand. Jetzt erfüllte der Gedanke schön zu werden
sie mit einer plötzlichen grossen Freude.

XIV. Iff !l
 
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