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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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21. Heft
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Bethusy-Huc, Valeska: Wanderndes Volk, [7]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0518

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MODERNE KUNST.

333

„Aber Hardy, Sie haben doch Ihr selbständiges Vermögen!"
„Ach lassen wir das," bat er, „das sind langweilige Dinge — sehr un-
erquicklich!"

„Es thut mir so leid, wenn Sie Kummer haben, Hardy!"

Ihre Stimme klang weich, fast zärtlich. Hardy musste an Liska denken
und an den Spaziergang über die Wiesen; Liskas Stimme hatte damals denselben
Klang gehabt, und er konnte ihn seitdem nicht vergessen. Es freute ihn, dass
Ina, deren Schönheit er stets bewundert hatte, nun so warm freundschaftlich
zu ihm sprach, während Ina sich gleichsam in seiner Bewunderung sonnte, und
beide sich bei diesem Geniisch von Kinderfreundschaft und Flirt amüsierten,
ohne irgend welche ernstere Gefühle oder Gedanken dabei zu empfinden. Sie
Hessen sich von den Wellen des Lebens und der Gesellschaft tragen, und
fragten im sanften Hingleiten nicht, ob etwa Klippen auf ihrem Wege wären.
Die Tage waren ja so schön und die Ufer so blumenreich! Und Hasso Settier
fühlte sich seiner kleinen Frau so sicher, er wusste, dass er in seiner kraft-
vollen Männlichkeit Hardys schwankender Jugendlichkeit so weit überlegen
war, dass eine eifersüchtige Regung diesem „Jungen gegenüber, den er hatte
aufwachsen sehen," ihm lächerlich erschienen wäre. So Hess er die beiden
unbehelligt, um so mehr, als es ihn amüsierte zu beobachten, wie Ellinor seinen
Freund Hugo immer fester am Goetheschen „Seidenfädchen, das sich nicht zer-
reissen lässt", führte.

So bald Ellinor merkte, dass ihre Kräfte nicht ausreichten, hatte sie eine
sehr graziöse und feine Art einzulenken und diese kleinen Fehden endeten ge-
wöhnlich damit, dass Hasso sich sagte: „sie ist ein Nickel — aber ein reizender!"

Trotz aller Diplomatie gelang es aber Ellinor nicht, Mister Archibald Tomkins
in ihren Kreis zu ziehen. Hasso und Hugo machten in diesem Punkt ent-
schiedene Opposition. Dennoch pflegte Mister Tomkins regelmassig in der Nähe
aufzutauchen, sobald Ellinor das Hotel verliess, und die Motorpartie war nicht
die einzige Gelegenheit, bei der sie Mittel und Wege fand, den „Landsmann"
zu sprechen. In den Spielsälen war er wegen seiner, wie es schien, unerschöpf-
lichen Tausend-Franks-Billcts — darunter setzte er niemals — eine bekannte
Persönlichkeit und bei allem persönlichen Fernhalten amüsierte es Hugo und
Hasso doch, seinem kühnen Spiel zuzusehen, das einmal die Bank zu sprengen
drohte, ein andermal Verluste mit sich brachte, wie ein Anderer sie schwer
ertragen hätte. Mister Tomkins aber nahm beides mit tadelloser Unerschütter-
lichkeit und ohne die geringste Aufregung zu verraten, hin.

Am nächsten Abend spielte Hardy wieder mit Glück und er begann dem
so lange ausbleibenden Briefe seiner Mutter ruhiger entgegenzusehen, als im
Anfang. Er hatte vor seiner Abreise grössere Verluste bei verschiedenen
Rennen gehabt und in der Ueberzeugung, dass die Gräfin ihm ohne Unbequem-
lichkeiten aushelfen würde, hatte er sie gebeten, ihm Geld nach Monte Carlo zu
schicken, da seine Barschaft für die Reise nicht mehr ausreichte, er sein ohnehin
sehr reduziertes Kapital nicht wieder angreifen wollte und die Reise für seinen
Gesundheitszustand doch unbedingt notwendig sei. Auf diesen Brief war er
immer noch ohne Nachricht geblieben, und so kam ihm seine unerwartete Chance
bei der Bank von Monte Carlo sehr zu statten. Als er in gehobener Stimmung
das Kasino verliess, flüsterte Ina ihm zu:

„Hugo und Hasso haben eine Segelpartie für morgen verabredet. Ellinor
segelt nicht, ich werde mit ihr wieder nach Monaco fahren, und Ellinor meint,
es wäre hübsch, wenn Sie uns begleiteten."

„Und was meinen Sie, Ina?" fragte er lächelnd.

„O, ich, ich finde es natürlich auch hübscher, wenn Sie mitkommen."
„Dann segle ich selbstverständlich nicht — ich mache mir ohnehin nicht
viel daraus!"

Natürlich begegneten sie am nächsten Tage wieder Archibald Tomkins.
Ina und Hardy sahen sich lächelnd an.

„Eigentlich geht dieser Flirt doch etwas weit," sagte Ina, als sie an Hardys
Seite durch die Promenadenwege schritt und sie bemühte sich, ein ernstes Ge-
sicht zu machen.

Hardy lachte. „Ich glaube, es hat noch nie ein paar vergnügtere Elephanten
gegeben als uns beide," sagte er, „ein Spaziergang ist immer nur nett zu zweien,
denn man kann sich nur mit einem Menschen gut unterhalten." Und wieder
blieben sie zurück, während die beiden anderen schnell voranschritten. Und
wieder umspann sie der geheimnisvolle Schatten der Steineichen, die roten Pelar-
gonienbüsche fingen die spielenden Sonnenlichter auf und gaben sie leuchtend
zurück und das Meer rauschte leise um den Fuss der Felsen. Die Promenaden
waren ganz menschenleer um diese Stunde. Ina und Hardy sassen neben-
einander auf dem Steingeländer der Terrasse und sahen hinab in das Spiel der
Wellen. Und wie der Schatten, der über der Terrasse lag, schmäler wurde
unter den vorrückenden Strahlen der Sonne, rückten sie ganz dicht zusammen
und Hardy sprach davon, wie einsam er doch eigentlich in seinem, von Ver-
gnügungen durchhetzten Leben sei, und Ina erzählte ihm, wie auch sie so oft
allein sei, während Hasso seine Geschäfts- oder Jagdreisen machte, und sie
fanden es beide unendlich süss, sich so gegenseitig zu beklagen und einander
zuzuhören in dem schmaler werdenden Schatten, angesichts des leuchtenden
Meeres — sie beide allein, wie auf einer im Weltmeer verlorenen Insel. Sie sassen
jetzt unmittelbar vor den dicken Blättern einer mächtigen Aloe, die am Rande
der Terrasse stand. Inas Hand glitt über eines dieser Blätter und lachend wies
sie auf die Inschriften, mit denen es bedeckt war.

„Das scheint der Rendezvous-Platz aller Liebespaare von Monaco zu sein,"
rief sie, und halb über ihre Schulter geneigt, las Hardy mit ihr all die sentimen-
talen Sentenzen, die dort eingeritzt standen.

„Ma bien-aimee, je suis a toi pour toute la vie —"
„Amour, amour, delice de la vie!"
Und so ging es fort, alle von der Terrasse erreichbaren Blätter waren be-
schrieben und Ina und Hardy entzifferten zusammen diese Liebessentenzen, ihre
Stimmen klangen in einander, ihre Hände berührten, ihr Atem vermischte sich. Es
lag etwas Schwüles, Aufregendes in der Atmosphäre, und Hardys Stimme vibrierte,
als er plötzlich sagte: „Wollen wir jetzt unsere Namen einschreiben, Ina?"

Sie sah zu ihm auf — ihr Mund blühte ihm entgegen, wie eine voll er-
schlossene Rose — da neigte er sich vor und wie magnetisch zu einander
gezogen, lagen ihre Lippen auf einander. Aber nur einen Augenblick sank Inas
Kopf an Hardys Schulter, dann riss sie sich los.

„O Hardy, Hardy, ich habe doch Hasso und die Kinder, und — und —"

Er blickte sie entgeistert, plötzlich zur Besinnung zurückgekehrt, an, und
sie brach in Thränen aus.

Hardys Ernüchterung war um so vollkommener, als er sich dieser kind-
lichen Frau gegenüber schlecht vorkam mit seinem leichtsinnigen „laisser aller",
und er sich dabei bewusst war, dass seine Situation etwas Lächerliches hatte.
Ganz klar und deutlich empfand er, dass er es ja gar nicht ernst gemeint hatte,
grade das konnte er aber Ina nicht sagen und ihre Verzweiflung erschien ihm
kindisch und doch zugleich rührend. Endlich bat er sie:

„Beruhigen Sie sich doch nur, Ina, was soll Ellinor denken, wenn sie kommt!"
Ina stand auf, trat an die andere Seite der Terrasse und blickte, von Hardy
abgewandt, auf das Meer hinaus, das Taschentuch, das sie ab und zu noch an
die Augen drückte, in der Hand haltend. Hardy stand neben der Aloe, starrte
auf die bekritzelten Blätter und verbrachte die unbehaglichsten Minuten seines
Lebens. Endlich raffte er sich auf und trat an Inas Seite.

„Zürnen Sie mir nicht, Ina, ich habe einen Augenblick die Selbstbeherrschung
verloren, aber ich verspreche Ihnen--"

Sie wandte sich hastig um.

„Versprechen Sie mir gar nichts, Hardy, ich will nichts hören, gar nichts,
gar nichts!" — sie presste wieder das Taschentuch vor ihren zuckenden Mund.
In diesem Augenblick hörten sie die Stimmen Ellinors und Mister Tomkins vom
Promenadenwege, dicht hinter der Terrasse. Ina zog den Schleier vor ihr Gesicht
und ging entschlossen dem Paar entgegnen. Hardy folgte ihr in dem Bewusst-
sein, dass Mister Tomkins in ein unauslöschliches Gelächter ausgebrochen wäre,
wenn die vorhergegangene Scene ihn zum Zuschauer gehabt hätte. Das ver-
besserte seine Stimmung nicht.

Ins Hotel zurückgekehrt, fand er den so lange erwarteten Brief aus Alveno
in seinem Zimmer. Jutta schrieb:

Mein lieber Hardy!

Es wird Mama so schwer, Dir alles das zu schreiben, was Du doch wissen inusst,
dass ich es ihr abnahm. Es sind böse Nachrichten, die ich Dir zu geben habe, Hardy,
aber in das Unabänderliche muss man sich eben fügen. Du weisst, dass Mama ibre
Gelder auf Rat von Fräulein von Mendorf anderweitig placiert und auch ihren Bankier
gewechselt hatte. Das heisst, letzteres weisst Du vielleicht nicht, denn Hugo, mit dem
Mama im, Sommer über diese Sache sprach, war entschieden dagegen, und Mama hat
dann schliesslich die Sache gemacht, ohne viel darüber zu reden, weil sie sehr vorteil-
haft zu sein schien und Adele Mendorf so sehr dazu riet. Nun — um es kurz zu
sagen, der Bankier hat bankrott gemacht, ist auf und davon gegangen und hat die
Depots angegriffen, Mamas Vermögen ist bis auf zwanzigtausend Mark, die sie bei dem
alten Bankier gelassen hatte, verloren, daran ist nichts zu ändern. Da nun aber mein
Vermögen intakt geblieben ist, brauchen wir immerhin nicht zu betteln, aber selbst-
verständlich müssen wir uns in unseren Ausgaben einschränken. Ich glaube nicht, dass
es nötig ist, dass Hugo die ganze Sache erfährt — wenigstens nicht sogleich. Wir
wollen ja nichts von ihm, denn ich habe mir mit dem praktischen Fräulein Armand die
ganze Sache überlegt und wir haben gefunden, dass sich alles ganz gut einrichten
lassen wird, wenn wir hier bleiben, wo wir leben können, wie es uns passt, und wo
es ausserdem so schön ist, dass man noch eine Menge Lebensfreude haben kann, ohne
besondere Ausgaben Zu bedauern sind wir also nicht — ich besonders fühle mich
hier so wohl, dass ich mir nichts besseres wünsche Für Mama, die ihr Leben lang
gewohnt war, die Schlcssfrau von Tannwald zu sein, ist es natürlich schwerer, aber
in Tannwald ist ja doch alles anders geworden und ich glaube, Mama wird sich auch
hier ganz gut einleben, denn für ihre Person ist sie eigentlich gar nicht anspruchsvoll.
Was ihr schwer wird, ist nur, dass sie Dir und den Schwestern nun nicht mehr so
viel schenken kann, wie sonst — Euretwegen, besonders Deinetwegen, mein alter
Hardy, hat sie ja nur die Geldgeschichten angefangen, und Deinetwegen leidet sie auch
jetzt am meisten unter ihrem Verlust. Und da musst Du nun eben auch vernünftig
sein und musst auskommen, ohne auf Mama zu rechnen. Es thut mir so leid, dass ich
Dir das schreiben muss, aber vorläufig können wir von den fünftausend Mark, die uns
jährlich bleiben, keine grossen Sprünge machen. Freilich habe ich eine Idee, wie ich
etwas dazu verdienen könnte — aber das muss erst abgewartet werden! Und nun
glaube ich wirklich, es ist am besten, wenn Du die Sache noch für Dich behältst —
es nutzt doch gar nichts, wenn ein grosses Klagen und Bedauern in der Familie aus-
bricht. Schreibe Mama einen recht liebevollen und guten Brief, das wird ihr wohl
thun, und im übrigen halte die Ohren steif, wie es ebenfalls thut

Deine Schwester

Jutta.

P. S. Kurd Stolting hat die Konkurrenz für ein Viktor-Emanuel-Denkmal gewonnen, und
in der Kunstausstellung in Venedig hat er für eine Gruppe die goldene Medaille bekommen!!!

XIV. 21. II.
 
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