Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0024
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1. Heft
DOI article:Falke, Otto von: Die Ausstellung von Kirchengewändern des Mittelalters im Berliner Kunstgewerbe
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AUSSTELLUNG VON KIRCHENGEWANDERN DES MITTELALTERS
Äbb. 2. Chormantel in Halberftadt; grüner Goldbrokat, Lucca 14. Jahrh.
nach plaftifch und tektonifch. Die Weberei aber bedarf der regelmäßig wiederkehren-
den Flachmufter ohne Ende. Die Gefchichte des italienifch-levantinischen Verkehrs im
Mittelalter brachte es mit [ich, daß die Seidenkunft Italiens, wie früher fchon die
byzantinische, wiederholt im Often Anlehnung fuchte und vielfältige Anregungen emp-
fing. Die Erkenntnis diefer Tatfache hatte zur Folge, daß nach dem Grundfaß Ex
Oriente lux die Gaben des Orients überfchäßt, die eigene Leiftung Italiens im Flach-
ornament dagegen verkannt worden ift.
Die phantafievollfte und geiftreichfte Schöpfung der ornamentalen Flächenkunft
Europas ift der italienifche Seidenftil des fpäteren Mittelalters. Der Ruhm der Urheber-
fchaft ift Italien aber vorenthalten worden. Die Überzeugung von der abfoluten Über-
legenheit des moslimifchen Orients in der Flächendekoration ift fo feft eingewurzelt,
daß den Italienern hierin nur die Rolle unfreier Nachahmer zugeftanden wurde. Die
eigentliche Erfindung hat man immer und faft vorbehaltslos der arabifchen Kunft zu-
geftanden.
Die Veranfchaulichung diefes fpätmittelalterlichen Seidenftils in feinen erlefenften
Denkmälern, die Aufdeckung feiner Wurzeln, feiner Wandlungen während der zwei
Jahrhunderte des gotifchen Zeitalters, foweit möglich auch die Feftftellung des Anteils
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Äbb. 2. Chormantel in Halberftadt; grüner Goldbrokat, Lucca 14. Jahrh.
nach plaftifch und tektonifch. Die Weberei aber bedarf der regelmäßig wiederkehren-
den Flachmufter ohne Ende. Die Gefchichte des italienifch-levantinischen Verkehrs im
Mittelalter brachte es mit [ich, daß die Seidenkunft Italiens, wie früher fchon die
byzantinische, wiederholt im Often Anlehnung fuchte und vielfältige Anregungen emp-
fing. Die Erkenntnis diefer Tatfache hatte zur Folge, daß nach dem Grundfaß Ex
Oriente lux die Gaben des Orients überfchäßt, die eigene Leiftung Italiens im Flach-
ornament dagegen verkannt worden ift.
Die phantafievollfte und geiftreichfte Schöpfung der ornamentalen Flächenkunft
Europas ift der italienifche Seidenftil des fpäteren Mittelalters. Der Ruhm der Urheber-
fchaft ift Italien aber vorenthalten worden. Die Überzeugung von der abfoluten Über-
legenheit des moslimifchen Orients in der Flächendekoration ift fo feft eingewurzelt,
daß den Italienern hierin nur die Rolle unfreier Nachahmer zugeftanden wurde. Die
eigentliche Erfindung hat man immer und faft vorbehaltslos der arabifchen Kunft zu-
geftanden.
Die Veranfchaulichung diefes fpätmittelalterlichen Seidenftils in feinen erlefenften
Denkmälern, die Aufdeckung feiner Wurzeln, feiner Wandlungen während der zwei
Jahrhunderte des gotifchen Zeitalters, foweit möglich auch die Feftftellung des Anteils
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