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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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17. Heft
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Freise, Kurt: Neue Bilder in holländischen Sammlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0689

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NEUE BILDER IN HOLLÄNDISCHEN

SAMMLUNGEN Mit 8 Abbildungen / Von KURT FREISE

Wer alljährlich einmal die holländifchen Gemäldefammlungen befucht, findet außer
dem wohlbekannten alten Beftand [tets eine Reihe von Neuerwerbungen, die
[ich entweder durch befondere Qualität auszeichnen, oder aber — als ausbauende Er-
gänzung der Dokumente der holländifchen Malerfchule — irgend eine Überrafchung
bedeuten, bisweilen fogar mit einem pikanten Beigefchmack. Bald ift es das Bild eines
bisher wenig oder gar nicht gekannten Meifters, bald ein ganz „ausgefallenes“ von
einem wohl bekannten, den es dann von einer ganz andern, neuen Seite zeigt, bald
ein fehr gutes von einem nur wenig gefchäfeten u. dgl. mehr. So ging es mir auch in
diefem Frühjahr wieder, und ich will deshalb über das, was ich an Neuem in hollän-
difchen Sammlungen fah, zufammenfaffend berichten1.

Beginnen kann ich mit einem köftlichen, neu entdeckten Rembrandt, den ich gleich
am erften Tage meines Äufenthaltes im Haag in der Sammlung des Herrn Dr. Bredius
bewundern konnte. Es ift eine „Chriftusftudie“ (Äbb. 1) von ganz befonders feinem inneren
Gehalt. Sinnend blicken die Äugen über denBefchauer hinweg, den nur wenig geöffneten
Mund umfpielt ein leifes, gütiges Lächeln. In vollem weichen Fluß umrahmen die dunkeln
Haare und der Bart das ausdrucksvolle Äntlitj, deffen Inkarnat wohl blaß, aber doch
nicht bleich ift, das immerhin warm hervorleuchtet aus dem es umgebenden fepiabraunen
Gefamtton. Die Arme find leicht verfchränkt, wie wenn fich das Modell bequem hin-
gefeit hätte. Die Haltung wirkt fo, troi des knappen Bildausfchnittes, doch ruhig und
überzeugend. Die anderen bekannten Chriftusköpfe überragt diefer bei weitem. Ein
gewiffes unbefriedigtes Gefühl, das mich beim Betrachten der übrigen ftets mehr oder
weniger ftark befchlich, kam vor diefer kleinen Tafel nicht auf. Im Gegenteil, je
länger man es betrachtet, um fo innerlicher fpricht es, um fo ftärker zieht es in feinen
Bann und läßt fanften Frieden auf den empfänglichen Betrachter ausftrömen, fo daß
man beinahe von einem Ändachtsbilde fprechen könnte — was doch für Rembrandt
„nur“ eine Studie zu irgendeiner größeren religiöfen Darftellung war. — Fragen wir
nach der zeitlichen Einordnung in das „Werk“ Rembrandts, fo fcheint m. Ä. n. das
Gegebene zu fein, es als Vorftudie zu dem Parifer oder Kopenhagener Emmausbilde
anzufprechen. Dann wäre es auch in deren Entftehungszeit zu fetten, alfo um 1648.
Es ergibt fich dann aber eine Schwierigkeit in feiner Stellung zu den übrigen Chriftus-
bildern (bei J. G. Johnfon, im Kaifer Friedrich-Mufeum, in Schloß Pawlowsk und dem
früher bei R. Kann gewefenen), die alle um 1656—59 datiert werden und nach Bode
„Studien wohl für eine oder mehrere nicht ausgeführte oder nicht erhaltene Darftellungen
mit Chriftus, die den Künftler um die Mitte oder in der zweiten Hälfte der fünfziger
Jahre befchäftigten“, find, „was auch verfchiedene treffliche Radierungen diefer Zeit
gleichfalls bezeugen“ (Ämtl. Berichte a. d. Kgl. Sammlgn. 1908, Sp. 116). Dem Bredius-
fchen Chriftus fteht von jenen am nächften der in Schloß Pawlowsk befindliche, der
auch ficher nach demfelben Modell und gewiß ziemlich gleichzeitig gemalt ift. Bei
diefem fcheint mir die dabei vom Künftler verfolgte Äbficht — Studie für einen Chriftus
in Emmaus — deutlicher dadurch, daß die Äugen emporblicken. Valentiner weift auch
auf den Zufammenhang diefes Kopfes mit dem „Chriftus in Emmaus“ von 1648 im
Louvre hin, behält aber die einmal angenommene Datierung „um 1658“ bei. Sollte
man aber nicht doch mit der Datierung weiter zurückgehen dürfen? Für das Brediusfche

1 Im Einverftändnis mit dem redaktionellen Vertreter für Holland.

Der Cicerone, IV. Jahrg., 17. Heft. 48

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