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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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14. Heft
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Scherer, Christian: Ein Werk des Bildhauers Israel von der Milla
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0575

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EIN WERK DES BILDHÄUERS ISRAEL

VON DER MILLA Mit einer Abbildung / Von CHRISTIAN SCHERER

Unter den Arbeiten in Solnhofener Stein, die das Herzogliche Mufeum zu Braun-
fchweig aus altem Befände befit$t, befindet [ich außer zwei Hochreliefs des Nürn-
berger Meifters Georg Schweigger auch ein 0,219 hohes und 0,156 m breites Flachrelief,
das Maria mit dem Leichnam Chrifti darftellt.1 In einer mit fpärlichem Baum- und
Pflanzenwuchs belebten Felfenlandfchaft fit^t auf einer Steinbank am Fuße des Kreuzes
Maria, eine ältere Frauengeftalt in fchweren Gewändern, die fchleierartig den Kopf
bedecken. Ihr Oberkörper wendet [ich leicht nach links, und ebendahin ift auch der
von Schmerzensfalten durchzogene Kopf geneigt. Mit beiden Händen ftütjt [ie den
bis auf das Lendentuch nackten zufammenfinkenden Leichnam ihres Sohnes, deffen
Haupt in ihrem Schoße ruht. Vorn am Boden liegen außer einem Täfelchen mit
der Jahreszahl 1589 ein Schädel fowie eine Dornenkrone und Zange.

Was die vorliegende Kompofition als folche betrifft, fo ift fie keineswegs unbe-
kannt, fcheint vielmehr in der Kleinplaftik [ich ftets einer gewiffen Beliebtheit erfreut
zu haben. So kenne ich z. B. nicht weniger als vier mehr oder minder freie Wieder-
holungen, die allerdings erft fpäter, nämlich im 17. und 18. Jahrhundert, entftanden
find. Die eine davon befißt das Kaifer Friedrich-Mufeum zu Berlin: ein vergoldetes
Bronzerelief, das im Katalog der italienifchen Bronzen (1904) Tafel 36 abgebildet und
im Text unter Nr. 456 als eine italienifche Arbeit des 17. Jahrhunderts befchrieben ift.
Eine weitere etwas größere und wohl ebenfalls dem 17. Jahrhundert angehörige Wieder-
holung aus Alabafter befindet fich in der Städtifchen Kunftfammlung zu Bamberg,
während eine dritte in Elfenbein im Nationalmufeum zu München, fowie endlich eine
vierte in Bernftein als Mittelbid eines Hausaltärchens im Königl. Kunftgewerbemufeum
zu Berlin aufbewahrt wird. Wenn auch alle diefe Wiederholungen, ganz abgefehen
vom Stil und der verfchiedenen Befchaffenheit der Arbeit, in Einzelheiten, vor allem
der landfchaftlichen Umgebung, von dem Solnhofener Relief mehr oder weniger ab-
weichen, ftimmt doch die Gruppe der beiden Figuren fo genau überein, daß an dem
inneren Zufammenhang diefer fünf Reliefs, oder, wie es richtiger heißen muß, an der
ihnen zugrunde liegenden gemeinfamen Vorlage nicht der leifefte Zweifel beftehen
kann. Diefe Vorlage dürfte aber vermutlich ein Stich des 16. Jahrhunderts und zwar,
wie ich glauben möchte, der Stich eines unter italienifchem Einßuß ftehenden nieder-
ländifchen Meifters gewefen fein, den ich jedoch vorläufig noch nicht beftimmter zu
bezeichnen vermag.

Allein es kommt hier auch weniger auf die Darftellung als folche und ihre mut-
maßliche graphifche Vorlage an, als vielmehr auf den Nachweis des Verfertigers diefes
Solnhofener Reliefs. Denn obwohl es eine deutlich fichtbare Künftlerbezeichnung trägt,
hat man doch, weil der Zuname hierbei leider nur durch Initialen angedeutet ift, den
Urheber des Reliefs bis jet^t noch nicht feftzuftellen vermocht. Am Fußende des
Kreuzes befindet fich nämlich dicht über dem Haupte der Maria eine, von einem
Rahmen im Rollwerkftil umfchloffene längliche Tafel, auf der in der Mitte die Worte
ftehen „Er ift umb unfer Miffeth/At Willen verwundet — Es. 53.“, während fich an
den beiden feitlich herausragenden Armen die Bezeichnung befindet „ISRAEL V. D. M.“
Daß es fich hier um eine Künftlerbezeichnung und zwar um den Namen des Bild-
fchni^ers und nicht um den des Zeichners oder Stechers handelt, dürfte ohne weiteres

1 Siehe: Herzogliches Mufeum. Die Sammlung mittelalterlicher und verwandter Geqenftände.
1879, p. 61, Nr. 70.

Der Cicerone, IV. Jahrg., 14. Heft. 40

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