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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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Biermann, Georg: Nochmals "der rheinische Bismarck"
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NOCHMALS „DER RHEINISCHE BISMARCK“

TTlfred Lichtwark und Walter Rathenau
haben kürzlich bei S. F i [ch e r - Berlin
eine kleine Brofchüre herausgegeben, durch
die die Öffentlichkeit erfahren foll „wie die
Majorität der Jury das faft von der ganzen
deutfchen Preffe angegriffene Hahn-Beftel-
meyerfche Projekt beurteilt und wie fie die
gefamte Sachlage anfieht.“

An fich bringt das Büchlein keinerlei welt-
bewegende Enthüllungen und wer als gefchmack-
voller Lefer diefe paar Seiten durchgeht, wird
ganz fpeziell von Rathenaus volltönenden
Worten kaum irgendeinen erfchütternden Ein-
druck mit fortnehmen. Anders vielleicht von
den Lichtwarkfchen Ausführungen. Seine An-
ficht hat genau jene fubjektive Berechtigung, die
auch die Gegenpartei für ihre Überzeugung in
Anfpruch nimmt. Hier fteht eben Anficht gegen
Anfieht, die beiderfeits fattfam begründet ift.
Die Ungerechtigkeit liegt nun darin, daß Licht-
wark wie Rathenau a priori der wohl begrün-
deten künftlerifchen Anficht ihrer Gegner die Da-
feinsberechtigung einfach abfprechen. Wer Recht
behält, das zu entfeheiden, wird Sache einer
fpäteren Generation fein, für die alle menfeh-
liche Vorftellung eines Bismarck längft in jenes
Symbol aufgegangen ift, das für mein Gefühl
ungleich gewaltiger in der monumentalen Archi-
tektonik des Kreisfchen Kuppeldomes auf dem
Berge mit der fixenden Figur des Helden von
Lederer, die Ewigkeitsgedanken verfchließt, zum
Ausdruck kommt als in der niedlichen Jung-
Sigfrids-Figur eines Hahn, die nie das Kind vom
Geifte unferer Zeit fein könnte. Aber foll man
heute wirklich noch einmal diefe vieldiskutierten
Dinge aufgreifen! Eines nur bleibt feltfam, daß
Lichtwark überhaupt aus dem fonft gewiß ver-
dienftvollen Hildebrandepigonen Hahn und jenem
eklektifchen Neuklaffiziften Beftelmeyer ein
Michelangelo-Dioskurenpaar hat machen können,
daß er immer noch nicht einfehen will, wie billig
und armfelig folch ein Denkmal fein müßte im
Vergleich zu der Kraft jener tatenfroh abwägen-
den Intelligenz eines Bismarck, zu dem herrifch
felbftbewußten Kämpen, der fein Volk reiten
gelehrt. Daß Hahn für die Großartigkeit diefer
menfchlichen Offenbarung, mit der Bismarck in
unfer Bewußtfein einging, nichts anderes erfand
als den quattrocentiftifchen Jungfigfrid, beweift
wie wenig er im lebten der künftlerifchen Auf-
gabe überhaupt gewachfen war. — Diefe Emp-
findung haben außer Lichtwark und Rathenau
und die auf Hahn-Beftelmeyer füddeutfeh ein-
geftellteMajorität faft ausnahmslos alle berufenen
Kritiker gehabt.

Freilich nach Herrn Dr. Rathenaus Meinung,
der fich nebenbei der erftaunten Welt als „Kunft-

forfcher“ vorftellt (!), was wir lächelnd ad notam
nehmen, find diefe Kritiker überhaupt nicht be-
rechtigt, mitzureden. Auch Clemen, Deffoir,
Muthefius und Schumacher (die beiden Letzt-
genannten werden, da es der Herr Kunft-
forfcher fo will, ihrer künftlerifchen Eigenfchaft
flugs verluftig erklärt), gehören mit uns, die wir
vielleicht nicht mal fo viel zeichnen können, daß
wir „Aufnahme in der Gipsklaffe“ fänden, für
den Autor zu dem kritiklofen „Publikum“, dem
das auserwählte „Volk“ der Künftler felbftherr-
lich gegenüberfteht. Das Kriterium ift für Herrn
Dr. Rathenau bei feiner Scheidung in Gut und
Böfe dabei ein fehr feltfames: Wer aus der
Jury für Hahn ftimmt, gehört zu den Größten im
Lande, zu den erlauchteften Künftlern, wer für
Kreis ftimmte, zu dem „belanglosen Publikum“.
Wüßte Herr Rathenau wirklich etwas vonKunft-
gefchichte, fo dürfte er diefe Verbeugung vor
der überlegenen Urteilskraft des Künftlers eigent-
lich nicht machen. Denn nicht nur zu Rembrandts
Zeit waren die Herren Kollegen vom Fach die
eigentlich verantwortlichen Perfönlichkeiten für
die meiften Künftlertragödien, die die Welt ge-
fehen hat — nein diefelbe Kunftgefchichte, die
uns die Genies kennen lehrte, erweift auch zur
Evidenz, daß mit der wahrhaft genialen Kraft
die Einfeitigkeit der Überzeugung Hand in Hand
geht. Doch wozu über folche Dinge, die man
eigentlich kennen müßte, ein Privatiffimum lefen!
Ganz befonders, wenn es fich wie bei der Jury-
Majorität um Künftler handelt, deren Handfchiift
man faft auswendig weiß, über die zum Teil
vielleicht fogar die Nachwelt fchneller ad acta
übergeht, als es der noch latente Ruhm ahnen
läßt. So viel ift jedenfalls gewiß, daß Meifter
wie Klinger, Gaul, Stuck, Dill u. a. — bei aller
Hochfchätzung ihrer Leiftungen — nie einen ent-
fernten Beweis monumentalen Geftaltens gegeben,
nicht einmal fo viel, daß man fie in die „Gips-
klaffe“ diefer neuen Form des künftlerifchen
Schaffens aufnehmen könnte — während Lederer
einen Hamburger Bismarck fchuf, vor dem viel-
leicht auch Herr Rathenau innerlich den Hut ab-
zieht. Man fieht, die Art, in der der ent-
täufchte „Kunftforfcher“ mit feinem „Volk“ gegen
das „Publikum“ der Kritiker und wirklichen
Kunftgelehrten kämpft, verfängt nicht und ich
für mein Teil kann fie nicht einmal unfympathifch
finden, weil fie im Don Quichote-Galopp gegen
Windmühlen rennt und deshalb luftig ftimmt.
Der Herr Doktor, der für feinen Freund Hahn
die letzte Lanze brach, bewegte fich diesmal
nur auf einem fchwierigen Terrain, das ihm
weniger liegt als die Welt der Technik. Aber
er nötigte, da er mit einer unverhohlenen pathe-
tifchen Selbftüberzeugung fpricht, doch den ganz

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