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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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11. Heft
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Kieser, R.: Ricard und Carpeaux
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0465

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RICARD UND CARPEAUX

Es ift die Erinnerung an die elegante und
glückliche Zeit des zweiten Kaiferreichs, die
trolj Dixhuitieme, moderner Malerei und Kinema
heute und noch immer den tieferen Charakter
von Paris beftimmt. Ein Hauch der Erinnerung
weht durch diefe fchwülen parifer Maientage.
Im Schlößchen Bagatelle im Bois de Boulogne,
wo die Societe Nationale gleichfam als Depen-
denz ihres Salons eine retrofpektive Äusftellung
von Kunftwerken veranftaltet, die durch Mufik
und Tanzkunft angeregt wurden, betrachten
wir zwifchen griechifchen Vafenbildern und
Herrn Nijinski wieder alle die fchönen Sterne
jener ballett- und operettenfröhlichen Zeit, da
Kaiferin Eugenie den Ton angab und das
Gegenteil der Mode Poirets diktierte. (Im üb-
rigen haben wir uns mit diefer Äusftellung, der
man gerade die charakteriftifchen Werke vor-
enthalten hat, hier nicht zu befaffen.) Während
man bei Georges Petit den Kunftbefit^ der Mar-
quife de Carcano, damals und mit dem aus-
fchließlichen Gefchmack jener Zeit gefammelt,
zum Verkauf bringt, befichtigt die gute Gefell-
fchaft im Ballfpielhaus der Tuilerien ihr Bildnis
von van Dyckfcher Ärt der Senfibilität, nebft
vielen anderen Porträten aus jener Zeit, auf
denen Tizianifche Wärme mit Vermeerfchem
Blau und Silbergrau vereinigt find. Ihr Schöpfer
ift Guftave Ricard (1824—1873). Winterhalter,
der hoffähige Kollege, ift, wenigftens außerhalb
Frankreichs, bekannter, doch fteht er weit zurück
hinter der pfychologifchen Durchdringung und
der fchönen Freiheit der Technik die Ricards
Bildniffe aufweifen. Der Künftler hat fich dazu
in den Mufeen von Venedig und Holland er-
zogen. Belege diefer Erziehung, wenn über-
haupt noch notwendig, finden wir in feinen
zahlreichen vortrefflichen Kopien nach den ge-
nannten Meiftern und Correggio, die man hier
mit zur Schau geftellt hat. Später hat er fich,
wie Lenbach, mit dem er in fehr vielen Bezie-
hungen verwandt ift, — auch an Eindringlichkeit
feinen Modellen gegenüber gleich der des Unter-
suchungsrichters — ausfchließlich dem Porträt
zugewandt. Einige feiner Werke befinden fich
in der Sammlung Thomy-Thieri des Louvre,
viele bewahrt das Mufeum feiner Vaterftadt
Marfeille. Von den heute verfammelten nennen
wir das der Mme. Roux, das des Prinzen De-
midoff, der Mme. Calonne und befonders die
fchönen Charakterköpfe feiner Malerfreunde
Chenavard, Loubon, Fromentin. Einige find in
der Mainummer von „L’Ärt et les artistes“
kürzlich abgebildet worden. — Än der Gegen-
wand, die Impreffion von einem Ballabend in

den Tuilerien, ein köftliches Impromptu, wo
man zur Not auf der Eftrade das Kaiferpaar
und den König von Belgien erkennt und den
hohen Reiz in der Wiedergabe der Bewegung
des tanzerfüllten Saales bewundert, ift nicht
von Ricards Hand, fondern von der des Bild-
hauers Carpeaux. Weitere Ölftudien und Zeich-
nungen, von den Kindern des Meifters zur
Äusftellung gebracht, lehren in ihm einen Illu-
ftrator feiner Zeit von Daumierfchem Gepräge
kennen.

Es find zunächft Motive aus Compiegne oder
den Tuilerien, wo Carpeaux oft als Gaft erfchien,
der die Glorie des Kaifertums zu verewigen
verfprach. Damals war auch Carpeaux auf der
Höhe feines Schaffens und des Erfolges. Der
Kaifer war fein Freund und gab Aufträge großen
Stils; die befte Gefellfchaft folgte nach mit Be-
ftellung der Büften, die man hier aus Privat-
befif$ und Mufeen vereinigt hat, eine Fortfetjung
der Ricardfchen Porträte — doch wir wollen
uns vor einem Vergleich hüten! Wir fehen
hier die berühmten Frauenbildniffe voll Energie
und Grazie, die pariferifch-kapriziöfe Mlle. Fiocre,
die abfallenden Schultern der fchönen alten Dame
de la Valette, das Decollete der Kaiferin; Gar-
nier, Gerome, Dumas fils; auch jene kleine Statue
des kaiferlichen Prinzen, die als Reduktion in
Biskuit noch jeljt von der Manufaktur de Sevre
in Handel gebracht wird, republikanifch unver-
fänglich als „l’enfant au chien“.

Das Blatt wendet fich: unter den Handzeich-
nungen Szenen aus der Belagerung von Paris.
Und ein letztes Bild des Kaifers, zu Chislehurft,
im Sarg. —

Von den meiften der großen bildhauerifchen
Werke werden weniger bekannte Wieder-
holungen gezeigt. So ein Modell der gefchmei-
digen Flora vom füdlichen Ende des Louvre;
eine fpätere Replik der berühmten Tanzgruppe
mit unbedeutenden Veränderungen; nach der
in Rom modellierten Gruppe des Ugolino die
Ausführung in Stein, die dem Verdikt des In-
ftituts zum Trolj auf Koften eines Marmor-
induftriellen für die Äusftellung 1867 angefertigt

wurde. In einigen Vitrinen find die erften

kleinen Modelle vereinigt, mit denen der Bild-
hauer feine Arbeit zu beginnen pflegte. Wir
fehen die bekannten Pläne fich entwickeln, wir
fehen darunter auch viele Ideen und Skizzen
nie ausgeführter Werke; kleine Terrakotten,
mit denen Carpeaux einft, wie ein italienifcher
Figurenhändler, vergeblich haufieren ging, als
ihm die kaiferliche Gnadenfonne noch nicht

lachte. R. Kiefer.

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