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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0756

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LITERATUR

LITERÄTUR

DIE „EDIZIONE NÄZIONÄLE
DELLE OPERE DI LEONARDO“

Eine der großartigften Unternehmungen Italiens
auf dem Gebiete der Geifteswiffenfchaften ver-
fpricht diefeGefamtausgabe derWerke Leonardos
zu werden, die einen langgehegten Wunfch
aller Gebildeten erfüllt und zugleich eine Ehren-
pflicht Italiens gegen einen feiner größten Söhne
einlöft. Die von der Regierung mit diefer Publi-
kation beauftragten Spezialiften haben die Löfung
einer Aufgabe übernommen, die nur auf dem
Wege gemeinfamer Arbeit vieler Mithelfer aus
der italienifchen Gelehrtenrepublik möglich ift.
Gibt es doch kaum ein Gebiet menfchlichen
Denkens und Schaffens, auf dem fich Leonardo
nicht betätigt hatte.

Dafür, daß wirklich Hervorragendes geleiftet
wird, bürgen die Namen der Männer, die an
der Spille des Unternehmens ftehen, desProfeffors
Biaferna, der zugleich die hohen Ämter eines
Vizepräfidenten des Senates und Präfidenten
der bedeutendften Akademie des Landes, der
„Lincei“ bekleidet, der Profefforen Adolfo Ven-
turi, Francesco Novati, Mario Cermenati und
anderer. Jedes Mitglied der Kommiffion hat
auf feinem fpeziellen Forfchungsgebiete zu fam-
meln und für die Veröffentlichung vorzubereiten,
was an edierten und unedierten Schriften und
Zeichnungen Leonardos noch aufzufinden ift.
Der erfte Band der Gefamtausgabe wird dem
künftlerifchen Schaffen Leonardos gewidmet fein;
andere Bände werden fich mit Leonardos Be-
obachtungen auf den Gebieten der Anatomie,
der Naturwiffenfchaften, der Philofophie und
anderen Disziplinen befaffen.

Nachdem eine Reihe von Vorfragen erledigt
find, machen die Arbeiten jeljt rafche Fortfehritte.
Die Kommiffion hat, zum erften Male, die Er-
laubnis erhalten, die koftbaren Schäße Leonardo-
fcher Zeichnungen und Handfchriften in Windfor
Caftle photographifch aufzunehmen.

Die allgemeine Anteilnahme Italiens an diefer
großartigen Manifeftation nationalen Gelehrten-
fleißes bekundet fich in Zuwendungen von Bü-
chern und Schriften über den „illegiptimo di ser
Piero“, die Dr. Ettore Verga in feiner trefflichen
„Raccolta Vinciana“ im Mailänder Caftello Sfor-
zesco fammelt, und in der Zuwendung von
Geldmitteln. So hat kürzlich ein bekannter
Mailänder Sportsmann, der Commendatore Gino
Modigliani, die ftattliche Summe von hundert-
taufend Lire für diefen Zweck geftiftet. Da
auch der Staat feine Hilfe in Ausficht geftellt

hat, fo kann man erwarten, daß die Gefamt-
ausgabe der Werke Leonardos, wenn fie der-
maleinft fertig vorliegt, der Bedeutung des
großen Meifters würdig fein wird. W. B.

Abel Letalle, Palettes d’Artistes. In 4°,
fünf Tafeln. Sanfot. 4 Fr.

Nicht die der Kunftbefchreibung geläufige Ab-
ftraktion ift gemeint, fondern das konkrete Werk-
zeug felber. Eine Künftlerpalette ift immerhin
ein intereffantes Ding; etwas von fuggeftiver
Kuriofität. Sie wird pietätvoll auf bewahrt, ge-
fammelt und oft teuer bezahlt. Einige find ins
Mufeum gelangt, wie — nebft den Tabak-
pfeifen — jene Delacroix’ und Corots in der
Sammlung Moreau-Nelaton. Dem aufmerk-
famen Beobachter verraten fie nicht allein Züge
rein menfchlichen Charakters, wie dem Grapho-
logen das Manufkript, fondern laffen ihn auch
auf Arbeitsweife und künftlerifche Tendenz eines
Malers, auf die Art feines Talentes fchließen.
Viele tragen, mitten in den Farbvorräten oder
aus diefen geformt, eine mehr oder weniger
vollendete Studie, eine Phantafie des Pinfels,
die neben der Arbeit entftanden fein mag, ähn-
lich wie der Stichel des Graveurs auf dem Plat-
tenrand fich in läffigen Momenten manifeftiert.

Bei Georges Petit fand im Juni 1911 eine
größere Ausftellung von Paletten ftatt, der eine
erfolgreiche Auktion folgte. Sie gab Letalle
Gelegenheit, 45 der intereffanteften Stücke im
angedeuteten Sinne zu analyfieren. Auf Ingres
Palette fieht man neben den Farbtupfen, in guter
Ordnung oben am Rande, deutlich den Ton des
faubern Holzes; während Puvis de Chavannes
Farben fo verwifcht find, daß es fchwer fällt,
eine rein herauszuerkennen. Helle Töne find
immerhin zahlreicher, wie erftaunlicherweife bei
Daumier, deffen Palette eine der liditeften ift:
Weiß mit Rot vermifcht nimmt die Hälfte ein.
Bei Raffaelli dominiert das atmofphärifche Weiß-
blau. Auf der Palette Corots fieht man nicht
die grünen Töne feiner Landfchaften; es fcheint,
daß diefe Palette vor einem Porträt gebraucht
wurde. Bei Delacroix erklärt fich der Nuance-
reichtum aus vier Reihen von vorbereiteten
Farben. Weder Daubigny, noch Diaz, noch
Dupre, noch Rouffeau, fchlichte Interpreten der
Natur, fchmücken ihre Palette mit der geringften
Darftellung. Darin brilliert natürlich Willette
mit einem Pierrotreigen und Blick auf Mont-
martre. Die Palette Courbets in diefer Samm-
lung trägt überhaupt keine vorbereiten Farben,
fondern ift mit einer fchäumenden Brandung be-
malt. Wir lefen die Widmung: Souvenir d’exil
ä mon ami Fuchs. G. Courbet. R. K.

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