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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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8. Heft
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Voigtländer, Emmy: Ein Madonnenbild des Quentin Massys
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0321

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EIN MADONNENBILD DES QUENTIN

MÄSSYS Mit einer Tafel

Es foll hier weiteren Kreifen ein Madonnenbild bekannt gemacht werden, das es
feiner hohen Qualität nach im reichftem Maße verdient.

Das Bild, daß [ich zunächft als Ältniederländifch um 1500 erweift, befindet [ich in
Leipziger Privatbefiß. Seine Herkunft ift leider nur bis in die 60er Jahre des 19. Jahr-
hunderts zu verfolgen, in denen es in Frankfurt aus Befiß eines Künftlers erworben
wurde. Die Familie, in der es feither geblieben ift, vermag keine beftimmteren An-
gaben zu machen, und andere Nachforfchungen find gleichfalls erfolglos geblieben.
Troßdem kann kein Zweifel aufkommen, daß wir ein echtes altes Bild vor uns haben.
Es ift auf Eichenholz gemalt, von fehr guter Erhaltung ohne nennenswerte Reftaurationen,
allerdings auch ohne irgendwelche Bezeichnung. H. 0,52, Br. 0,38.

Das alte Motiv der füllenden Madonna erfcheint hier in einer neuen und reizvollen
Variation. Das Kind hat getrunken und [ißt nun eingefchlafen mit hoch gezogenen
Beinen auf den Händen der Mutter, den Kopf auf die Händchen gelegt, die auf ihrer
Bruft liegen und mit dem Körper eng an fie gefchmiegt. Befonders das halboffene
Mündchen mit feinem fatten und befriedigtem Ausdruck zeugt von frifcher Naturbe-
obachtung. Die Madonna felbft nähert [ich in ihrer Haltung, in der Art, wie fie das
Kind trägt, in dem füllen, zurückgehaltenen Ausdruck ihres zarten und feinen Gefichtes
mehr dem älteren Typus der Gottesträgerin, die das Kind ehrfürchtig als Gefchenk des
Himmels hält, weniger dem der rein menfchlich und natürlich fühlenden Mutter. In
diefer Art, das religiöfe Andachtsbild mit dem mehr nach dem Genrehaften neigenden
Motiv des fchlafenden Kindes zu verbinden, liegt ein Hauptreiz des fchönen Bildes. Zu-
gleich ift diefe Mifchung das Charakteriftikum einer Zeit, die der religiöfen Überliefe-
rung freier gegenüber fteht als noch das 15. Jahrhundert; in der Sucht nach Neuem
insbefondere die Darftellung der Madonna mit neuer Zärtlichkeit durchdringt.

Die Gruppe von Mutter und Kind wird durch die Baluftrade mit den Früchten vorne
etwas in die Tiefe gerückt und hat wiederum einen feften Rückhalt in der Architektur
mit den rahmenden Säulen rechts und links. Die Haltung der Madonna ift ganz die
althergebrachte, von vorne gefehen, den Kopf etwas geneigt in dreiviertel Anficht.
Aber von hohem Wert ift die formal fo außerordentlich glückliche Geftaltung des Mo-
tivs, wie durch das enge Anfchmiegen des Kindes an die Mutter diefe einheitlich
gefchloffene Silhouette der Gruppe entfteht, und wie, obwohl das kauernde Sißen des
Kindes das Kubifche des Körpers ftark herausarbeitet, doch der Zufammenhang in der
Fläche durchaus gewahrt bleibt. Troßdem die Gruppe zwifchen der Baluftrade und der
geraden Rückwand der Architektur durchaus reliefmäßig angeordnet ift, find die Ge-
walten weit von primitiver körperlofer Flachheit entfernt, vielmehr laffen die troß der
Zartheit der Übergänge energifchen Licht- und Schattenkontrafte, befonders beim Kind,
fie in runder Körperlichkeit erfcheinen. Die reliefmäßige Anordnung vor der gefchloffenen
Fläche der Rückwand erfcheint fo als ein ficher angewandtes Kunftmittel zur Beruhi-
gung des Eindrucks, kann aber wiederum in Verbindung mit dem Streben nach voller
Körperlichkeit als Zeichen eines Übergangsftiles aufgefaßt werden.

Diefer Eindruck wird noch durch die farbige Haltung unterftüßt, die gebrochene
Töne bevorzugt und fie harmonifch verbindet. Der allgemeine Farbeneindruck wird
von den außerordentlich fein nuancierten Fleifchtönen beftimmt, die in zarten Übergängen
von Gelblich im Licht mit leicht ins Lila gehenden Schatten [ich zu zartem lichten Rofa

Der Cicerone, IV. Jahrg., 8. Heft. 22

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