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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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Ausstellungen
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AUSSTELLUNGEN

AUSSTELLUNGEN

PARISER FRÜHJÄHRSSHISON Als

die erfte der großen Bilderrevuen hat der
28. Salon des INDEPENDANTS [eine Pforten
geöffnet. Diefe Kampfausftellung vergangener
Jahre ift heute zur halb montparnaffifchen, halb
kleinbürgerlichen Senfation geworden. Zum ge-
ringftenTeil — fchäßen wir ein Viertel! — künft-
lerifche Senfation; im übrigen ift fie ein Docu-
ment humain ganz befonderer Art. Entzückend
als naive Schauftellung der menfchlichen Eitel-
keit; abftoßend durch den Mangel an felbft-
kritifchen Hemmungen, den fie in erfchreckender
Weife verrät; erftaunlich immerhin als Kund-
gebung einer unbeirrten Aktivität, wie fie am
Ende doch nur in Paris möglich ift, wo die
Kunft noch lebendig wirkt, auf Berufene und
Unberufene. Zur Societe des Artistes indepen-
dants gehört bekanntlich, wer feine 25 Francs
Pla^miete bezahlt. 3600 Einfendungen haben
die gaftlichen Bedingungen diesmal angelockt —
etwas weniger als im Vorjahr; dem Triumph-
zug bemalter Leinwände ift auch diesmal auf
dem weftlichen Quai d’Orfay die kilometerlange
Zeltbaracke angemeffen worden. Eine Hänge-
kommiffion verfucht einigermaßen zu gruppieren.
Was von Gott verlaßen ift, wird in die vordem
Säle verwiefen: Guarda e passa! Hier ift der
neckifche Farceur anderer Jahre diesmal leider
fchlecht vertreten. Die Flucht des Hauptmanns
Lux aus einem fagenhaften Schloß von Outre-
Rhin verdient immerhin erwähnt zu werden vor
vaterländifch auf die Trikolore abgeftimmtem
Himmel (zu rot-weiß-blauem Rahmen). Wir
übergehen, was fonft uns hier umgibt und durch
etwa fünfzehn Säle unfern eiligen Schritt be-
gleitet: beglückende Befchäftigung nimmermüder
Privatiere, Hausinduftrie, Akademiearbeiten, rou-
tinierte Meifterfchaft, die wie ein Stück neuerer
Kunftgefchichte von den Wänden grinft, all’ die
umfangreiche und eitle Betätigung der Talent-
lofen, nicht Folie, fondern allzu verwirrend für
die Erkenntnis der wenigen tüchtigen Bilder,
die hier verftreut find. Etwa zur Hälfte des
Weges entbrennt der Kampf um die Kunft.
Scheinbar zur Gruppe vereinigt, doch in ihrer
Qualität fehr verfchieden begegnen uns be-
fonders zahlreich und prätentiös die Künftler,
die nach dem allgemeinen Rezept des „Cubisme“
arbeiten. Das Für und Wider der Befucher der
vernissage führte wiederum wie erft kürzlich in
der Ausftellung der Futuriften zu Handgreiflich-
keiten. Der Kubismus hat momentan eine gute
Konjunktur. Zu den Verteidigern diefer Kunft,
Allard, Appollinaire, Salmon und Hourcade, die
jüngft durch anonyme Zirkulare und tätlich an-

gegriffen wurden, was der Sache natürlich zu-
ftatten kam, gefeilt [ich neuerdings GuftaveKahn,
der im ehrwürdigen Mercure de France den
Kubismus verteidigt. Wenn ein fchlichter Sterb-
licher verfucht, fich aus den Auffä^en diefer Vor-
kämpfer über den Kubismus zu unterrichten, fo
kann er den mehr oder minder emphatifchen
Elogen entnehmen, daß der eine der Kubiften
von michelangelesker Kraft ift, der andere Pouffin
und Raffael weit hinter [ich läßt, ein dritter Werke
fchafft, wie fie die Welt feit Orcagna nicht fah.
Einzig und allein Theodore Riviere hat mit ein-
dringendem Verftändnis diefe neue Kunft zu er-
klären verfucht. Und er kommt als einer, der
[ich nicht düpieren läßt, als einer, der nicht in
etwas Fremdes und Unverftändliches feine eigene
Myftik hineingeheimnift, infofern zu einem ab-
lehnenden Refultat, als er in dem künftlerifchen
Ergebnis, das uns vor Augen hängt, nicht die
erhoffte Antwort auf theoretifch geftellte Pro-
bleme erkennt, als er das Wollen der Künftler
als wertvoll und gefund, ihre Bilder als fchwach
beurteilt. Das ä la mode-Schlagwort ift von einem
befonderen Äusdrucksmittel der fehr berechtigten
Verfuche neuerer abgeleitet, die endlofe Analyfe
des Impreffionismus wieder durch eine intuitive
Interpretation der Umwelt zu erfe^en; es paßt
nun nicht mehr zu den transfzendentalen Spe-
kulationen, die heute die Haupttendenz über-
winderifcher Sehnfucht bilden. (Man erweckt
diefe jeßt in Parifer Malfchulen z. B. unter der
Leitung le Fauconniers. Exempla docent, daß
es offenbar leichter geht, ein Nachfolger Kan-
dinskys zu werden, als die Fähigkeit eines tüch-
tigen Kitfchmalers zu erlangen.)

Der Begriff des Kubismus fcheint verwandt
zu fein mit plaftifcher Wirkung. Neue Wege
auf denen fich die franzöfifche Bildhauerei von
der Modelleurkunft Rodins nun wieder zur Sta-
tuarik zurückfindet, waren vielleicht anregend,
jedenfalls von Einfluß auf die Kunft Matiffes,
Picaffos. Der Bildhauer Archipenko denkt den
Gedanken der Vereinfachung mit aller Konfequenz
zu Ende; indem er „im Kampf mit dem Kubi-
fchen“ zu neuartiger, der Natur fremder Formen-
gebung gelangt, hat er eine kauernde Figur
gefchaffen, die zum mindeften dekorativ reiz-
voll wirkt. Die kompofitionelle Wirkung ift
denn auch bei den Malereien diefer Neuerer
ein Hauptreiz. Man wird nicht im Unklaren
bleiben über die Abficht eines Bildes wie Du-
fresnays Artillerie oder Lhotes Synthefe der
nordfranzöfifchen Landfchaft. Ebenfo halten
wir die Kompofitionen der Marie Laurencin,
der Berthe Morifot diefes Kreifes, die einen
fchmächtigen Jungmädchentypus zuhübfch beweg-
ten Reigen gruppiert, für intereffanter, als die all

Der Cicerone, IV. Jahrg., 10. Heft. 29

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