Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

DOI Heft:
18. Heft
DOI Artikel:
Rosenhagen, Hans: Wilhelm Leibl und sein Kreis
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0727

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
WILHELM LEIBL UND SEIN KREIS

Mit 11 Abbildungen, davon zwei auf je einer Tafel Von HÄNS ROSENHÄGEN

Die Überflutung der deutfchen Kunftfammlungen mit Schöpfungen der franzöfifchen
Kunft aus dem lebten Drittel des vergangenen Jahrhunderts hat, trot^ aller Be-
denken, die dagegen geäußert worden find, etwas unzweifelhaft Gutes geftiftet: Eine
gerechtere und richtigere Wertung der beften deutfchen Kunft aus der gleichen Zeit.
Diefe kommt nicht nur darin zum Ausdruck, daß die Kunftwiffenfchaft das bisher völlig
vernachläffigte Gebiet der neueren deutfchen Kunft kräftig zu bearbeiten beginnt,
fondern auch in der Tatfache, daß der Kunfthandel aufgehört hat, die Dinge gehen zu
laffen, wie fie wollen. Nach franzöfifchem Vorbilde fucht er fich in den Befitj des
Materials zu fe^en, um es im geeigneten Augenblick herauszubringen, nach franzöfi-
fchen Muftern entzieht er die Preisbildung den Zufälligkeiten des Marktes und neuer-
dings zeigt er fogar das Beftreben, die hohen Summen, die in Deutfchland für nicht
immer einwandfreie franzöfifche Leiftungen gezahlt worden find, auch für Meifterwerke
der deutfchen Kunft zu erzielen. Das gefchieht alles mit um fo größerem Erfolge als
das Material nicht eben groß ift und zum Teil erft wirklich entdeckt werden muß.
Mit einer gewiffen Berechtigung hat man zunächft jene Periode der Münchner Malerei
bevorzugt, über der Wilhelm Leibis glorreicher Name leuchtet; denn in der Tat: Seit
dem 16. Jahrhundert hat die deutfche Malerei Befferes nicht hervorgebracht. Es
läßt fich nicht ausdenken, welche großartige Entwicklung fie hätte nehmen, welche
internationale Bedeutung fie hätte erlangen können, wenn ihr rechtzeitig die Beachtung
zuteil geworden wäre, die ihr jet$t zugewendet wird.

Ohne Zweifel ift Leibi in reinmalerifchem Sinne die größte Begabung, die Deutfch-
land im 19. Jahrhundert gefehen hat. Das Außerordentliche feiner Kunft fpricht fich
vielleicht am finnfälligften darin aus, daß jede kleinfte Fläche, jeder Ausfchnitt, jedes
Fragment feiner Bilder, genau wie der ärmfte Überreft einer griechifchen Skulptur,
eine deutliche Vorftellung von der unerhörten Höhe der gefamten urfprünglichen
Leiftung gibt. Bis ins letzte fuchte er den malerifchen Reiz der Wirklichkeit zu faffen
und zur Darftellung zu bringen, und weil zur Erreichung diefes Zieles die voll-
kommenfte Beherrfchung des malerifchen Handwerks unerläßlich ift, mußte er eben
der große Techniker werden, als der er die Bewunderung der Mit- und Nachwelt er-
rungen hat. Köftliche Zeugniffe in diefer Richtung bilden wieder die im Befitj der
Berliner Kunfthandlung Karl Haberftock befindlichen Hände des Rembrandtdeutfchen,
des Kunfthiftorikers Langbehn, von denen die rechte fich zurzeit in der Ausftellung der
Münchner Sezeffion befindet, während die linke mit den übrigen hier erwähnten
Bildern Leibis und der Maler aus feinem Kreife in dem neuen prächtigen Heim der
Kunfthandlung in der Bellevue-Straße 15 glänzt. Das Bildnis des fixenden und die
beiden Hände auf den Knien haltenden Langbehn war das erfte in Tempera her-
geftellte Gemälde Leibis. Leider ift das Porträt zerfchnitten worden, einmal aus dem
Grunde, weil dem Maler die Arme des Freundes zu lang geraten fchienen, fodann
weil Leibi in dem ungeduldigen Verlangen, die Wirkung der Tempera zu fehen, das
Bild felbft gefirnißt hatte und dabei fo verfchwenderifch mit dem harzigen Lack um-
gegangen war, daß die Arbeit dadurch ftellenweife verdorben wurde. Der Künftler
hat in dem Bildniffe Langbehns eine feiner individuellften Leiftungen gefchaffen. Wie
finnfällig beweifen das gerade diefe Hände! Auch ohne daß man wüßte, wem fie
gehörten, würde man fie als die einer geiftig hochftehenden, feinfinnigen, nervöfen
Perfönlichkeit, als nicht alltägliche Hände unmittelbar erkennen. Und die lockere,

Der Cicerone, IV. Jahrg., 18. Heft. 51

689
 
Annotationen