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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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20. Heft
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Gebhardt, Carl: Die Neuerwerbungen französischer Malerei im Städelschen Kunstinstitut zu Frankfurt a. M.
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0803

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DIE NEUERWERBUNGEN FRANZÖSI-
SCHER MALEREI IM STÄDELSCHEN
KUNSTINSTITUT ZU FRANKFURT a. M.

Mit 8 Abbildungen Von CARL GEBHARDT

Man hat in neuerer Zeit und befonders im lebten Jahre die Frage aufgeworfen,
wie weit unfere deutfchen Mufeen der modernen ausländifchen Kunft gegenüber
den Kreis ihrer Sammeltätigkeit begrenzen müßten, ob fie überhaupt berechtigt feien,
einen Teil der ihnen zur Verfügung ftehenden Mittel zum Ankäufe zeitgenöffifcher
ausländifcher Werke zu verwenden und ob fie nicht durch einen folchen Ankauf der
heimifchen Kunft Schaden und Unrecht zufügten. Die Frage erledigt fich für jeden von
felbft, der fich über die Aufgabe und das Wefen der Mufeen überhaupt klar geworden
ift; denn er weiß, daß das Mufeum fich zur modernen ausländifchen Kunft nicht
anders zu verhalten hat als zu jeder Kunft. Das Mufeum will nicht der Wiffen-
fchaft als einem antiquarifchen Intereffe, fondern dem Leben dienen. Darum foll
es die Kunftwerke in feiner Sammlung vereinigen, die die eigentlichen Lebenswerte
der Kunft darftellen. Das ift nicht gleichbedeutend mit der Forderung prinzipieller
Lückenlofigkeit, wie fie die philateliftifche oder numismatifche Sammlung erhebt. Viel-
mehr fpricht fich darin die Tatfache aus, daß es Kunftfchöpfungen von zweierlei
Art gibt. Die einen find folche Werke, wie fie die Zeit hervorbringt, um ihrem
Bedürfniffe nach religiöfer Erbauung, nach Dekoration, nach Porträtfchilderung zu ge-
nügen. Die andern Werke aber find die tiefften Offenbarungen des Zeitgeiftes, der
in einem großen Menfchen feinen Künder gefunden hat. In diefen Werken und nur
in diefen liegt das organifche Leben der Kunft, in ihnen vollzieht fich die künft-
lerifche Entwicklung. In der Kunft ift ja der Künftler Gefeßgeber. Diefe Gefet^e

liegen in jenen großen Werken, die gleichfam die Prärogativen Inftanzen der gefamten
Kunft einer Zeitperiode darftellen. Die Mufeen aber find die Gefetjesfammlungen der
Kunft. Unter diefem Gefichtspunkt ift für ein Mufeum alles das toter Befitj, was nicht
eben das Leben der Kunft, ihre lebendige Fortentwicklung in einer beftimmten, ein-
maligen Ausprägung zum Ausdruck bringt. Nicht Dokumente des Zeitftiles, wie die
kunftgewerbliche Sammlung, fondern Manifeftationen letzter, höchfter Kunftgefe^mäßig-
keit füllen unfere Mufeen enthalten.

Als eine der erften deutfchen Sammlungen hat das Städelfche Inftitut (bzw. die
ihm angegliederte, nur aus verwaltungstechnifchen Gründen von ihm unterfchiedene
ftädtifche Galerie) die Aufgabe ergriffen, auch die franzöfifche Malerei als die Hüterin
der großen Kunfttradition im 19. Jahrhundert in feiner Sammlung zur Darftellung zu
bringen. Und mit glücklichem Griffe hat fich Direktor Swarzenski gleich einer Reihe
bedeutfamer Werke verfichert, die in ihrer Mannigfaltigkeit die verfchiedenen Entwick-
lungstendenzen der franzöfifchen Malerei überfichtlich zur Darftellung bringen.

Die erfte diefer Stiltendenzen, die nach der größten Intenfität des Ausdrucks ftrebt
und fich der fuggeftiven Gefte, der vertieften, gefteigerten Farbigkeit bedient, ift jet^t
durch Delacroix’ Araber im Städel vertreten (Abb. 1). Diefes Bild, das der Fantafia
des Mufeums in Montpellier und der Skizze der Sammlung Moreau-Nelaton nahefteht,
entftammt der Zeit, da Delacroix im Orient den Mut einer reinen, ungebrochenen
Farbe gewann. Seine ganze Leidenfchaftlichkeit lebt in diefer zufammengeballten, in
rafender Eile dahinftürmenden Reitermaffe; aber die ganze Dramatik diefes Bildes ift
vergeffen, fobald der Blick fich vollgefogen hat von diefer Farbe, diefem Zufammen-

Der Cicerone, IV. Jahrg., 20. Heft. 57

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