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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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8. Heft
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Biermann, Georg: Die Ausstellung der Berliner Sezession 1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0335

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DIE ÄUSSTELLUNG DER BERLINER SE-
ZESSION 1912

Wenn die Jahresausftellungen im allgemeinen Wertmeffer des jeweilgen Kunft-
fchaffens find, dann geftattet die der heurigen Berliner Sezeffion den Schluß auf
eine zielbewußte und logifche Vorwärtsentwicklung der deutfchen Moderne, zunächft
nach der Seite des rein Malerifchen. Vor der Bewältigung der koloriftifchen Probleme
ift das eigentliche Motiv (vom Bildinhalt ganz zu fchweigen) faft völlig in den Hinter-
grund getreten. Und beinahe unverkennbar drängt [ich dem Beobachter daneben die
Feftftellung auf, daß es überall zwei fcharf markierte Tendenzen find, die fich im
Suchen der Jungen und Jüngften diefer fortfchrittlich geftimmten Kunftrichtung be-
gegnen: Auf der einen Seite die Malerei um ihrer felbft willen, mit dem bewußten
Verlangen, mit immer ftärker reduzierten Mitteln die nachhaltigfte Harmonifierung
von Licht und Farbe zu erreichen, auf der anderen Seite dagegen das Bemühen, die
Fläche auf rein kompofitionellen Grundlagen durch eine monumental-dekorativ ge-
ftimmte Note zu füllen. Beide Tendenzen berühren fich in ihrem Streben infofern, als
hier wie dort das an fich richtige Prinzip des ,,1’art pour hart“ zur Geltung kommt
und während die Ergebniffe der erftgenannten Richtung fchon heute auf Schritt und
Tritt die fchönften Refultate bedeuten, liegt in dem Suchen der rein zeichnerifch-
monumental gedachten Flächenkunft ein Verfprechen an die Zukunft, das eines Tages
trofe aller Paradoxe und Modetorheiten, die als Durchgangsftationen garnicht zu um-
gehen find, feine Erfüllung haben muß.

Wer aber unter folchen Gefichtspunkten die Äusftellung der Berliner Sezeffion
durchmuftert, gewinnt ohne Zweifel einen ebenfo nachhaltigen wie erfreulichen Ein-
druck aus dem, was die junge deutfche Kunft diesmal bereit hält. Die Äusftellung ift
qualitativ eine der beften, die man an diefer Stelle feit vielen Jahren fehen konnte.
Sie wirkt auch dort, wo man mit Bewußtfein dem Verlangen nach „fenfationellen Ent-
hüllungen“ Rechnung getragen hat, immer noch belebend, weil erft an folchen Gegen-
fät^en krankhafter Outriertheit das Gefunde und Lebensftarke des allgemeinen Schaffens
augenfällg wird. Und auch die an diefer Stelle immer gern bereitgehaltenen Ver-
gleichsmomente mit dem Ausland find fo, daß das Schaffen der deutfchen Künftler
nur noch intenfiver vor unfer Bewußtfein tritt, obgleich hier wie dort mannigfache
Berührungen klar werden. Faft fymptomatifch ftehen Leibi (mit dem Meifterporträt
der Gräfin Treuberg aus den fiebziger Jahren) und der ihm wefensverwandte Theodor
Ält neben van Gogh (von dem u. a. die berühmte „Ärlefienne“ gezeigt wird, diefe
Symphonie von Gelb und Blau, die unerhört ift) als grundverfchiedene malerifche
Wefenseinheiten, von denen die eine fo fruchtbar geworden ift wie die andere. Sie
geben den Auftakt zu dem übrigen, was ringsumher an den Wänden verteilt hängt.
Sie führen in fein erkennbarer pfychologifcher Vertiefung felbft zu dem kleinen Kreis
der Ausländer hin, die überragend nirgends in die Erfcheinung treten. So hat man
den Norweger Werenskiold anderswo viel beffer gefehen; unter den Dänen, die be-
fonders gaftlich empfangen wurden, ift Willumfen die einzige Note von größerer
Prägnanz und auch feine Sevillaner Reminiszenzen laffen nur erkennen, wie die
fpanifche Landfchaft durch ein durchaus nordifches Temperament gefehen wurde. Weit
nachhaltiger fpricht der Franzofe Kramftyk mit zwei an Manet gewachsenen Bild-
niffen an, während Marguet und Manguin gegenüber Picaffo, Herbin, Othon
Friefz und dem im lebten doch ungemein dilettantifchen Henri Rouffeau, die immer
nur Expementierer find, fchon zu beachtenswerter Reife vorangefchritten find. Auch der

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