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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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20. Heft
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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0820

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AUSSTELLUNGEN

AUSSTELLUNGEN

ZWEI POLNISCHE BILDNISMINIÄ-
TUREN-ÄUSSTELLUNGEN Im Laufe
des Sommers fanden faft gleichzeitig in Lemberg
und Warfchau höchft intereffante Äusftellungen
von Porträtminiaturen aus polnifchen Privat-
fammlungen ftatt. Als erfte größere Schauftel-
lungen in diefer Richtung verdienen fie befondere
Beachtung, da hier ein reiches, zum großen Teil
wenig bekanntes Material zufammengebradit
war, das in den Hauptzügen ein Bild der Ent-
wicklung diefes Kunftzweigs in Polen darbot.
Den Änftoß zur Lemberger Äusftellung gab der
Vorfreude des dort unlängft gegründeten
„Sammler-Zirkels“, Herr St. Zarewicz, ihr
Zuftandekommen war in erfter Reihe den Be-
mühungen der Fürftin Andreas Lubomirska
zu verdanken, welche vor einigen Jahren in
Lemberg die erfolgreiche Äusftellung alter
Meifter arrangiert hatte. Die Warfchauer Äus-
ftellung, die außer Miniaturbildniffen und Sil-
houetten, auch Stickereien und Webereien pol-
nifchen Urfprungs umfaßte, wurde von der dor-
tigen „Gefellfchaft zum Schule der Denkmäler
der Vergangenheit“ zur Einweihung ihres neuen
eignen Heims veranftaltet. Letzteres befteht, wie
bereits hier früher berichtet, in einem ftilvollen
alten Patrizierhaus und ift nunmehr mit feinen
fchönen Räumen und dekorativem Holztreppen-
haus den Zielen der Gefellfchaft fehr glücklich
angepaßt worden.

Zufammen enthielten beide Äusftellungen,
deren Refultate in fachlich bearbeiteten, illu-
ftrierten Katalogen1 feftgehalten find, über 2000
Bildnisminiaturen polnifcher und fremdländifcher
Künftler. Es befanden [ich darunter auch Werke
erfter Meifter, wie Äuguftin, Ifabey, Smart,
Hau und, wie vorauszufehen war, befonders
viele Porträts der Wiener Miniaturiftenfchule,
als Füger, Daffinger, Peter, Saar, Theer
und Ender, was fich durch die nahen Be-
ziehungen der polnifchen Äriftokratie Galiziens
zu der öfterreichifdien Kaiferftadt leicht erklärt.
Aber natürlich konzentrierte fich das Intereffe

1 1. „Wystawa Miniatur i Sylwetek we Lwo-
wie 1912“, bearbeitet von Dr. W. Bachowski und Dr. M.
Treter, mit einem Vorwort des erftern fowie 20 farbigen
und 85 einfarbigen Äbbildungen. Lemberg 1912, bei
Gubrinowicz & Sohn.

2. „Miniatury polskie, Tkaniny a Hafty“, mit
einem Vorwort von Zenon Przesmycki und Kanonikus
W. Gorzynski, fowie 126 Abbildungen. Warfchau 1912,
Verlag cer „Gefellfchaft zum Schule der Denkmäler der
Vergangenheit“. Befonders fei auf den Auffaß von
Przesmycki hingewiefen, der zum erftenmal eine gründ-
lich erfaßte Skizze der polnifchen Bildnisminiatur entwirft,
und viele Angaben cLr bisherigen Literatur, u. a. in den
Werken von Ernft Lemberger, korrigiert.

der Äusftellungen nicht auf diefe bekannten und
anerkannten Namen, fondern in der Gruppe
polnifcher und in Polen tätig gewefener Minia-
turkünftler, deren Regifter fich hier um einige
neue Namen bereichert hat.

In ihren Hauptmomenten präfentiert fich die
Bildnisminiatur in Polen folgendermaßen. Der
eigentliche Entwicklungsgang beginnt um die
Mitte des 18. Jahrhunderts, als zur Zeit der
fächfifchen Kurfürften und polnifchen Könige
Äuguft II. und Äuguft III. eine Reihe Künftler
fich von Dresden in Warfchau anfiedelt, fo Jo-
hann Samuel Mock, Karl Bechon, deffen
Ruhm zum Teil auf den Verdienften feines
Sohnes, J. Bechon, beruht, und hauptfächlich
Marcello Bacciarelli, der die Dresdner Mi-
niaturiftin Friederike Richterin geheiratet
hatte. Aus der Schule Bocciarellis, des Hof-
malers des leßten polnifchen Königs, fowie des
ebenfalls nach Polen berufenen Franzofen Jean
Pierre Norblin de la Gourdoine — außer-
dem ift auch der bedeutende Einfluß Graffis
in Betracht zu ziehen — entwickelt fich alsdann
eine ganze Gruppe autochthoner Künftler, wie
Äl. Orlowski, der auch als Radierer bekannte
M. Pionski, J. Kofinski, der fpätere Wilnaer
Profeffor Jan Ruftern und last not least Vin-
cent de Leffeur fowie der Äftronom Jofef
Lenski. Als letzter Sproß diefer Schule ift
Stanislaw Marszalkiewicz (1789—1872) zu
nennen, von dem die Warfchauer Äusftellung
ca. 70 Werke zufammengebracht hatte und deffen
tüchtiges Talent hier zum erftenmal fo er-
fchöpfend zum Vorfchein kam. Von den er-
wähnten Warfchauer Miniaturiften führen Zweig-
linien zu einzelnen, wenig bedeutenden Künftlern
in der Provinz.

In Krakau ift hauptfächlich der dort feit 1825
tätige Jofef Sonntag zu nennen. Von dem
fonft wenig intereffanten Jan N. Glowacki,
der mit Emmanuel Peter befreundet war, war
in Lemberg ein reizendes Frauenporträt zu fehen.

In Lemberg fpielen ebenfalls zwei Ausländer,
der Württemberger Karl Schweikert und der
Fügerjünger Michael Weixlbaum, die erfte
Rolle, und an fie reihen fich u.a. Aloizy Rejchan,
Haar, Laub, Niewiarowicz an. Eine Über-
rafchung brachte die Lemberger Äusftellung in
der Perfon des hier bisher ganz unbekannten
Ungarn Ä. v. Medvey, deffen Arbeiten, ebenfo
wie die feines Landsmanns M. Barabäs, Be-
achtung verdienen. Es intereffierten dort noch
lebhaft ein fchönes Porträt des Sultans Äbdul
Äzis von de|jen Hofmaler Stan. Chlebowski,
fowie die ganz modernen Miniaturbildniffe der
Madame M. Chybinska aus Krakau, die eine
eigene Note aufweifen. P. E.

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