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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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2. Heft
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Ehrenberg, Hermann: Solimena
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0086

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SOLIMENA

beftimmten Richtung feftgelegt haben, fieht man an dem wertvollen Buche von Wilhelm
Rolfs über die Gefchichte der Malerei Neapels (Leipzig 1910). Rolfs hat das Verdienft,
uns die Neapolitaner Malerfchule wieder nahe gebracht zu haben. Er begeiftert [ich
für feinen Gegenftand und weiß viel Gutes darüber zu fchreiben. Äber die Eigen-
fchaften Solimenas, das große Pathos und der hinreißende Schwung, die farben-
leuchtende Kompofition, find ihm in ihrer vollen Schönheit und Bedeutung nicht auf-
gegangen. Er betont vielleicht zu ftark die virtuofenhafte Mache, die unzweifelhaft
ihm eigen war, von der jedoch auch Rubens und fo mancher andere große Künftler
in feinem fpäteren Werkftättenbetrieb nicht freizufprechen ift.

Ich glaube, wir haben in Solimena einen Künftler von ftarker Phantafie und Ge-
ftaltungskraft und einem ungewöhnlichen technifchen Können vor uns, und ich bin
hierin beftärkt worden durch ein Bild, das aus der Sammlung einer italienifchen
Fürftenfamilie aufgetaucht ift und umftehend abgebildet wird. Der Stufenbau als
Grundlage der Kompofition ift charakteriftifch für die damalige Malerei. Äber die fein-
finnige Abwägung und Verteilung der Maffen, die trotj all der wogenden Unruhe in
rhythmifches Gleichgewicht gebracht find und wie aus einem Guß vor uns erfcheinen,
und dazu die fichere Zeichnung und das prächtige Kolorit verleihen dem Werke eine
hohe künftlerifche Bedeutung. Es erinnert etwa an Solimenas Marter der Familie
Giuftiniani (Neapel, Nationalmufeum). Die Kopftypen, die Gewandfalten, die eigen-
tümliche ftarke Herausbauchung des Daumenballens, der fog. Maus, die Gebärden-
fprache, die Engel, die gelegentlichen filbrigen und rofa Töne, alles ift echt Solimena.
Auch eine Art künftlerifcher Marke oder Monogramms findet fich: das graublaue, ge-
fchweifte und gebuckelte Prunkgefäß, ganz rechts. Es kehrt genau fo wieder auf dem
großen Solimena, den der Fürft Spada in feiner prächtigen Galerie in Rom befi^t, die
der glückliche Befißer wegen feiner Abneigung gegen alles moderne Schreibwerk leider
nur in ganz befonderen, dafür um fo dankbarer empfundenen Äusnahmefällen zu-
gänglich macht.

Beachtenswert noch ift die Verwandtfchaft des hier vorgeführten Bildes mit einem
Entwurf für eine Himmelfahrt Mariä von dem begabteften und bekannteften Schüler
Solimenas, Francesco di Mura oder Franceschiello (Neapel, Nationalmufeum). Die
Ähnlichkeit ift teilweife ganz frappant, und da es bekannt ift, daß Franceschiello mehr-
fach Bilder des Meifters nachgeahmt hat, fo war ich zeitweilig geneigt, ihm unfer Ge-
mälde zuzufchreiben. Aber fo weit ich Franceschiello kenne, ift er lockerer im Aufbau
und viel heller in der mitunter geradezu weißlichen Farbe, und die ornamentalen Ein-
zelheiten (Altar und Vafe) fcheinen mehr einer bereits fortgefchritteneren Zeit anzu-
gehören, als derjenigen Solimenas. Man könnte Solimena einen Barock-, Franceschiello
einen Rokokokünftler nennen. Und man wird vielleicht in dem hier abgebildeten
Gemälde das Urbild fehen können, aus dem Franceschiello die Anregung zu feinem
Entwürfe entlehnt hat.

Namhafte Sammlungen, wie die Albertina in Wien und die Galerie Corfini in Rom,
haben feit kurzem begonnen, italienifche Kunft des Seicento und Settecento zu fammeln.
Eine Reihe von zum Teil wertvollen Veröffentlichungen über diefe lang vernachläffigte
Periode der Kunftgefchichte liegt dem deutfchen Leferkreis bereits vor, verfchiedene
deutfche Kunftgelehrte durchftreifen zurzeit Süd- und Mittelitalien, um neue Funde zu
machen. Vielleicht trägt auch diefer befcheidene Beitrag dazu bei, die Äufmerkfamkeit
weiterer Kreife auf das hier berührte Gebiet der Kunft zu lenken.

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