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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0090

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AUSSTELLUNGEN

Die recht ftattliche Ältmeifterabteilung wird
durch einen vornehmen Reynoldsfaal eingeleitet,
mit dem die Äcademy [ich offenbar felber ehren
wollte. Man fieht hier in guter Aufmachung —
auf die ift diesmal überhaupt viel Mühe ver-
wandt worden und zwar mit erfreulichem Re-
fultat — einige Repliken fehr bekannter Bilder
des erften Academypräfidenten, vor allem das des
Dr. Johnfon. Acht Öltafeln ftellen die Vorlagen
zu Glasfenftern für das New College, Oxford
dar. Auf einer derfelben hat fidi Reynolds felber
als anbetender Hirte abgebildet. Diefe Tafeln
verraten die völlige Unkenntnis der Kunft der
Glasmalerei und ihrer Prinzipien. Reynolds fah
in ihr nichts anderes als eine Malerei in an-
derem Material, die auf den gleichen Grund-
falben beruhe wie die Wandmalerei. Für ihn
waren Glasmalereien einfach durchfichtige Ge-
mälde.

Im nächften Saale befindet fich der Clou der
Ausftellung, wenigftens vom kunfthiftorifchen
Standpunkt aus, nämlich der neu entdeckte
Giovanni Bellini: „St. Franciscus in der Wüfte“.
Das Bild ift zum lebten Male auf der bekannten
Manchefter Ausftellung in 1857 öffentlich aus-
geftellt gewefen. Damals gehörte es einem
Captain Dingwal!. Dann verfchwand es. Ein
Mr. Thomas Holloway kaufte es, ohne feinen
Wert zu kennen, bis Mr. Langton Douglas es
vor einigen Jahren zu Geficht bekam und feine
künftlerifche wie kunfthiftorifche Bedeutung feft-
ftellte. Der „Anonimo Veneziano“ fah das Bild
im Haufe des Meffr. Taddeo Contarini in 1525
und bejchreibt es wie folgt: „Das Ölgemälde
auf Holz, den Heiligen Franz in der Wüfte dar-
ftellend, ift von Giovanni Bellini. Es war für
Meffr. Giovanni Michiel begonnen und hat im
Vordergrund eine wunderbar ausgeführte und
fein durchgearbeitete Landfchaft.“ Bellinis Sig-
natur „Joannes Bellinus“ ift auf einem Baum-
ftumpf angebracht. Das Bild zeigt den Heiligen
Franz, der fchon die Wundmale trägt, wie er
eben aus einer Art felbftgebauten Hütte mit
Lefepult ufw. herausgetreten ift und fein aske-
tifch-leidenfchaftliches Geficht mit den fcharfen
Zügen und den tiefliegenden, brennenden Augen
gen Himmel richtet. Um ihn befindet fidi jene
Landfchaft; Felfen fteigen rechts auf, links fenkt
fich ein Tal nach dem Mittelgrund zu ab. Allerlei
Getier treibt fein Wefen, ein Efel, ein Kranich;
die ganze Natur lebt. Aber feltfamerweife ift
der Heilige Franz, der Naturmyftiker, der Bruder
aller Wefen, der lebenden wie unbelebten, wie
entrückt dieferWelt gefchildert, wie einer jener
Mönche, die die Welt als eine Stätte des Jammers
und der Verfuchung fliehen. In Bellini felber
aber lebte die Liebe zur Natur. Er erfreut fich

an ihr wie an einer neuen Eroberung, häuft
Zug auf Zug, läßt über die Wälle einer nord-
italienifchen Stadt im Hintergrund das Sonnen-
licht, vielleicht zum erftenmal in der italienifchen
Malerei, fpielen, führt eine friedliche Schafherde
mit ihrem Hirten das Tal im Mittelgründe ent-
lang, jauchzt förmlich auf in der freien, endlich
in Befiß genommenen, fchwer erkämpften Natur,
fühlt fich fo felber als Heiliger Franz, und [teilt
diefen doch, als repräfentierte er, ach, die zweite
Seele in feiner Bruft, außerhalb all der Schöne
und Wunderherrlicbkeit. Die Intenfität des Ge-
fühls, die unbewußt Rhythmus und Takt ver-
leiht, gibt dem Bilde troß der vielen realiftifchen
Einzelzüge eine wunderbare Stileinheit; nur
eben wollen Thema und Darftellungsart des
Heiligen felber nicht zufammengehen. Das Bild
kam 1852 im Buchananverkauf unter den Hammer
und brachte £ 735. Was es jeßt koften würde,
ift gar nicht abzufchäßen, troßdem es da und
dort ein wenig gelitten hat und die Farben
teilweife recht verblichen find.

Von anderen Werken von befonderer Be-
deutung feien noch hervorgehoben: mehrere
Rembrandts, von denen einige zwar ficher nur
Schülerarbeiten find, ein Heiliger Georg der
fchwäbifchen Schule, Zeitblom naheftehend, ein
auderer Heiliger Georg, der als Giorgione be-
zeichnet wird; eine Kreuzesabnahme von Ge-
rard David; eine dem Mantegna (Frühzeit) zu-
gewiefene „Anbetung der Hirten“ und eine
wenigftens teilweife von Botticelli felber ftam-
mende Madonna mit Kind; fodann ein wohl
von Del Maro herrührendes, hier als Velasquez
bezeichnetes lebensvolles und vornehmes „Por-
trät eines fpanifchen Edelmannes“; Van Dycks
bekanntes Porträt des Sir Kenelm Digby mit
einer Sonnenblume und ein ihm zugefchriebenes
kleines Porträt des Earl of Wicklow; ein Por-
trät des Earl von Southampton von Rubens
und eine Heilige Familie von demfelben Melfter
und zwei Caravaggios. Unter den Gemälden
der englifchen Schule ragen ein paar Hogarths,
vor allem das Porträt der Miß Mary Edwards,
und Gainsboroughs „Hon. Edward Bouverie“,
in feinem blauen Anzug an den berühmten
„Blue Boy“ erinnernd, hervor.

Mr. Roger Fry, der Vorkämpfer der Gau-
guin, Van Gogh und anderer hier als „Poft-
impreffioniften“ bezeichneten und mit Hohn und
Spott bekämpften Neuerer, [teilt eine größere
Kollektion eigener Werke im SAAL DES AL-
PINE CLUB aus und beweift in ihnen, daß er
fich den Geift diefer Künftler und ihr Äuge zu
eigen gemacht hat. Wie um zu zeigen, daß
diefe den „Impreffionismus“ und feine auflöfende
Darftellung bekämpfende Richtung doch auch

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