Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0404
DOI issue:
10. Heft
DOI article:Karlinger, Hans: Die Neuerwerbungen des bayerischen National-Museums im Jahre 1911
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0404
NEUERWERBUNGEN DES BAYERISCHEN NATIONAL-MUSEUMS IM JAHRE 1911
Bayern gegiftet. Eine einfachere,
in den Proportionen [ehr hübfche
quatrozentiftifche Intarfientruhe ge-
langte in das Mufeum durch Kauf.
Die Sammlung des bekanntlich in
Nürnberg zu einer Spezialität aus-
gebildeten Kunftzweiges der Wismut-
malerei ift um eine intereffante Arbeit,
ein Käftchen von 1544, bereichert
worden. Die Bemalung ftellt ver-
fchiedene Szenen aus dem täglichen
Leben, Liebespaare, oben ein Gaft-
mahl dar und ift in den Farben fehr
frifch erhalten.
Für die Plaftik kommen als Neu-
erwerbungen fünf Figuren und eine
Anzahl reizender Kleinarbeiten in Be-
tracht. Auch hier äußert fich das
Beftreben, lokalgefchichtlich bedeu-
tende Typen als Ergänzung der vor-
handenen Beftände zu gewinnen.
Chronologifch an erfter Stelle fteht
ein fog. Erbärmdechriftus aus der
Bodenfeegegend (Abb. 2). Frühes
15. Jahrhundert. Für die Beherr-
fchung der Schnifetechnik in diefer
Zeit und Gegend geradezu das fpe-
zififche Beifpiel, wie die Behandlung
des Gewandes mit den fteil abfallen-
den Wollfalten, die Vermeidung jeder
Äbb.2. Erbärmdechriftus. Schwäbifch. Vor 1450 zu harten Kante zeigt. Spricht fich
im Gewandftil noch ganz das frühe
15. Jahrhundert aus, fo zeigt dagegen die dekorativ malerifche Auffaffung des Kopfes,
die Weichheit des ganzen Umriffes das fortgefchrittene Kunftwollen der oberfchwäbifchen
Schule in der erften Hälfte des 15. Jahrhunderts als richtiger Vorläufer der technifchen
Bravour der fpäteren Zeit. Kulturgefchichtlich intereffant ift der Chriftus auf der Efelin,
ein fog. Palmefel, vom Ende des 15. Jahrhunderts, aus der Oberpfalz. Da die Samm-
lung bisher nur ein Stück diefes in der Spätzeit des Mittelalters fo beliebten Types
befaß, fo bildet die Neuerwerbung eine willkommene Ergänzung. Beachtung verdient
ferner die Lindenholzmadonna aus Paffau (Abb. 3). Wäre für die Figur die nieder-
bayrifche Provenienz nicht ficher verbürgt, fo würde man, vor allem nach dem Ge-
fichtsausdruck, viel eher auf Franken raten. Stiliftifch gehört die Figur in die Spätzeit
des 15. Jahrhunderts. Zwei Engel mit älterer Faffung, zur Münnerftädter Magdalena
Riemenfehneiders gehörig, entfprechen den zwei fchon vorhandenen. Über die Be-
deutung der Gruppe braucht nichts gefagt zu werden; fie dürfte durch die neue Zutat
an Gefchloffenheit gewinnen.
Die Plaftik der Übergangszeit von der Gotik zur Frührenaiffance in Niederbayern
378
Bayern gegiftet. Eine einfachere,
in den Proportionen [ehr hübfche
quatrozentiftifche Intarfientruhe ge-
langte in das Mufeum durch Kauf.
Die Sammlung des bekanntlich in
Nürnberg zu einer Spezialität aus-
gebildeten Kunftzweiges der Wismut-
malerei ift um eine intereffante Arbeit,
ein Käftchen von 1544, bereichert
worden. Die Bemalung ftellt ver-
fchiedene Szenen aus dem täglichen
Leben, Liebespaare, oben ein Gaft-
mahl dar und ift in den Farben fehr
frifch erhalten.
Für die Plaftik kommen als Neu-
erwerbungen fünf Figuren und eine
Anzahl reizender Kleinarbeiten in Be-
tracht. Auch hier äußert fich das
Beftreben, lokalgefchichtlich bedeu-
tende Typen als Ergänzung der vor-
handenen Beftände zu gewinnen.
Chronologifch an erfter Stelle fteht
ein fog. Erbärmdechriftus aus der
Bodenfeegegend (Abb. 2). Frühes
15. Jahrhundert. Für die Beherr-
fchung der Schnifetechnik in diefer
Zeit und Gegend geradezu das fpe-
zififche Beifpiel, wie die Behandlung
des Gewandes mit den fteil abfallen-
den Wollfalten, die Vermeidung jeder
Äbb.2. Erbärmdechriftus. Schwäbifch. Vor 1450 zu harten Kante zeigt. Spricht fich
im Gewandftil noch ganz das frühe
15. Jahrhundert aus, fo zeigt dagegen die dekorativ malerifche Auffaffung des Kopfes,
die Weichheit des ganzen Umriffes das fortgefchrittene Kunftwollen der oberfchwäbifchen
Schule in der erften Hälfte des 15. Jahrhunderts als richtiger Vorläufer der technifchen
Bravour der fpäteren Zeit. Kulturgefchichtlich intereffant ift der Chriftus auf der Efelin,
ein fog. Palmefel, vom Ende des 15. Jahrhunderts, aus der Oberpfalz. Da die Samm-
lung bisher nur ein Stück diefes in der Spätzeit des Mittelalters fo beliebten Types
befaß, fo bildet die Neuerwerbung eine willkommene Ergänzung. Beachtung verdient
ferner die Lindenholzmadonna aus Paffau (Abb. 3). Wäre für die Figur die nieder-
bayrifche Provenienz nicht ficher verbürgt, fo würde man, vor allem nach dem Ge-
fichtsausdruck, viel eher auf Franken raten. Stiliftifch gehört die Figur in die Spätzeit
des 15. Jahrhunderts. Zwei Engel mit älterer Faffung, zur Münnerftädter Magdalena
Riemenfehneiders gehörig, entfprechen den zwei fchon vorhandenen. Über die Be-
deutung der Gruppe braucht nichts gefagt zu werden; fie dürfte durch die neue Zutat
an Gefchloffenheit gewinnen.
Die Plaftik der Übergangszeit von der Gotik zur Frührenaiffance in Niederbayern
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