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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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16. Heft
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Gall, Ernst: Die Abteikirche Saint-Philibert in Tournus: eine kritische Untersuchung zur frühburgundischen Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0661

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DIE ABTEIKIRCHE SAINT-PHILIBERT IN TOURNUS

aber ebenfalls nur dreifach gegliederte Schiff, endlich Querhaus und Chor mit dem Um-
gänge und einem Turme auf der Vierung. Schon ein flüchtiger Blick auf den Grundriß
(Abb. 1) läßt erkennen, daß die zuleßt genannten Oftteile nach einem anderen Plane
gebaut find als das Schiff und auf alle Fälle erft fpäter hinzugekommen find, denn
man wird deutlich wahrnehmen können, wie die Chorpfeiler fortfehreitend von Often
nach Weften immer mehr zufammenrücken, um den Anfchluß an die letzten Pfeiler des
Schiffes zu erreichen. Hier an den Weftpfeilern der Vierung erfolgt dann ein brüsker
Zufammenftoß. Wäre planmäßig in der einen oder der anderen Richtung weitergebaut
worden, fo würde hier keine fo rohe Naht fichtbar fein, und ebenfo wäre die genannte
Verfchiebung der Pfeilerachfen nicht eingetreten: die Unterbrechung ift deutlich fühlbar.

Im Weften des Schiffes, da, wo die Vorhalle endigt, muß man fchon genauer hin-
fehen, um den Wechfel im Plane feftftellen zu können. Im Narthex entfprechen die
lebten Pfeiler gegen Often in ihrer Stärke und Achfenlage genau den übrigen; wäre
hier von vornherein ein Äbfchluß nach dem Schiff zu vorgefehen gewefen, fo hätten
fie indes eine andere Geftaltung erfahren miiffen. Denn wie fie heute daftehen, ragen
fie zur Hälfte in das Schiff hinein, ohne hier irgend etwas zu tragen, und ihre
Stellung wirkt vom Schiffe gefehen um fo peinlicher, als im Zuge des Mittelfchiffes
nachträglich eine Mauer zwifchen fie eingefpannt ift, deren Stärke weit geringer ift,
als die der Säulen felbft. Schon diefe Beobachtung lehrt, daß urfprünglich die fo-
genannte Vorhalle nach Often weiter fortgefetjt werden füllte, das Schiff alfo ficherlich
fpäter als die Vorhalle entftanden ift.

Unfer erftes Refultat zeigt demnach die älteften Teile von St. Philibert im Weften,
die jüngften im Often. Soll ihr gegenfeitiges Verhältnis näher beftimmt werden, fo
ift zunächft darauf zu achten, daß Vorhalle und Schiff aufs engfte nach der ganzen
Technik der Ausführung zufammenhängen, während fich Querhaus und Chor in allen
Teilen erheblich davon unterfcheiden. Bis zur Vierung find die Weftteile der Kirche
der Hauptfache nach in jener Technik hergeftellt, die A. de Caumont als „petit appareil
allonge“ bezeichnete, und zwar befonders forgfältig im Inneren an den großen Säulen
des Mittelfchiffs, ein wenig roher im Äußeren. Die Steine im großen Backfteinformat
find gut behauen, regelmäßig gefchichtet und durch Mörtelfchichten von nur fehr
geringer Stärke verbunden. Die Säulen im Schiff, in dem oberen und unteren Gefchoß
der Vorhalle zeigen überall genau diefelbe Ausführung, wie auch die gleichen Profile.
Diefe Teile find demnach ohne lange Unterbrechung in unmittelbaren Anfchluß an-
einander entftanden — allerdings mit der oben bezeichneten Änderung des Planes, die
eintrat, als das dritte Pfeilerpaar des Narthex gerade vollendet war. Bietet diefe Über-
legung fchon an fich ein vollftändig gefichertes Refultat, fo haben auch beftätigend die
in den erften Traveen des Schiffes gemachten Ausgrabungen1 gezeigt, daß hier keines-
wegs die Refte einer älteren Kirche vorliegen, denn es ift dort keinerlei Fundament-
mauerwerk in den Fluchtlinien der Vorhalle aufgefunden worden.

Welcher Art nun jener erfte bald wieder aufgegebene Plan gewefen ift, läßt fich
noch heute mit einiger Wahrfcheinlichkeit zeigen. Aus dem eben Dargelegten wird
man nämlich vermuten können, daß die Vorhalle zunächft nicht als folche, fondern als
eigentliche Kirche begonnen worden ift; es ift dann auch eine fehr naheliegende
Folgerung, daß das Mittelfchiff die Seitenfchiffe überragen follte und eine andere Art
der Einwölbung urfprünglich vorgefehen war, als fie heute vorliegt. Daß diefe Ver-

1 cf. Bulletin Monumental 1903, p. 556 ff. Bericht von I. Martin.

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