Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

DOI Heft:
23. Heft
DOI Artikel:
Ausstellungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0940

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
AUSSTELLUNGEN

mann einmal unter dem Titel der Phantafie als
wefentlichftes vom Künftler forderte.

Daneben muß man Rösler und Brockhufen
nennen. Rösler ift der unmittelbarere und wohl
auch ftärkere. In Brockhufen fteckt doch viel
Syftematik, viel Theorie, und wenn auch bei
ihm das Raumerlebnis ftets klarer umfchrieben
ift als bei dem ftets etwas wilden und unbän-
dig einherfahrenden Rösler, fo fpricht doch ge-
rade aus deffen großen Landfchaften das ftärkere
Temperament und die befeelendere Wärme, und,
in beften Augenblicken, eine fchöne Reinheit
und Einfachheit der Mittel. Barlach hat eine
große Reihe Lithographien ausgeftellt, Illuftra-
tionen zu einem felbftgedichteten Drama. Stellt
man [ich diefem Werke gegenüber auf den Stand-
punkt des Graphikers, fo muß man fagen: fo
geht das nicht. Denn hier ift alles von Holz
und Meffer aus und nichts vom flachen Stein
oder irgendeinem Zeicheninftrument her ge-
dacht. Aber es fteckt eine gewaltige Monumen-
talität in diefen Blättern, ein Wille zur Größe,
und eine Phantafie, die im Umgang mit dem
Material des Bildhauers eine Strenge bekommen
hat, die die leidenfchaftliche Empfindung zu ein-
fachfter und dafür auch unerbittlichfter Notwen-
digkeit zu prägen vermag.

Wo im Sommer Liebermann, Hodler und Leibi,
kurz die Ehrengäfte zu hängen pflegen, hängt
diesmal Pa fcin. Man muß hier ausnahmsweife
einmal die Biographie zur Hilfe rufen, um die-
fes Phänomen und feine Entwicklung zu ver-
gehen: ein Balkanflave, der über den Simpli-
ziffimus, wo er ein Gewirr von kraufen Linien,
dünnen, grazilen, abfolut linearen Formele-
menten produzierte, nach Paris geriet, und da
zu dem wurde, was Scheffler kurz einen
Watteau des Bordells getauft hat. Was an
feinen Arbeiten feffelt und oft entzückt, ift die
verruchte Grazie diefer meiftens unausgewachfe-
nen Körper. Daß troßdem die Freude an den
künftlerifchen Werten auch beim Kenner nicht
ungetrübt herrfcht, ift ein Beweis dafür, daß
eine Diffonanz zwifchen der künftlerifchen und
der fozufagen moralifchen Perfönlichkeit einen
unheilbaren Riß auch in das Kunftwerk macht.

Bei dem übrigen Beftande bedarf es keiner
langen Auseinanderfeßungen. Von den Ahn-
herren der neuen Kunft find Menzel mit einer
fehr fchönen Kollektion aus Liebermanns Befiß,
und Daumier mit einer Reihe feiner großartig-
ften Zeichnungen vertreten, Daumier außerdem
noch mit zwei Plaftiken, von denen die Flücht-
linge wie eine Vorahnung Meunierfcher Kunft
wirken. Die Führer der jetzigen Generation,
Liebermann und Corinth, find gut und charakte-
riftifch zu fehen, weniger gut Hodler, deffen

Repräfentation ein wenig zufällig geraten ift.
Ein Saal beherbergt die Simpliziffimuskünftler,
wo natürlich Gulbranffon und Th. Th.Heine
herrfchen. Schöne Blätter fandte Graf Kalck-
reuth, befonders das Bild der kopfftüßenden
Alten ift von wahrer Grandiofität in Form und
Empfindung. Klemm ift nur durch zwei Zeich-
nungen gut vertreten, die lockrer find als früheres,
Hasler bewegt [ich diesmal auf den Wegen
der Venezianer, auch Orlik und E. R. Weiß
find noch nicht zu einem eigenen Stil gekom-
men. Pottners farbige Geflügellithographien
find ein wenig weichlicher geraten als früheres,
übrigens aber fehr fchön. Friß Rhein, Ulrich
Hübner, Kardorff und Oppler zeigen, wie
üblich, hübfche, technifch gute Arbeiten, ebenfo
Struck Landfchaften aus London, New-York
und dem Harz, die nur ein wenig zu gleichmäßig
ausgefallen find. Geiger hat Stierkampf-Sze-
nen in feiner bekannten ganz offenen Faktur,
Hans Meid einen fehr fchönen, lichten, impreffio-
niftifchen Zyklus aus Mozarts Don Juan (das
Blatt „reich mir die Hand“ ift unübertrefflich im
Ausdruck der Körperbewegung, Blätter wie die
Gartenfzenen entzückend in der Lichtwirkung),
und Wal fers Blätter zeigen gute, mehr un-
mittelbar gefaßte als dekorativ-abftrakte Quali-
täten. Stimmungsvolle gut radierte Straßen-
fzenen und -landfchaften geben Großmann,
der Paris und Berlin gut differenziert, geben
Preßfelder, Giefe und Gabler. Manches
verfpricht auch wieder Mefek, während Erna
Frank aufs neue ihre Qualitäten erweift. Eine
Rubrik für [ich beanfprucht Markus Behmer,
deffen Illuftrationen zu Voltaires Zadig wohl das
fchönfte find, was er bisher gefchaffen hat. Man
müßte diefe Blätter, Probedrucke mit allen Stoß-
feufzern des von körperhaften und geiftigen
Dämonen geplagten Marcotino, in die Hand und
unter die Lupe nehmen dürfen, um den Reiz
diefer Kunft auszukoften, die mit den Formmitteln
alter und neuer Zeit ganz eigene Gebilde fchuf.

Die Bildhauer find diefes Jahr auch als Gra-
phiker vertreten, am fchönften Gaul mit Tier-
radierungen, unter denen die friesartigen Züge
der Vierfüßler von einem wahrhaft attifchen
Wohllaut und Rhythmus find. Die Zeichnungen
der übrigen gehen im ganzen in den Geleifen,
die Rodin für Bildhauerzeichnungen eröffnete.
Von den plaftifchen Arbeiten find befonders
fchön der Torfo des Somalinegers von Kolbe,
Richard Engelmanns Trauernde, und vor
allem Lehmbrucks unglaublich fchöne weib-
liche Halbfigur und Hallers Eva mit prachtvoll
lebendig-bewegter Oberflächenbehandlung.

Das Ausland endlich ift auch gut vertreten. Es
mag hier genügen die Namen zu nennen: Munch,

896
 
Annotationen