Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

DOI Heft:
24. Heft
DOI Artikel:
Prinzipien und Personen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0975

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
PRINZIPIEN UND PERSONEN

haben. Daß übrigens inDeutfchland gerade für den
Münchner Poften an geeigneten Bewerbern kein
Mangel ipt, weiß man [ehr wohl, aber man weiß
auch, daß [ich niemand der Mühe in Bayern unter-
zogen hat, mit einem diefer Herren wirklich
ernfthaft zu verhandeln. Wenn man offiziös zu
verftehen geben will, daß die Berufung Stadlers
aus politifchen Erwägungen (Vertretung der wich-
tigen Bauprojekte ufw. vor dem Parlament) er-
folgen und nur einen Übergang für die Ernennung
eines beftimmten und befähigten jüngeren Mu-
feumsbeamten in München bedeuten foll, dann
fragen wir uns in der Tat, warum man über-
haupt erft diefen Umweg brauchte, der Münchens
Änfehen von der gefamten fachwiffenfchaftlichen
Welt in diefem Maße desavouiert.

Es befteht ein altes Wort von den Kompromiß-
kandidaten, die Verlegenheitsgötter find und im
Moment ihr Gutes haben können. Äls Menfch
bringt Toni Stadler gewiß alle Vorzüge eines
durchaus loyalen Charakters, einer aller Eng-
herzigkeit abholden Perfönlichkeit mit, aber trot$
diefer fympathifchen Seite feines Wefens muß
die prinzipielle Äblehnung feiner Wahl aus-
gefprochen werden. Denn das Erbe Tfchudis
zu verwalten, es in feinem Geifte fortzuführen,
find nur wenige berufen, aber gerade von diefen
Wenigen fcheint man in München nichts wiffen
zu wollen. G. B.

□ □ □

DIE ZUKUNFT DER SEZESSION

Mag man fich auch zu dem Entfchluß der Mehr-
heit unter den Sezeffioniften, die Paul Caf-
firer die Präfidentfchaft über jene Vereinigung
anvertraut, ftellen, wie immer man mag, ein
Moment zwingt von vornherein zur Überzeugung,
daß diefe Wahl unter dem allgemeinen Dafeins-
gefeij erfolgt ift, daß künftlerifche Intereffen auch
vitale Intereffen find. Und an dem Äusbau der
letzteren hat es gerade in den vergangenen
Jahren — unter einer rein künftlerifchen Leitung
— ganz und gar gefehlt. Wer aber in diefem
Moment in einem Mann wie Caffirer nur die
kunfthändlerifchen Inftinkte wittert, verkennt
ganz und gar die ftarke Eigenart diefer oft dis-
kutierten Perfönlichkeit. Die Sezeffion, fo wie
fie fich nach einer mehr als zehnjährigen Ver-
gangenheit heute darftellt, ift im leßten eine
Gemeinfchaft fozial intereffierter Künftler, die
darum das Moment des rein künftlerifchen nicht
weniger zu betonen brauchen. Diefe Sozietät
will und kann fich nicht nur mit dem ideellen
Erfolge — den fie längft errungen hat — zu-
frieden geben, fondern fie braucht als Kampfes-

genoffenfchaft auch des finanziellen Rückgrates
und das wird ihr Caffirer verfchaffen, auch
ohne fie feinen Gefchäftsintereffen dienftbar zu
machen. Überdies kommt hinzu, daß ein Mann
wie der neue Präfident feines Zeichens zwar
Kunfthändler ift, im Grunde aber doch mehr als
einmal durch fein Lebenswerk auch den Beweis
feines ftarken künftlerifchen Einfühlens in das
Werden der Moderne gegeben hat. So könnte
man — um das von der Sezeffion gewagte
Experiment zu ftüßen — zunächft noch zahl-
reiche Gründe ins Feld führen, die für die Klug-
heit der Mehrheit zeugen; indes der Moment
wäre verfrüht, weil es erft die Erfolge der
ftarken Initiative Caffirers abwarten heißt.

Ich finde nicht, daß das hier gegebene Bei-
fpiel ohne weiteres aus der Diskuffion auszu-
fcheiden hat, fondern daß im Gegenteil hier der
Verfuch einer auf durchaus konftitutioneller
Grundlage vorgefehenen Verfaffung nicht ohne
Äusficht auf finanziellen und ideellen Erfolg ge-
wagt worden ift. Beffer, daß auch eine der-
artige Intereffengemeinfchaft durch die Tatkraft
eines einzelnen vorangetrieben wird, als daß
ein faules Gemeinwefen um des Rnfehens nach
außen willen an feiner eigenen Impotenz zu-
grunde geht, wobei der Gefichtspunkt des Künft-
lerifchen fich mit dem des Sozialen völlig deckt.

G. B.

□ □ □

CÄRL JUSTI t

Äus Bonn kommt die Nachricht, daß Carl Jufti
heimgegangen ift. Mit ihm fcheidet einer der
Begründer der deutfchen Kunftwiffenfchaft, ein
Mann von hoher perfönlicher Kultur, umfaffen-
dem Wiffen und feltener philofophifcher Bildung.
Von der Philofophie nahm die Lebensarbeit
Juftis ihren Äusgang, und als der Ordinarius
der Philofophie in Marburg zur Kunftgefchichte
geführt wurde, gefchah es durch eine Ärbeit,
die in dem Rahmen einer Biographie ein fyn-
thetifches Bild menfchlicher Kultur geben wollte.
„Winckelmann und feine Zeitgenoffen“ hat Juftis
Ruhm gegründet und auch in den fpäteren
Werken, im Velazquez wie in den Michel-
angelobüchern, ift er feiner Methode treu ge-
blieben, ebenfo wie in der Lehrtätigkeit zu
Bonn, wohin er 1872 als Nachfolger Springers
kam. Den Beftrebungen einer neuen Kunft-
gefchichte, die die geiftige Entwicklung der
Kunft nicht fo fehr verfolgte wie die formale,
hat er nur von weitem zugefehen. So ftehen
feine Werke als klaffifche Dokumente jener
kunftgefchichtlichen Ärbeit da, die vor allem
Kultur- und Geiftesgefcbichte fein wollte.

Der Cicerone, IV. Jahrg., 24. Heft. 70

931
 
Annotationen