76 MODERNE KUNST.
dem Zwang des äusseren Lebens, in der Sorge ums tägliche Brot." — „Ein Mensch, der aufs tiefste zu beklagen war," entgegnete Kaul-
Als der Maler hier wieder eine Pause machte und die Erinnerungen für das bach sehr ernst. „Solche Männer, die in ewigem Unbefriedigtsein ein
Folgende sammelte, sagte eine der Zuhörerinnen leise: „Die arme Frau! Stück von der Faustnatur, aber nicht ihre Grösse besitzen, gehören zu
Es gehört grosse Liebe dazu, neben einem solchen Manne zu leben." den unglückseligsten Wesen, die ich kenne. Darum hat mich auch selten
„Ihre Liebe war noch grösser", gab Kaulbach bedeutungsvoll zur etwas so sehr erschüttert, wie der Bericht über sein Schicksal aus
Antwort, „sie hat noch mehr für ihn gethan. Der Zustand des Unglück- seinem eigenen Munde."
liehen, an sich selbst verzweifelnden Mannes wurde immer trauriger. „War es nicht in Venedig, wo Du ihn trafest?" fragte die Gattin des
Seine Melancholie artete in ein Nervenleiden aus, er musste die bisherige Künstlers.
Stellung aufgeben, und die zunehmenden Sorgen lähmten seine bescheidene „Allerdings, in Venedig. Dort begegnete ich ihm zufällig, und er
Schaffenskraft noch mehr. Die Frau sah das alles mit an und fühlte die lud mich ein, ihn zu besuchen; er hätte eine Bitte an mich. Seine
Schmerzen des geliebten Mannes doppelt in ihrer Brust. Und ganz all- Wohnung war in einem der alten, verfallenen Palazzi, wo er in völliger
mählich schlich sich ein furchtbarer Gedanke in ihre Seele: „Wenn ich Einsamkeit hauste, ganz allein mit seinem Schmerz und den blutigen
nicht da wäre, wenn ich ihn nicht hemmte, vielleicht würde er dann in Reliquien, die ihn immer wieder an den furchtbaren Tod seiner Frau
Wahrheit zum grossen Dichter werden und würde glücklich durch die erinnerten. Als ich bei ihm war, kam er mit der Bitte heraus, von der
Erfüllung dieses Traumes." Zuerst mag sie diesen Gedanken von sich er gesagt hatte: ich sollte ihm das Bild der Gestorbenen malen. Zuerst
hinweggewiesen haben, aber beim Anhören der Klagen ihres Mannes weigerte ich mich; denn ich hatte sie niemals gesehen, und es waren
kam er wieder und wieder und wurde immer mächtiger, bis er schliesslich ausser der Totenmaske nur unbedeutende Miniaturen als Vorbild vor-
ihre ganze Seele beherrschte. Sich zu opfern, um den Geliebten gross handen. Er bat mich aber so flehentlich, dass ich nachgab, und während
und glücklich zu machen, das wurde nun ihr Traum, dem sie mit der- ich dann wirklich seinen Wunsch erfüllte, erzählte er mir die Geschichte
selben Leidenschaft sich hingab, wie ihr Mann den Träumen von Dichter- seines Lebens und ihres Todes. Ich hatte sie in München von anderer
rühm und Unsterblichkeit. Um ihn lebend zu verlassen, dazu liebte sie Seite gehört, sie war schliesslich doch bekannt geworden und hatte
ihn zu sehr, aber für ihn zu sterben, dazu fühlte sie die Kraft. Und so grosses Aufsehen gemacht. Sogar litterarisch war sie schon ver-
■ist sie denn in Wirklichkeit für ihn gestorben." wertet worden. Aber sie hatte mich doch zuvor nicht annähernd so
Fragen und Ausrufe klangen durcheinander; das wunderbare, traurige ergriffen, wie damals in Venedig, in dem alten Palazzo, als ich sie aus
Schicksal dieser beiden Menschen und die Seelengrösse der liebenden seinem eigenen Munde hörte. Und als wäre durch diese Erzählung die
Frau hatten uns alle im Innersten ergriffen. Gestorbene für mich wieder erweckt worden, so gelang mir das Bild
„Es ist, wie ich sage", fuhr der Erzähler fort. „Sie war eine starke trotz der unzulänglichen Hilfsmittel wider Erwarten. Stieglitz war ausser
Natur, und als ihr Traum einmal zum wirklichen Entschluss geworden sich vor Entzücken, und ich hatte die Freude, mit diesem eigentlich nur
war, da traf sie mit ruhiger Besonnenheit alle Vorbereitungen zu seiner durch Zufall gelungenen Werk einen schwachen Strahl des Glückes in
Ausführung, zu diesem gewaltigen Opfer, das sie der Freiheit und dem das Dasein des vereinsamten, gebrochenen Mannes zu bringen. Als die
Glück des geliebten Mannes bringen wollte. Sie beredete ihn eines- Cholera in Venedig wütete, widmete sich Stieglitz mit bewundernswertem
Abends, sie allein zu lassen und ins Theater zu gehen; als er fort war, Opfermut den Kranken und Armen, die ihn wie einen Heiligen liebten
kleidete sie sich in ihr Nachtgewand und schrieb zum Abschied von ihm und verehrten. Er unterlag endlich selbst der furchtbaren Krankheit,
und vom Leben einen Zettel mit jenen Worten: „Wir werden uns der- und durch seinen Tod im Dienste der Menschheit erwarb er sich den
einst wiedersehen, — freier, gelöster." Dann streckte sie sich auf ihr Ruhmeskranz, den die Dichtkunst ihm versagt hatte."
Lager und stiess sich mit fester Hand einen Dolch mitten ins Herz." Kaulbach hatte geendet; wieder liess er den wallenden Bart durch
„Und er? Und er?" fragte die Dame, die zuvor schon gesprochen die Finger gleiten. Dann stand er auf und schritt in der tiefer gewordenen
hatte. „Ist er denn wirklich ein grosser Dichter geworden? Aber nein, Dämmerung durch den Raum. „Das ist die Geschichte, die mir das Faust-
ich brauche wohl kaum zu fragen. Sonst würden wir alle ja seinen Bild erzählt", sagte er dabei. „Hier habe ich aber noch eine andere
Namen kennen und hörten ihn nicht heute zum ersten Mal." Illustration dazu. Es ist ein Vermächtnis des unglücklichen Dichters, das
„Sie haben Recht; er ist es nicht geworden. Das ist das Traurigste er mir testamentarisch bestimmte."
an der ganzen Geschichte. Das Opfer der Frau war vergeblich. Auch Von einem Schranke holte er etwas herab, das er nun zu dem
an Stieglitz bewahrheitete sich Schillers Wort: ,In Deiner Brust sind grossen Fenster hinübertrug. Wir drängten nach und scharten uns um
Deines Schicksals Sterne.' Nicht die äusseren Schwierigkeiten hatten ihn ihn her. Ein halbes Licht fiel noch herein; am blassen, grünlich-blauen
gehindert, Ungewöhnliches zu leisten; er war in Wirklichkeit klein und Himmel schwebte ein ersterbender Abglanz vom fernen Abendrot. Und
hatte sich nur gross geträumt. An der Begrenzung seines Talents und in diesem seltsamen Lichte betrachteten wir, was der Künstler uns zeigte:
an der Schwäche seiner Natur war er gescheitert und musste er scheitern. die Totenmaske einer Frau. Wir brauchten nicht zu fragen, wessen
Als wollte das Schicksal ihm und der Welt das noch ganz ausdrücklich Bild sie bewahrte. Der feste, energische Ausdruck der Züge, die ge-
beweisen, so schüttete es ihm bald nach dem Tode der Frau durch die schwollene, grosse Ader am Halse verkündeten den gewaltigen Entschluss
Erbschaft von einem Verwandten die Mittel zum sorgenlosen Leben in zum Sterben und die kräftige Kühnheit, mit der er vollführt worden war.
den Schooss. Aber auch das war vergeblich; er hat nichts von höherer Wortlos, erschauernd vor dem düsteren Anblick standen wir da; bei
Bedeutung mehr geschaffen. Wie er sich früher in die Träume von mög- dem fahlen Lichte konnte man glauben, in die Züge der eben Gestorbenen
licher zukünftiger Grösse versenkt hatte, so vergrub er sich jetzt ganz in zu schauen.
die Erinnerung an seinen Verlust und in den Schmerz um die Frau, die Da löste die gütige Hausfrau den finsteren Bann. „So, meine Herr-
nutzlos für ihn gestorben war." Schäften," sagte sie heiter, „nun ist es genug mit diesen alten, traurigen
„Ein eigentümlicher Charakter," sagte einer der Herren, die das Geschichten. Jetzt kommen Sie mit mir hinaus in den Garten; draussen
Erzählte mit angehört hatten und zum Nachdenken angeregt worden waren. blühen die Rosen — dabei vergisst man den Tod."
-<
_
-v
*
*
■ •
-SS
_
dem Zwang des äusseren Lebens, in der Sorge ums tägliche Brot." — „Ein Mensch, der aufs tiefste zu beklagen war," entgegnete Kaul-
Als der Maler hier wieder eine Pause machte und die Erinnerungen für das bach sehr ernst. „Solche Männer, die in ewigem Unbefriedigtsein ein
Folgende sammelte, sagte eine der Zuhörerinnen leise: „Die arme Frau! Stück von der Faustnatur, aber nicht ihre Grösse besitzen, gehören zu
Es gehört grosse Liebe dazu, neben einem solchen Manne zu leben." den unglückseligsten Wesen, die ich kenne. Darum hat mich auch selten
„Ihre Liebe war noch grösser", gab Kaulbach bedeutungsvoll zur etwas so sehr erschüttert, wie der Bericht über sein Schicksal aus
Antwort, „sie hat noch mehr für ihn gethan. Der Zustand des Unglück- seinem eigenen Munde."
liehen, an sich selbst verzweifelnden Mannes wurde immer trauriger. „War es nicht in Venedig, wo Du ihn trafest?" fragte die Gattin des
Seine Melancholie artete in ein Nervenleiden aus, er musste die bisherige Künstlers.
Stellung aufgeben, und die zunehmenden Sorgen lähmten seine bescheidene „Allerdings, in Venedig. Dort begegnete ich ihm zufällig, und er
Schaffenskraft noch mehr. Die Frau sah das alles mit an und fühlte die lud mich ein, ihn zu besuchen; er hätte eine Bitte an mich. Seine
Schmerzen des geliebten Mannes doppelt in ihrer Brust. Und ganz all- Wohnung war in einem der alten, verfallenen Palazzi, wo er in völliger
mählich schlich sich ein furchtbarer Gedanke in ihre Seele: „Wenn ich Einsamkeit hauste, ganz allein mit seinem Schmerz und den blutigen
nicht da wäre, wenn ich ihn nicht hemmte, vielleicht würde er dann in Reliquien, die ihn immer wieder an den furchtbaren Tod seiner Frau
Wahrheit zum grossen Dichter werden und würde glücklich durch die erinnerten. Als ich bei ihm war, kam er mit der Bitte heraus, von der
Erfüllung dieses Traumes." Zuerst mag sie diesen Gedanken von sich er gesagt hatte: ich sollte ihm das Bild der Gestorbenen malen. Zuerst
hinweggewiesen haben, aber beim Anhören der Klagen ihres Mannes weigerte ich mich; denn ich hatte sie niemals gesehen, und es waren
kam er wieder und wieder und wurde immer mächtiger, bis er schliesslich ausser der Totenmaske nur unbedeutende Miniaturen als Vorbild vor-
ihre ganze Seele beherrschte. Sich zu opfern, um den Geliebten gross handen. Er bat mich aber so flehentlich, dass ich nachgab, und während
und glücklich zu machen, das wurde nun ihr Traum, dem sie mit der- ich dann wirklich seinen Wunsch erfüllte, erzählte er mir die Geschichte
selben Leidenschaft sich hingab, wie ihr Mann den Träumen von Dichter- seines Lebens und ihres Todes. Ich hatte sie in München von anderer
rühm und Unsterblichkeit. Um ihn lebend zu verlassen, dazu liebte sie Seite gehört, sie war schliesslich doch bekannt geworden und hatte
ihn zu sehr, aber für ihn zu sterben, dazu fühlte sie die Kraft. Und so grosses Aufsehen gemacht. Sogar litterarisch war sie schon ver-
■ist sie denn in Wirklichkeit für ihn gestorben." wertet worden. Aber sie hatte mich doch zuvor nicht annähernd so
Fragen und Ausrufe klangen durcheinander; das wunderbare, traurige ergriffen, wie damals in Venedig, in dem alten Palazzo, als ich sie aus
Schicksal dieser beiden Menschen und die Seelengrösse der liebenden seinem eigenen Munde hörte. Und als wäre durch diese Erzählung die
Frau hatten uns alle im Innersten ergriffen. Gestorbene für mich wieder erweckt worden, so gelang mir das Bild
„Es ist, wie ich sage", fuhr der Erzähler fort. „Sie war eine starke trotz der unzulänglichen Hilfsmittel wider Erwarten. Stieglitz war ausser
Natur, und als ihr Traum einmal zum wirklichen Entschluss geworden sich vor Entzücken, und ich hatte die Freude, mit diesem eigentlich nur
war, da traf sie mit ruhiger Besonnenheit alle Vorbereitungen zu seiner durch Zufall gelungenen Werk einen schwachen Strahl des Glückes in
Ausführung, zu diesem gewaltigen Opfer, das sie der Freiheit und dem das Dasein des vereinsamten, gebrochenen Mannes zu bringen. Als die
Glück des geliebten Mannes bringen wollte. Sie beredete ihn eines- Cholera in Venedig wütete, widmete sich Stieglitz mit bewundernswertem
Abends, sie allein zu lassen und ins Theater zu gehen; als er fort war, Opfermut den Kranken und Armen, die ihn wie einen Heiligen liebten
kleidete sie sich in ihr Nachtgewand und schrieb zum Abschied von ihm und verehrten. Er unterlag endlich selbst der furchtbaren Krankheit,
und vom Leben einen Zettel mit jenen Worten: „Wir werden uns der- und durch seinen Tod im Dienste der Menschheit erwarb er sich den
einst wiedersehen, — freier, gelöster." Dann streckte sie sich auf ihr Ruhmeskranz, den die Dichtkunst ihm versagt hatte."
Lager und stiess sich mit fester Hand einen Dolch mitten ins Herz." Kaulbach hatte geendet; wieder liess er den wallenden Bart durch
„Und er? Und er?" fragte die Dame, die zuvor schon gesprochen die Finger gleiten. Dann stand er auf und schritt in der tiefer gewordenen
hatte. „Ist er denn wirklich ein grosser Dichter geworden? Aber nein, Dämmerung durch den Raum. „Das ist die Geschichte, die mir das Faust-
ich brauche wohl kaum zu fragen. Sonst würden wir alle ja seinen Bild erzählt", sagte er dabei. „Hier habe ich aber noch eine andere
Namen kennen und hörten ihn nicht heute zum ersten Mal." Illustration dazu. Es ist ein Vermächtnis des unglücklichen Dichters, das
„Sie haben Recht; er ist es nicht geworden. Das ist das Traurigste er mir testamentarisch bestimmte."
an der ganzen Geschichte. Das Opfer der Frau war vergeblich. Auch Von einem Schranke holte er etwas herab, das er nun zu dem
an Stieglitz bewahrheitete sich Schillers Wort: ,In Deiner Brust sind grossen Fenster hinübertrug. Wir drängten nach und scharten uns um
Deines Schicksals Sterne.' Nicht die äusseren Schwierigkeiten hatten ihn ihn her. Ein halbes Licht fiel noch herein; am blassen, grünlich-blauen
gehindert, Ungewöhnliches zu leisten; er war in Wirklichkeit klein und Himmel schwebte ein ersterbender Abglanz vom fernen Abendrot. Und
hatte sich nur gross geträumt. An der Begrenzung seines Talents und in diesem seltsamen Lichte betrachteten wir, was der Künstler uns zeigte:
an der Schwäche seiner Natur war er gescheitert und musste er scheitern. die Totenmaske einer Frau. Wir brauchten nicht zu fragen, wessen
Als wollte das Schicksal ihm und der Welt das noch ganz ausdrücklich Bild sie bewahrte. Der feste, energische Ausdruck der Züge, die ge-
beweisen, so schüttete es ihm bald nach dem Tode der Frau durch die schwollene, grosse Ader am Halse verkündeten den gewaltigen Entschluss
Erbschaft von einem Verwandten die Mittel zum sorgenlosen Leben in zum Sterben und die kräftige Kühnheit, mit der er vollführt worden war.
den Schooss. Aber auch das war vergeblich; er hat nichts von höherer Wortlos, erschauernd vor dem düsteren Anblick standen wir da; bei
Bedeutung mehr geschaffen. Wie er sich früher in die Träume von mög- dem fahlen Lichte konnte man glauben, in die Züge der eben Gestorbenen
licher zukünftiger Grösse versenkt hatte, so vergrub er sich jetzt ganz in zu schauen.
die Erinnerung an seinen Verlust und in den Schmerz um die Frau, die Da löste die gütige Hausfrau den finsteren Bann. „So, meine Herr-
nutzlos für ihn gestorben war." Schäften," sagte sie heiter, „nun ist es genug mit diesen alten, traurigen
„Ein eigentümlicher Charakter," sagte einer der Herren, die das Geschichten. Jetzt kommen Sie mit mir hinaus in den Garten; draussen
Erzählte mit angehört hatten und zum Nachdenken angeregt worden waren. blühen die Rosen — dabei vergisst man den Tod."
-<
_
-v
*
*
■ •
-SS
_