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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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VERMISCHTES

land von einer im Bau befindlichen Kathedrale
entlehnt.

Anno 1912 veröffentlicht Kardinal Fifcher,
Erzbifchof von Köln, im Kirchlichen Anzeiger
für die Erzdiözefe einen Erlaß „Zum Bau und
der Ausftattung von Kirchen und anderen kirch-
lichen Gebäuden“ an den Klerus und die Kirchen-
vorftände, worin er befiehlt:

„Neue Kirchen find der Regel nach nur in ro-
manifchem oder gotifchem, bzw. fogenanntem
Übergangsftile zu bauen. In letzterer Zeit geht
das Beftreben mancher Baumeifter dahin, fpätere
Stilarten, felbft ganz moderne Bauarten zu
wählen. In Zukunft wird dazu — es müßten
denn ganz eigentümliche Verhältniffe obwalten —
keine Genehmigung erteilt werden.“ Und zwar
hat der Architekt bei feinen „Neufchöpfungen“
fidi derart gewiffenhaft zu benehmen, daß ab-
folut „ftilreine“ Bauten entftehen. So ift es dem
Erzbifchof aufgefallen, daß in letzter Zeit fpät-
gotifches Maßwerk an Kirchen erfchienen ift,
die fich fonft an frühere Zeiten der Gotik an-
lehnen. Er wird folchen Freiheiten gegenüber
in Zukunft die Genehmigung verweigern. Auch
die Sakrifteien haben [ich genau an den Stil
der Kirche anzufchließen, fie fcheinen in leßter
Zeit in befonders böfe Hände geraten zu fein:
„Die Tendenz einzelner Baumeifter ging mehr-
fach dahin, diefelben in moderner Weife, im fo-
genannten Jugendftile, auszuführen!“ Auch ein-
zelne Pfarrhäufer feien in diefem Stile gebaut
worden. Wenn mit der Bezeichnung „Jugend-
ftil“ lediglich das gemeint wäre, was heute unter
allen einfichtigen Künftlern und Kunftfreunden
als flüchtige, längft überwundene Modeabart
einer jugendlichen Bewegung gilt, hätte dererz-
bifchöfliche Erlaß durchaus Recht. Aber wir
fürchten, er meint damit alles, was nicht im ro-
manifchen oder gotifchen Stile entworfen ift.

Daß die künftlerifch wertvollften Leitungen
heute im wefentlichen auf dem Gebiet der Pro-
fanarchitektur liegen, dort, wo dem Architekten
wirklich neue, entwicklungsfähige Aufgaben ge-
teilt werden, ift unzweifelhaft; aber die Sacre
Coeur in Paris und die architektonifch noch be-
deutendere Weftminfter - Kathedrale in London
beweifen, daß die katholifche Kirche nicht an
eine derartig rückfchrittlictie Marfchroute ge-
bunden ift, wie man fie in Köln wünfcht. Die
Konfequenz des Erlaffes, deffen „gewiffenhafte
Befolgung“ man erwartet, wird fein, daß wir
demnächft weithin fichtbaren Zeichen für die
Stagnation der heutigen katholifchen Kirche im
Rheinland begegnen werden.

Die gleiche, den Fernerftehenden feltfam be-
rührende Gefinnung kommt auch der Malerei
gegenüber zum Ausdruck. Hier ergibt fich zu-

nächft die Verlegenheit, daß im frühen Mittel-
alter Tafelgemälde „weniger Anwendung fan-
den“, alfo fie auch heute ftreng genommen in
romanifchen und frühgotifchen Kirchen nicht An-
wendung finden dürften. „Allein, wenn auch ...“
Die Erzdiözefe hat fich vor einiger Zeit mit
dem Königlichen Staatsminifterium „benommen,
und es find infolgedeffen zwei neue Profeffuren
an der Kunftakademie zu Düffeldorf zu dem
Ende gegründet worden.“ Zu dem Ende, d. h.
um anzuknüpfen „an die alte, mit Unrecht in
leßter Zeit mehrfach als minderwertig beurteilte
(Düffeldorfer Nazarener) Schule“. Man folle
jedoch nicht, wie diefe es getan, die alten Ita-
liener nachbilden — denn fie harmonieren nicht
mit unferen romanifchen und gotifchen Gottes-
häufern —, fondern die deutfchen Meifter aus
der zweiten Hälfte des Mittelalters und dem
Beginn der Neuzeit. Als Vorbildermaterial für
die jungen Künftler wird empfohlen die 1821—40
erfchienene Publikation der Boifferee-Sammlung
mit den Lithographien von Strixner! Der Er-
laß, der mit derlei Vorfchriften für „eine wahr-
haft kirchliche und zugleich deutfche Malerei“
zu wirken wünfcht, ftammt — man muß fich
das immer wieder vergegenwärtigen — vom
7. Februar 1912.

Der Erzbifchof darf nicht erftaunt fein, wenn
die „heilige Kunft“, die nach feinen Worten eine
Tochter der Kirche ift, das mütterliche Haus
endgültig verläßt und ihrer göttlichen Miffion
dort obliegt, wo man nicht fo horrende Zu-
mutungen an fie ftellt wie der Nachfolger jener
Kirchenfürften, die einft im modernften Sinne
für die künftlerifche Kultur Deutfchlands gewirkt
haben. A. G.

DENKMÄLSSTREIT IN MÄRBURG

Die feine heffifche Univerfitätsftadt fcheint zur-
zeit von einem böfen Schickfal bedroht, das wie
ein Hohn auf alle geiftige Kultur anfpricht und
fage und fchreibe von einem naturgemäß fo not-
wendigen Kriegerdenkmal feinen Ausgang nimmt.
An dem dringenden Verlangen der Bevölkerung
nach einem folchen Denkmal wollen wir nicht
zweifeln. Die Tatfache fteht fogar feft, daß es
den wenigen kunftverftändigen Bürgern beinahe
gelungen wäre, für das vorhandene Geld eine
Wiederholung des von dem Bildhauer Gaul für
Pofen gefchaffenen prachtvollen Löwen zu be-
kommen. Aber die Kriegervereine vermißten
bei einem folchen Denkmal das Pathos und den
üblichen illuftrativen Beigefchmack, und fo hat
man fich von einem Berliner Bildhauer namens
Seyffert einen Entwurf anfertigen laffen, der in
einer lokalen Zeitung wörtlich wie folgt be-
fchrieben wird: „Vor einem gewaltigen Obelis-

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