Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0337
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8. Heft
DOI article:Biermann, Georg: Die Ausstellung der Berliner Sezession 1912
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DIE AUSSTELLUNG DER BERLINER SEZESSION 1912
[ehr zum Schaden ihres fchönen Talentes ift!) eine eigentliche Entwicklung kaum zu
verzeichnen haben. Das gilt mit einer gewiffen Einfchränkung auch für Kurt Tuch,
der völlig dem Vorbild eines Cezanne unterliegt, aber troßdem an Reife gewonnen
hat, nicht minder auch für Ulrich Hübner und Philipp Franck, während Heinrich
Hübner z. B., dem ich kürzlich mit Überzeugung Vermeerfche Qualitäten nachrühmte,
zu der lebten fouveränen Vergeiftigung der Materie emporgeftiegen ift. Auch Eugen
Spiro, auf deffen „Liebespark“ Puvisfche Reminiszenzen in durchaus moderner Auf-
faffung anklingen, überzeugt diesmal nicht, noch weniger Künftler vom Schlage der
Linde-Walther, der ein kräftiges Talent hat, oder gar der Zeller, Rößner e tutti
quanti, zu denen ich vorerft immer noch einen Mann wie den Berliner Jofeph Oppen-
heimer rechne. Sein Namensvetter Max Oppenheimer, der aus Wien kam und in
Berlin fein Domizil gefunden zu haben fcheint, den ich kürzlich an diefer Stelle ge-
legentlich der Ausftellung bei Caffirer detaillierter behandelte, zeigt in einer widerlich
verzerrten Darftellung einer Operation fein ficher vorhandenes Talent, das künftlich
Greco frifiert, ohne ihn eigentlich verftanden zu haben. Im Effekt fteht ein Künftler
wie Hans Meid, der ähnlich, freilich mit klarerem Bewußtfein Goyas Spuren folgt,
an Überlegenheit eines adäquaten Temperamentes unweit höher. Der Mann ift zu merken.
Der Vollftändigkeit halber müßte noch mancher Name genannt werden, der in der
deutfchen Moderne längft Zugkraft hat (Orlik, Walfer und Pankok z. B.), aber das ift
nicht die Aufgabe des nach neuen Werten fpähenden Beobachters. Die mag man
bei Leuten wie Max Pechftein fuchen, der heute auch nur Anfäße gibt, bei Fei-
ninger, Feiks und Walter Klemm, die in wenigen Jahren zu bewußter Bedeutung
gekommen find, felbft bei dem Steglißer Möller, deffen Pieta vielverheißende Keime
des Werdens offenbart oder bei dem Königsberger Max Neumann. In den Arbeiten
diefer Künftler erkenne ich Verfprechungen, die einer Stagnation der kommenden Ent-
wicklung keine Möglichkeiten gewähren; fie find in der Verallgemeinerung genommen,
fogar typifch und vorbildlich für alles, was dem künftlerifchen Werden unferes Jahr-
hunderts Vorbehalten ift. Neben diefem jugendlich mutigen Sprießen wirken Meifter
wie Balufchek, Brandenburg, Strathmann völlig antiquiert. Eigenbrödler, die
das Leßte und Höchfte malerifcher Aufgaben nie verftehen, fo fehr fie [ich auch mit
dem Schweiß des Famulus bemühen, den Dingen auf den Grund zu kommen.
Zieht man aber das Fazit diefer Ausftellung, fo find die Verfprechungen, die hier
und dort gegeben find, unverkennbar und an die allein müffen wir uns halten.
Zur Malerei bietet die Plaftik in gewiffer Hinficht ein Gleichnis: Obwohl fie ein
Stiefkind unferer Zeit ift und darum auch in diefer Ausftellung nicht bedeutend er-
fcheint. Georg Kolbe ift doch leßten Endes immer ein Rodinfcher Nachahmer, fo prächtig
feine Schöpfungen fein mögen, Ern ft Barlach ruffifiziert mit gewollter Primitivität
alles, was [ich feiner bildnerifchen Imagination darftellt. Die Albiker, Engelmann,
Gaul, Cauer, Haller find aber nur im kleinen zu goutieren und haben jeder bereits
ihre Spezialität. Lehmbruck und Minne find vielleicht die einzigen überragenden
Noten, von denen man mit einem Vollgefühl des Glaubens an die Perfönlichkeit er-
zählen könnte. Georg Biermann.
Der Cicerone, IV. Jahrg., 8. Heft. 23
311
[ehr zum Schaden ihres fchönen Talentes ift!) eine eigentliche Entwicklung kaum zu
verzeichnen haben. Das gilt mit einer gewiffen Einfchränkung auch für Kurt Tuch,
der völlig dem Vorbild eines Cezanne unterliegt, aber troßdem an Reife gewonnen
hat, nicht minder auch für Ulrich Hübner und Philipp Franck, während Heinrich
Hübner z. B., dem ich kürzlich mit Überzeugung Vermeerfche Qualitäten nachrühmte,
zu der lebten fouveränen Vergeiftigung der Materie emporgeftiegen ift. Auch Eugen
Spiro, auf deffen „Liebespark“ Puvisfche Reminiszenzen in durchaus moderner Auf-
faffung anklingen, überzeugt diesmal nicht, noch weniger Künftler vom Schlage der
Linde-Walther, der ein kräftiges Talent hat, oder gar der Zeller, Rößner e tutti
quanti, zu denen ich vorerft immer noch einen Mann wie den Berliner Jofeph Oppen-
heimer rechne. Sein Namensvetter Max Oppenheimer, der aus Wien kam und in
Berlin fein Domizil gefunden zu haben fcheint, den ich kürzlich an diefer Stelle ge-
legentlich der Ausftellung bei Caffirer detaillierter behandelte, zeigt in einer widerlich
verzerrten Darftellung einer Operation fein ficher vorhandenes Talent, das künftlich
Greco frifiert, ohne ihn eigentlich verftanden zu haben. Im Effekt fteht ein Künftler
wie Hans Meid, der ähnlich, freilich mit klarerem Bewußtfein Goyas Spuren folgt,
an Überlegenheit eines adäquaten Temperamentes unweit höher. Der Mann ift zu merken.
Der Vollftändigkeit halber müßte noch mancher Name genannt werden, der in der
deutfchen Moderne längft Zugkraft hat (Orlik, Walfer und Pankok z. B.), aber das ift
nicht die Aufgabe des nach neuen Werten fpähenden Beobachters. Die mag man
bei Leuten wie Max Pechftein fuchen, der heute auch nur Anfäße gibt, bei Fei-
ninger, Feiks und Walter Klemm, die in wenigen Jahren zu bewußter Bedeutung
gekommen find, felbft bei dem Steglißer Möller, deffen Pieta vielverheißende Keime
des Werdens offenbart oder bei dem Königsberger Max Neumann. In den Arbeiten
diefer Künftler erkenne ich Verfprechungen, die einer Stagnation der kommenden Ent-
wicklung keine Möglichkeiten gewähren; fie find in der Verallgemeinerung genommen,
fogar typifch und vorbildlich für alles, was dem künftlerifchen Werden unferes Jahr-
hunderts Vorbehalten ift. Neben diefem jugendlich mutigen Sprießen wirken Meifter
wie Balufchek, Brandenburg, Strathmann völlig antiquiert. Eigenbrödler, die
das Leßte und Höchfte malerifcher Aufgaben nie verftehen, fo fehr fie [ich auch mit
dem Schweiß des Famulus bemühen, den Dingen auf den Grund zu kommen.
Zieht man aber das Fazit diefer Ausftellung, fo find die Verfprechungen, die hier
und dort gegeben find, unverkennbar und an die allein müffen wir uns halten.
Zur Malerei bietet die Plaftik in gewiffer Hinficht ein Gleichnis: Obwohl fie ein
Stiefkind unferer Zeit ift und darum auch in diefer Ausftellung nicht bedeutend er-
fcheint. Georg Kolbe ift doch leßten Endes immer ein Rodinfcher Nachahmer, fo prächtig
feine Schöpfungen fein mögen, Ern ft Barlach ruffifiziert mit gewollter Primitivität
alles, was [ich feiner bildnerifchen Imagination darftellt. Die Albiker, Engelmann,
Gaul, Cauer, Haller find aber nur im kleinen zu goutieren und haben jeder bereits
ihre Spezialität. Lehmbruck und Minne find vielleicht die einzigen überragenden
Noten, von denen man mit einem Vollgefühl des Glaubens an die Perfönlichkeit er-
zählen könnte. Georg Biermann.
Der Cicerone, IV. Jahrg., 8. Heft. 23
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